An neuen Orten. Rainer Bucher

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу An neuen Orten - Rainer Bucher страница 17

An neuen Orten - Rainer Bucher

Скачать книгу

      Drei Balancen scheinen den Katholizismus gerade in Österreich lange Zeit austariert oder wenigstens stabilisiert zu haben. Es sind dies die Balancen von Individualität und Gemeinschaft, von Entschiedenheit und Durchschnittlichkeit sowie von Begriff und Handlung im Religiösen. Es ist nämlich überhaupt nicht selbstverständlich, dass diese drei Spannungen in ein halbwegs stabiles und als selbstverständlich erfahrenes Verhältnis kommen.

      Es ist erstens absolut nicht selbstverständlich, dass sich in halbwegs komplexen Gesellschaften die eigene, innerste Religiosität und eine gemeinschaftlich gelebte, verfasste Religion decken, ja überhaupt nur berühren. Bekanntlich war dieser Gedanke etwa der Antike recht fremd. Die Struktur meines persönlichen, innerlichsten Verhältnisses zu allem was ist, und genau das definiert Religiosität, was hat sie zu tun mit verbeamteter, codifizierter, sanktionsbewehrter, gar staatsverwalteter Religion?

      Der Katholizismus nach Trient und besonders der Pianischen Epoche hatte diese Identität aber nun genau behauptet und, wirksamer noch, in seinen konkreten Praktiken auch tatsächlich erlebbar gemacht und in die Herzen und Hirne der Katholikinnen und Katholiken eingeschrieben. „L’église, c’est moi“, das ist nicht nur ein Pius IX. zugeschriebener Ausspruch, diese Identitätsformel ist eigentlich auch die Erlebnisformel des intakten katholischen Milieus.

      Es ist zweitens auch nicht selbstverständlich, wie eine Religion mit dem Problem der Partizipationsunterschiede ihrer Anhängerschaft umgeht, wie sie also damit umgeht, dass sie Heilige will und ja auch immer wieder hat, aber eben wenige, und normalerweise viel mehr Fußvolk. Katholische Identität hatte da eine durchaus komplexe Lösung gefunden. Zum einen wurde der erwählte zölibatäre Priester in seiner repraesentatio Christi zur eigentlichen Zielform christlicher Existenz. Andererseits aber war die gesammelte Pastoralmacht der Priester nicht zuerst dafür da, sich selbst zu heiligen, sondern, das ist das Bild vom Guten Hirten, die ihnen Anvertrauten in den Himmel zu führen. Dafür war aber seitens der Schafe gar nicht so arg viel notwendig und zudem hatte man eine Chance bis zum Schluss.

      Es ist drittens nicht selbstverständlich, die Balance von Begriff und Handlung im Religiösen stabil zu halten. Ist es wichtiger, der begrifflich formulierten Lehre zuzustimmen oder zu tun, was die Religion vorschreibt? Ist also kognitive Identifikation oder rituelle und ethische Handlungsidentifikation entscheidend, Orthodoxie oder Orthopraxie?

      Die klassisch katholische Lösung nach Trient umging dieses Problem nicht ungeschickt. Sie machte dafür eine dritte Größe stark: die Institution. In ihr sah man beides verbunden: Orthodoxie und Orthopraxie. „Extra ecclesiam nulla salus“, das hieß: Hauptsache der Kirche treu und es ist gut. Die Kirche fragte, außer bei ihrer religiösen und intellektuellen Elite, nicht so genau danach, was man konkret glaubte. Die Kirche verzieh vieles, fast alles, solange man es nur bereute. Aus dem Heil fiel man damit nicht.

      Das tat man, wenn man aus der Kirche fiel. Die Grenze des religiösen Heiles wurde an der Grenze der Institution katholische Kirche markiert, nicht direkt am persönlichen Glauben und auch nicht am eigenen Handeln. Mit anderen Worten: Das Verhältnis von Orthopraxie und Orthodoxie wurde in die Hand der Institution gegeben. Die katholische Normallösung war bekanntlich, im Bereich der Glaubensbegriffe für die Eliten streng, für die breite Masse aber ausgesprochen nachsichtig zu sein, im Bereich der Glaubenspraktik für alle ein Mindestmaß unbedingt, ein Höchstmaß aber nur sehr zurückhaltend einzufordern.

      Mit all dem aber ist es nun vorbei, keine dieser Balancen hält mehr, auch und gerade nicht in Österreich. Die Identifikation von Institution und Person im Religiösen hat sich praktisch völlig aufgelöst, ja wendet sich geradezu dramatisch gegen die Kirche. Die Identifikation des Heils mit dem Priestertum zerfließt im Anerkennungsdefizit eines Priestertums, das seinen Ort in einer nicht mehr klerikalistischen Sozialform von Kirche noch nicht wirklich gefunden hat und dessen geradezu verzweifelte Lage man an den Eintrittszahlen in die Seminarien wohl am direktesten ablesen kann.

      Die Autorität zur Normierung und Steuerung des Verhältnisses von Orthodoxie und Orthopraxie, überhaupt von Lehre und Erfahrung, sie ist nun aber schon lange, hauptamtliche Mitarbeiter ausgenommen, den kirchlichen Institutionen aus den Händen geglitten. Die Individuen bestimmen selbst die für sie gültige Justierung dieses Verhältnisses.

      Damit zerfließt die Monopolstellung des Katholizismus und damit auch dessen verhaltens- und wahrnehmungsprägende Kraft. Gerade in Österreich mit seiner jahrhundertealten Dominanz der katholischen Religion wird dies ebenso aufmerksam wie nervös wahrgenommen. Der Katholizismus als die politisch-gesellschaftliche Realisationsform der katholischen Kirche zerlegt sich gegenwärtig in Österreich in eine Reihe von Diadochenkonzepten.

      Vier wird man versuchsweise identifizieren können. Das sind zum einen die Reste des alten volkskirchlichen und „kulturkatholischen“ Konzepts, da sind weiter „katholikale“ Gruppierungen, begünstigt und aufgewertet durch eine Serie von Bischofsernennungen zwischen 1985 und 1995 (Krenn, Groer, Eder, Laun et alii), da existiert ein geschwächtes, aber weiterhin virulentes progressives Milieu etwa um die „Wir sind Kirche“-Bewegung sowie, vom Wiener Kardinal Schönborn sehr gefördert, ein charismatisch inspiriertes Milieu mit deutlichen Nähen zu parallelen Bewegungen im Protestantismus.

      All diese Milieus nehmen Welt und Wirklichkeit natürlich ganz unterschiedlich wahr. Das ist am unmittelbarsten daran ablesbar, wie sie mit den Komplexitätserfahrungen umgehen, welche die katholische Tradition nun einmal provoziert. Der entscheidende Unterschied zwischen all diesen Konzepten dürfte darin liegen, wie sie diese typisch katholische Komplexität reduzieren.

       3 Reaktionen

       3.1 Anhaltender „Kulturkatholizismus“

      Österreich ist das Land mit einer jahrhundertelangen Verbindung von „Thron und Altar“. Die Habsburger garantierten die letztlich unumstrittene Vorherrschaft des Katholizismus, unterstützten die Gegenreformation, wenn es sein musste, wie in der Steiermark, auch gewaltsam. Das ist bis heute etwa im Stadtbild von Graz unmittelbar architektonisch wahrnehmbar, wo die „Stadtkrone“ mit herrschaftlicher Burg und bischöflichem Dom über der zeitweise protestantischen Bürgerstadt thront und das gegenreformatorische Priesterseminar wie das Hauptquartier einer Interventionstruppe demonstrativ sichtbar in den Hügel hinein gebaut wurde

      Ein schönes Sinnbild des Bündnisses von „Thron und Altar“ ist der – ehemalige – direkte Verbindungsgang von Burg und Dom im 1. Stockwerk; dass er heute nicht mehr existiert, deutet freilich an, was auch ansonsten gilt: Die „katholische Benutzeroberfläche“ Österreichs und gar einer ehemals protestantischen und dann stark deutschnational geprägten Stadt wie Graz versteckt mehr die Wirklichkeit, als dass sie gegenwärtige Realität repräsentierte.

      Der österreichische „Kulturkatholizismus“ verbindet allgemeine volkskirchliche Strukturmerkmale mit der spezifisch österreichischen kulturprägenden Kraft der dominierenden katholischen Religion. Definiert man „Volkskirche“ durch die Merkmale biografische wie gesellschaftliche Selbstverständlichkeit, Ressourcenreichtum und institutionelle wie personelle Nähe zur Macht, dann zeigt sich, dass die österreichische Kirche all dies besaß und partiell noch besitzt, aber gegenwärtig dabei ist, all dies zu verlieren.

      Die Benennung „Kulturkatholizismus“ ist parallel zu jener des „Kulturprotestantismus“ gebildet. Dieser entstand bekanntlich, als die protestantische Theologie des 19. und frühen 20. Jahrhunderts „zwischen reformatorischer Tradition und moderner, in der Aufklärung entstandener Kultur zu vermitteln“84 suchte. Genau das aber war auch das Programm von Josephinismus und „Katholischer Aufklärung“ in Österreich. Das Spezifische dabei: Diese Verbindung von Aufklärung und katholischer Tradition war eingewoben in das ältere Konzept

Скачать книгу