Trollingermord. Hendrik Scheunert
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Der murmelte was in seinen nicht vorhandenen Bart, dann setzte er sich mit den beiden an den runden Tisch in der Ecke des Restaurants.
Andre Kalter, der Inhaber des seinen Namen tragenden Lokals, begrüßte sie freundlich und erkundigte sich nach den Getränkewünschen der Anwesenden.
Anschließend ließ er seine Gäste mit der Auswahl der Speisen allein.
»Du sagst, der Rostbraten hier wäre gut?«, fragte Richard.
»Nicht nur gut, sondern ausgezeichnet«, korrigierte ihn Walter Riegelgraf.
Mit Blick auf dessen Bauch fragte der: »Welchen Salat isst du?«
Frank konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, stieß Richard aber trotzdem in die Seite. »Schon vergessen, er zahlt heute. Also gönn ihm den Spaß.«
»Von mir aus gern«, hob dieser frech grinsend seine Stimme an. »Meine Plauze ist es ja nicht.«
Bis auf Manfred Gühring, der sich für die geschmälzten Maultaschen in einer Bratensoße entschied, folgten alle anderen Gäste der Empfehlung von Walter Riegelgraf und nahmen den Rostbraten mit Spätzle, beziehungsweise im Fall von Frank mit Bratkartoffeln.
Die Stimmung in der Runde war gelöst. Horst Müller-Huber gab einen kleinen Einblick in seine bisherige kriminalistische Laufbahn. Für einen Lacher sorgte dieser, nachdem er erzählte, wie er einst aus Versehen mit dem Traktor durchs Rosenbeet seiner Frau fuhr. Jenes daraus resultierende blaue Auge, so berichtete er es seinen Kollegen, hätte er sich bei der Verhaftung eines Verdächtigen zugezogen.
Kurz darauf kündigte sich der von allen mit Spannung erwartete Zwiebelrostbraten an. Frank nahm mit seiner Nase zuerst Witterung auf, daraufhin setzte er die anderen vom herannahenden Essen in Kenntnis.
Tatsächlich landete der Rostbraten in Kombination mit den Bratkartoffeln sowie der obligatorischen Trollingersoße, auf seiner internen Hitliste sehr weit oben. Frank, ein Kenner auf dem Gebiet, musste es wissen.
»Puh, jetzt bin ich aber pappsatt«, stöhnte ein rundum zufriedener Walter Riegelgraf.
»Ich auch«, antwortete Richard, »bis Mittwoch brauch ich nichts mehr.«
Man trank einen Obstler lokaler Herkunft zur besseren Verdauung des Essens, dann erzählte man sich einige Anekdoten aus den gemeinsamen Dienstjahren. Lisa Danninger lehnte sich zufrieden an die Schulter von Frank Jonas.
Als sie kurz darauf aufbrachen, die Zeiger der Uhr zeigten 22 Uhr abends, und bis auf ein paar Stammgäste hatten die meisten Gäste das Lokal bereits verlassen, ertönte aus heiterem Himmel ein heftiger Wortstreit aus der Küche.
»Du biste blöd in deinem Kopf«, schimpfte eine italienische Stimme. »Kannste nix mal eine Soße umrühren, du bleder Grieche.«
»Halt dein Maul, du Meterfünfzwerg, sonst häng ich dich am Kleiderhaken auf. Dann sollst du dort versauern, bis die Ratten dich fressen«, kam die ebenso freundliche Antwort.
Man hörte etwas fliegen, was stark an Geschirr erinnerte, dann herrschte Ruhe.
Die Gäste am Stammtisch grinsten, während sich die Runde um Walter Riegelgraf fragend anschaute.
»Was war das denn?«, erkundigte sich Adelbert Herzog, der an diesem Abend noch nicht groß durch Wortbeiträge auf sich aufmerksam gemacht hatte. Aber der Experte auf dem Gebiet der Spurensicherung galt sowieso nicht als ausgewiesenes Redetalent. Sein Wissen jedoch reichte weit über die Grenzen der Landeshauptstadt hinaus, auch sein fachlicher Rat wurde allseits geschätzt und geachtet.
»Hat man doch gehört«, erwiderte Frank lakonisch, »die Soße war nicht gut. Anscheinend hat das Geschirr sein Ziel erreicht, sonst wär jetzt keine Ruhe.«
»Vielleicht kriegt der Walter demnächst wieder Arbeit«, feixte Richard. Alle anderen grinsten.
»Lieber nicht, nicht heute«, antwortete der mit einem tiefen Seufzen in der Stimme.
Als Andre Kalter die Gäste verabschiedete, erkundigten sie sich nach dem Vorfall in der Küche.
»Ach, nichts weiter. Mein Koch und unser Kellner, die sind wie ein altes Ehepaar. Das kennen wir hier schon. Manchmal ist es ganz amüsant. Aber heute hat’s der Grieche wieder mal übertrieben. Morgen ist die Sache wieder vergessen.«
»Der Zwiebelrostbraten hat wirklich sehr gut geschmeckt«, sagte Frank. »Loben Sie den Koch, er hat es sich verdient.«
»Ich werd’s ihm ausrichten. Er freut sich immer, wenn die Gäste zufrieden sind«, antwortete Andre Kalter.
Sie verabschiedeten sich alle voneinander, was nochmals eine gefühlte Ewigkeit in Anspruch nahm, und fuhren dann ein jeder in sein Domizil.
2. Kapitel
Dienstag
Der Rebschnitt war für Gerd Bäuerle und alle anderen Winzer eine besonders zeitintensive Arbeit. Jeder einzelne Stock musste begutachtet sowie individuell bearbeitet werden – dies konnte, bei allem technischen Fortschritt, keine Maschine der Welt für ihn erledigen. Allerdings durfte man den Schnitt nicht allzu früh angehen, da der Weinstock womöglich noch arbeitete. Doch jetzt, im Januar, schien die Rückverlagerung der Reservestoffe abgeschlossen, der ganze Saft hatte sich in die Wurzeln zurückgezogen, weshalb Gerd Bäuerle an diesem kalten Morgen beruhigt mit dem Beschneiden beginnen konnte.
An Tagen wie diesen, wenn er allein im Weinberg unterwegs war, wo nur die rotbraunen Triebe der Reben einen Akzent in der trostlosen Landschaft setzten, bereitete ihm seine Arbeit Freude.
Getrübt wurde diese jedoch dadurch, dass ihm Andre Kalter stets eine Nasenlänge bei Qualität und Ertrag voraus schien, was streng genommen gar nicht möglich sein durfte. Trotz alledem wurde er von ihm bei der letzten Blindverkostung des Weinkonvents Uhlbach erneut, wenn auch knapp, auf den undankbaren zweiten Platz verwiesen.
Dieses Jahr, so viel war sicher, würde sein Plan Früchte tragen oder – dabei konnte er sich ein Lächeln nicht verkneifen – eben nicht.
Nach getaner Arbeit wollte er sich auf den Heimweg begeben, der ihn durch die Weinberge des Uhlbacher Götzenberges führte. An der Weggabelung, von der es linker Hand zu einem wegen seiner guten Lage bekannten Ausflugslokal ging, hielt er inne. Verfolgte ihn da etwa jemand? Oder handelte es sich nur um einen dieser verrückten Jogger, die um diese frühe Stunde ihr Unwesen in den Weinbergen Uhlbachs trieben?
Gerd Bäuerle ließ sich nicht weiter beirren. Er setzte seinen Weg durch die Reben nach unten ins Dorf fort, da stand bei dem großen Stein wie aus dem Nichts jemand vor ihm und fing an, wie wild auf ihn einzureden.
Er kannte die Person nur zu gut, hätte jedoch nicht erwartet, ihn heute Morgen hier anzutreffen. Es entwickelte sich ein hitziger Wortstreit, an dessen Ende sein Gegenüber eine Flasche Wein in der Hand hielt, die er Bäuerle auf den Kopf schlug. Daraufhin drehte der Angreifer sich um und ging davon, als wenn nichts gewesen wäre.
Bevor er gewahr wurde, wie stark er blutete, stand erneut jemand in einem dunklen Jogginganzug und mit einer Mütze, die er sich tief ins Gesicht gezogen hatte, vor ihm.
»Na,