Trollingermord. Hendrik Scheunert
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»Heute wirst du dafür bezahlen.«
Bäuerles letzter Blick fiel abermals auf die Weinflasche. Dann traf ihn diese erneut mit voller Wucht im Gesicht. Ein heftiger Schmerz durchfuhr ihn, als er mit dem Kopf auf den Boden knallte. Langsam wurde alles unscharf. So sieht der Tod aus, dachte er, während es um ihn herum für immer dunkel wurde.
*
Nein, der Wecker von Frank Jonas würde in absehbarer Zeit, zumindest aber bis zu seinem Ruhestand, kein Freund mehr werden. Die Versuche, jenes nervtötende Klingeln an dem Gerät zu eliminieren, waren nicht von Erfolg gekrönt. Erst eine Weile später stellte er fest, nicht der Wecker, sondern sein Telefon war die Ursache der morgendlichen Störung. Denn ginge es nach der Uhr, so hätte er noch über eine Stunde liegen bleiben können.
»Wer ist denn da?«, murmelte er.
»Weißhaar Gerhard, Polizeiobermeister von der Polizeidirektion Untertürkheim. Sind Sie von der Kripo Stuttgart?«, erkundigte er sich.
»Kommt drauf an, um was es geht. Bei Diebstahl oder Schlägereien nicht«, gab Frank zurück, der hoffte, der Beamte würde sagen, er hätte sich verwählt. Doch Gegenteiliges war der Fall.
»Na, dann bin ich ja bei Ihnen richtig. Wir haben eine Leiche in Uhlbach im Weinberg, genauer gesagt im Götzenberg, gefunden. Könnte ein Tötungsdelikt sein.«
»Könnte?«, fragte Frank.
»Na ja, ich glaub kaum, dass er sich die Flasche Wein, die neben ihm liegt, selbst über den Kopf geschlagen hat.«
Da mochte er recht haben, was bedeutete, es gab zwangsläufig wieder Arbeit für ihn sowie seine Kollegen.
»Götzenberg? Kenn ich nicht. Wie komm ich dahin? Ist die Spurensicherung schon informiert?«, wollte er wissen.
Weißhaar gab ihm eine derart ausführliche und detaillierte Wegbeschreibung durch, dass Frank bereits nach dem zweiten Satz den Faden verlor.
»Die sind schon auf dem Weg. Der eine Kollege, Herzog heißt er, glaube ich, wohnt ja gleich ums Eck«, beendete der Beamte letztendlich seinen Redeschwall.
Frank erinnerte sich dunkel daran, Adelbert Herzog erwähnte einmal, in Uhlbach ein Haus zu haben. Dann hatte er wahrhaftig einen kurzen Weg. Mord vor der Haustür quasi.
Er zog sich an, während die Kaffeemaschine in der Küche blubberte, um jenes dunkle Gebräu mit dem anregenden, würzigen Duft durch den Filter laufen zu lassen.
Wenig später saß er am Tisch in der Küche und schlürfte seinen ersten Kaffee. Ohne diesen wurde Arbeit gar nicht in Erwägung gezogen, geschweige denn eine Konversation bestehend aus mehr als einem Satz. Die meisten seiner Kollegen respektierten diesen Spleen. Derjenige, der trotzdem versuchte, mit Frank ein Gespräch aufzubauen, merkte schnell, welch hoffnungsloses Unterfangen dies war. Richard hatte es in den Anfangsjahren ihres gemeinsamen Dienstes ein paar Mal probiert, jedoch bald die Segel gestrichen.
Richard Bauer war Oberkommissar bei der Kripo Stuttgart, so die offizielle Bezeichnung seines Dienstgrades. Auf diese legte er allerdings keinen großen Wert. Mit seinen über 30 Jahren Erfahrung galt er im wahrsten Sinne des Wortes als graue Eminenz der Kriminaldirektion eins. Kurze Zeit später klingelte es bei ihm.
»Du bist ja schon wach«, wurde Frank von ihm begrüßt. »Wie kommt’s?«
»Komm rein, trink einen Kaffee und hör zu«, bekam er von einem unausgeschlafenen Frank Jonas zu hören. »Wir haben einen Mord im Uhlbacher Götzenberg.«
So leicht ihm dieser Satz nach mehr als 20 Jahren bei der Kripo Stuttgart über die Lippen zu kommen schien, für die Angehörigen des Opfers brach mit diesem Ereignis immer eine, wenn auch manchmal nicht so heile, Welt zusammen.
»Uhlbacher Götzenberg«, sinnierte Richard, »sagt mir was.«
»Der Kollege von der Polizeidirektion in Untertürkheim hat mir den Weg äußerst ausführlich beschrieben. So ausführlich, dass ich am Ende gar nichts verstanden habe. Aber Uhlbach werden wir schon finden, von dort ist es wahrscheinlich auch nicht mehr weit«, sprach er zu sich selbst.
Richard schien angestrengt zu überlegen, woher ihm der Name bekannt vorkam.
»Ah, jetzt weiß ich!«, rief er, sodass Frank vor Schreck fast die Tasse mit dem Kaffee aus der Hand gefallen wäre.
»Mann, schrei doch nicht so!«, schimpfte dieser.
Richard erzählte etwas von einer Judith Langer, die er vor einem Jahr kennengelernt hatte. Mit jener ging’s dann, so seine vage Erinnerung, auf eines der zahlreichen Weinfeste, die im Herbst rund um die Grabkapelle am Württemberg stattfanden und Heerscharen von Besuchern aus Stuttgart sowie der nahen Umgebung anzogen.
»Na, dann weißt du ja, wo sich der Tatort befindet. Lass uns losfahren«, erwiderte Frank. Derweil begann Richard, immer blumiger, respektive detaillierter über jene Judith zu erzählen. Er schien schon geneigt zu fragen, was denn dann einer Hochzeit im Wege gestanden habe.
Aber dies war bei seinem Kollegen ein heikles Thema. Schnitt man es zu einem ungünstigen Zeitpunkt an, so musste man darauf gefasst sein, sich den Weg seiner Scheidung sowie jenes damit verbundene Drama in mehreren Akten anzuhören. Frank war an diesem kalten, aber trockenen Januarmorgen nicht wirklich auf ausführliche Konversation aus.
Ausnahmsweise fuhren sie heute mit Richards Auto. Seine »alte Mühle«, wie Frank den blauen Opel stets spöttisch nannte, hatte zum Glück den Geist aufgegeben. Der Oberkommissar sah sich daher gezwungen, seine schwäbische Tugend der Sparsamkeit zu unterdrücken, um ein Autohaus aufzusuchen. Nach zähem Ringen sowie einem den Tränen nahem Autoverkäufer, der ob der Verhandlung mit Richard schon an einen Berufswechsel dachte, kaufte er sich ein SUV einer bekannten Marke aus Niedersachsen. Seine Versuche, ihn für ein schwäbisches Fabrikat entweder aus Sindelfingen oder Zuffenhausen zu begeistern, wurden mit der Begründung, dies sprenge seinen finanziellen Rahmen, abgeschmettert. So saß Frank Jonas heute Morgen neben einem glücklich dreinblickenden Kollegen in dessen SUV.
Das digitale Thermometer zeigte eine Außentemperatur unter dem Gefrierpunkt. Je weiter sie sich den Außenbezirken der Stadt näherten, desto tiefer fiel die Temperatur. In Uhlbach angekommen, wurden gar zweistellige Grade unter null angezeigt.
»Wohin jetzt?«, fragte Frank seinen ratlos dreinblickenden Kollegen, der an der Bushaltestelle rechts ranfuhr, um sich zu orientieren. In diesem Moment hörten sie ein sich von hinten näherndes Geräusch, welches ihm bekannt vorkam. Nachdem es immer lauter wurde, sahen sie, in eine weiße Nebelwolke eingehüllt, einen blauen VW Käfer, der augenscheinlich dem seit Kurzem mit der Ehrendoktorwürde ausgezeichneten Walter Riegelgraf gehörte. Jener hatte neuerdings auch eine Visitenkarte, auf der in vergoldeten Lettern »Dr. h.c. Walter Riegelgraf, Rechtsmediziner« stand.
»Ich glaube, wir folgen der Wolke«, meinte Frank süffisant, »die sollte uns ans Ziel bringen.«
»Meinst du?«, erkundigte sich Richard skeptisch.
»Hat beim Moses damals auch geklappt. Also warum nicht auch bei uns?«
Sie folgten dem blauen VW Käfer, der in einem atemberaubenden