Grundlagen der globalen Kommunikation. Kai Hafez

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Grundlagen der globalen Kommunikation - Kai Hafez

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2.2.2 vertieft werden. Zuvor allerdings beschäftigen wir uns mit dem empirischen Ist-Zustand des globalen Mediendiskurses, der ebenfalls kontrovers beurteilt wird.

      Fragmentierte Nachrichtenagenda: die Spitze des Eisbergs der Globalisierung

      Es ist ein grundsätzliches Paradoxon, dass in der Ära der Globalisierung die Aufmerksamkeit für Auslandsnachrichten nicht gestiegen, sondern eher gesunken ist (Willnat et al. 2013, Ulrich 2016, S.118ff., Russ-Mohl 2017, S.162f., Norris 1995). Das Auslandsinteresse des Publikums ist nicht einheitlich, es ist insbesondere in kleineren Staaten oft größer und wächst, sobald einheimische Akteure beteiligt sind (home news abroad) (Hanitzsch et al. 2013). Aber historische Zäsuren machen sich bemerkbar und das Ende des Ost-West-Konflikts hat eher zu einem Rückgang des Weltinteresses geführt. Talkshows in großen Industriestaaten wie Deutschland beschäftigen sich ganz überwiegend mit nationalen und kaum mit internationalen Fragen (Schultz 2006, S.168ff.). Das Interesse kann jedoch sehr starke kurzfristige Schwankungen aufweisen und insbesondere internationale Krisen und Kriege mit bedrohlichem Charakter wie die Attentate des 11. September 2001 oder der Irakkrieg 2003 haben für eine begrenzte Zeit die Aufmerksamkeit erhöht.

      Ganz generell ist die Logik interessant, nach der in den jeweiligen nationalen Mediensystemen Länder und Themen beachtet oder ignoriert werden. Es lässt sich am besten durch einige zentrale diskursstrukturelle Theoreme erklären (Hafez 2002a, Bd.1, S.51ff., 2005, S.39ff.). Auslandsnachrichten überwinden die Schwelle der Berichterstattung zumeist nur, wenn diese entweder aus dem regionalen Ausland oder aus den „Weltmetropolen“ (z.B. USA, Russland, China), also aus Ländern mit hohem Machtstatus, stammen. Sie sind vielfach politik- und eliten- und weniger lebensweltorientiert und konzentrieren sich oft auf negative Nachrichten über Konflikte, Kriege und Katastrophen. Diese Logik lässt sich nicht nur durch viele empirische Fallstudien erhärten, sondern stützt sich auf Nachrichtenfaktoren wie politische und ökonomische Zentralität, Konfliktorientierung oder kulturelle Nähe und Distanz (Williams 2011, S.146ff., Cazzamatta 2014, 2018a/b, 2020). Das Resultat dieser Gatekeepingprozesse sind extrem fragmentarische Weltbildkonstruktionen der Medien, in denen viele Staaten ohne akute Konflikte oder Machtstatus kaum Resonanz finden, während Krisenregionen und Großmächte überpräsent sind und eine hegemoniale Weltnachrichtenlage erzeugen. Negativismus ist zwar eine allgemeine Tendenz des Journalismus auch in der Inlandsberichterstattung, aber bei Auslandsnachrichten sind Länderimages wegen der knappen Platzkapazitäten besonders stark betroffen und insbesondere Entwicklungsländer treten selten und wenn zumeist negativ in Erscheinung (Zuckerman 2013, S.79ff., Hafez 2002a, Bd.2, S.125ff.).

      Da allerdings jedes Land ein anderes regionales Umfeld besitzt, sind die Nachrichtengeographien der Mediensysteme nicht einheitlich, sondern unterhalb der dünnen „Spitze des Eisbergs“ von Weltnachrichten über Krisenregionen und Metropolenstaaten werden ganz verschiedene Themen und Länder beachtet. Das Ergebnis ist eine doppelt geschichtete globale Diskursverschiebung, bestehend aus einer sehr verengten, das Nord-Süd-Gefälle betonenden weltweit geteilten globalen Agenda und separierten nationalen Auslandsgeographien und Themensetzungen. Trotz starker Konvergenz von Nachrichtenwerten und Professionsstandards der Medienethik weltweit (vgl. Kap. 2.1) hat sich also an der Domestizierung von globalen Nachrichtenlagen der Massenkommunikation wenig geändert. Eine Ausweitung und qualitative Verdichtung der Diskurse, die gezielt thematische Leerstellen kompensiert und Nachrichtenwerte im Sinne einer globalen interdiskursiven Synchronität umbaut, sind nicht in Sicht. Starke Domestizierung ist vorherrschend.

      Vergleichende Großstudien belegen dies seit Jahrzehnten (u.a. Sreberny-Mohammadi et al. 1985, Wu 2000, 2003, Pietiläinen 2006, Cohen 2013a, Heimprecht 2017). Lokale Faktoren sind demnach in der Auslandsberichterstattung für die Themen- und Länderauswahl auschlaggebend, der Regionalismus schlägt in allen Ländern durch, wenngleich bei Entwicklungsländern etwas weniger als bei Industrieländern, da hier die Metropolenorientierung und globale Agenda etwas stärker ausgeprägt sind (de Swert et al. 2013, Wilke et al. 2013). Selbst innerhalb regionaler Räume wie Europa ist zwar die Aufmerksamkeit für einzelne Nachbarländer größer (Regionalismus), aber EU-Themen und Akteure der EU spielen nur eine Nebenrolle in den stark national fixierten Öffentlichkeiten (Machill et al. 2006, Pfetsch et al. 2008). Die national gefärbten und desintegrierten Medienagenden stellen die Annahme einer Globalisierung von Mediendiskursen oder gar eines kosmopolitischen „globalen Dorfes“ (McLuhan) auf der inhaltlichen Ebene in Frage (Cohen 2013b).

      Eine Reihe von Studien zeigen, dass der Online-Journalismus sowie Suchmaschinen wie Google-News und Yahoo, also nicht-klassische Massenmedien, hier, anders als erhofft, kaum eine Verbesserung gebracht haben. Die eingeschränkte Nachrichtengeographie bleibt dieselbe (Gasher/Gabriele 2004, Wu 2007, Wang 2010). Kevin Williams: „The geography of online content reflects the imbalances of the traditional mainstream media; web technology has not drastically changed what is reported as international news“ (2011, S.161). Nicht einmal Hyperlinks zu ausländischen Websites haben sich im Online-Journalismus durchgesetzt (Chang et al. 2009).

      Nur wenigen Themen wie die Klimafrage gelingt es, sich in den Massenmedien weltweit mit ähnlichen Subthematiken Geltung zu verschaffen, was dem Charakter von Umweltthemen geschuldet sein dürfte, in verschiedenen Teilen der Welt ähnlich stark beachtet zu werden (Ivanova 2017). Bei politischen Themen wie den Vereinten Nationen allerdings zeigt sich, dass die Sichtweise internationaler Institutionen länderspezifisch ist oder sich ländertypische Cluster bilden, wonach Kriegskonflikte eher in Industrieländermedien und Strukturkrisen wie Armut in den Medien der Entwicklungsländer dominieren (Ulrich 2016, S.301ff.). Die vorherrschenden Professionsstandards und Nachrichtenfaktoren, globalen Leitmedien und Nachrichtenagenturen verhindern zwar, dass Mediensysteme autark sind, sich abschotten und ermöglichen zeitweise dynamische Öffnungen und kurzfristige Internationalisierungen der Diskurse. Gerade soziale und kulturelle Entwicklungen werden aber oft ignoriert und bleiben schwache Prädiktoren eines thematisch wenig konvergenten globalen Mediendiskurses. Zwei Drittel der Landmasse und der Bevölkerung dieser Erde in Asien, Afrika und Lateinamerika bleiben in westlichen Medien, von wenigen, oft negativen Ausnahmen abgesehen, weitgehend unsichtbar (Williams 2011, S.145f.).

      Globales Framing oder domestizierte Diskurse?

      Um die Synchronität globaler Mediendiskurse aus den Perspektiven von Konvergenz und Domestizierung beurteilen zu können, müssen neben Makropropositionen wie der thematischen Medienagenda auch Mikropropositionen wie Stereotype und Frames untersucht werden. Hier geht es nicht mehr wie beim Themenhaushalt um die Frage, was berichtet wird, sondern wie dies geschieht. Als locus classicus der Forschung gelten mittlerweile die Arbeiten von Michael Gurevitch, Mark R. Levy und Itzhak Roeh, die bereits 1991 gezeigt haben, dass selbst ein- und dasselbe Thema in verschiedenen nationalen Mediensystemen sehr unterschiedlich dargestellt werden kann, was sie als „Domestizierung des Fremden“ (domestication of the foreign, S.206) bezeichneten. Die Vorstellung, in einer durch Nachrichtenagenturen und globale Medienkonzerne verbundenen Welt automatisch auch mit globalen Perspektiven versorgt zu werden, erweist sich angesichts des nationalen Systemcharakters der Medien als unhaltbar, da Stereotype und Frames auch in der Gegenwart vielfach national geprägt bleiben.

      Am deutlichsten erkennt man dies an Nationen- und Religionsstereotypen. Stereotype sind anders als Frames pauschale Zuschreibungen kultur-mentaler Charaktereigenschaften, die für eine bestimmte Gruppe oder ein Land als typisch erachtet werden und die auch in modernen Mediensystemen eine erstaunliche Überlebensfähigkeit zeigen, so dass die Zahl der Studien hier schier unüberschaubar ist (vgl. die Metastudie von Thiele 2015). Da analytisch die Abgrenzung zwischen Stereotypen (als pauschalen Attributen für Nationen und Gruppen) und Frames (als argumentative Rahmung einer Handlung) schwierig ist (Hafez 2002a, Bd.1, S.47f.), werden in der Forschung diese verschiedenen Mikropropositionen des Diskurses häufig in Kombination untersucht. Viele Studien zeigen die starke Vorurteilsneigung von Auslandsberichterstattung etwa wenn es um Themen wie Islam (Hafez 2002a, Bd.2, S.207ff., Schiffer 2005, Poole/Richardson 2006, Mertens/de Smaele 2016) oder um Nationenstereotype geht (u.a. von Bassewitz 1990, Marten 1989, Tzogopoulos 2013). Stereotype existieren heute gerade auch im fiktionalen Bereich,

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