Grundlagen der globalen Kommunikation. Kai Hafez
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Zugleich zeigt sich – dies ist eine weitere wichtige Relativierung der nationalen Produktionsverhältnisse –, dass fiktionale Unterhaltung schon immer stärker vom Im- und Export geprägt gewesen ist als das Nachrichtenwesen. Bekanntestes Beispiel hierfür sind Hollywoodfilme, aber auch lateinamerikanische Telenovelas, die weltweit verbreitet sind. Im Vergleich zu dem durch nationale Präferenzen gekennzeichneten Nachrichtengeschäft kann man den Unterhaltungsbereich als Kernbereich der Globalisierung und einer hybriden Kulturentwicklung bezeichnen, da hier nationale Produktionen zwar stark bleiben, aber mitunter weniger vorherrschend sind (Hafez 2005, S.115ff., Straubhaar 2014). Allerdings sind auch die Unterhaltungsindustrien der Medien noch immer stark lokal ausgerichtet (Kawashima/Hye-Kyung 2018). Nationale Produktionen besitzen gerade im Fernsehbereich die größten Reichweiten, weswegen man die Internationalisierung der Unterhaltungsindustrie nicht überschätzen darf (Flew 2007, S.127, Hafez 2005, S.115ff., Straubhaar 2007). Die großen Filmindustrien in Indien (Bollywood), in der arabischen Welt, in China, Iran oder Trickfilmproduktionen aus ostasiatischen Ländern sind auf ihren lokalen Märkten jeweils dominant.
Es ist ihnen allerdings auch gelungen, im internationalen Exportgeschäft einen globalen Contra Flow zu etablieren, der der weiterhin bestehenden amerikanischen Filmdominanz immerhin Konkurrenz macht (Thussu 2019, S.191ff.). Die These von einem westlichen „Kulturimperialismus“ durch Globalisierung ist zu vereinfachend, da sie weder die gleichzeitig stattfindende Modernisierung nationalsprachlicher Kulturen noch die Globalisierungspotenziale des globalen „Südens“ berücksichtigt (Hafez 2005, S.128ff.).
Globale Rezeptionskluft: Informationsmassen und -eliten
Rezeption (Makroebene) ist neben der Ethik (Mikroebene) und der Produktion (Mesoebene) ein wesentliches Strukturmerkmal der globalen Massenkommunikation. Mediensysteme transnationalisieren sich schon deshalb nur sehr zögerlich, weil nationale Medien von den allermeisten Konsumenten noch immer bevorzugt werden. Die „relative Bedeutungslosigkeit“ (relative unimportance, Sparks 2016, S.61) transnational ausgerichteter Sender hat ihre Ursache im nationalen Rezeptionsverhalten eines Großteils des Publikums. An diesen Rezeptionsstrukturen hat sich auch in der Ära des direktempfangbaren Satellitenrundfunks seit den späten 1980er Jahren und des Internets seit den 1990er Jahren nichts Wesentliches geändert (Wessler/Brüggemann 2012, S.98ff.). Bei aller notwendigen Vorsicht gegenüber Zahlen der globalen Reichweitenforschung, die oft von den Unternehmen selbst verbreitet werden und nicht immer präzise sind (Zöllner 2004), lässt sich dennoch sagen: Sowohl die Nutzung transnationaler Medien (wie CNN, BBC World usw.) als auch die grenzüberschreitende Nutzung anderer nationaler Medienangebote bleiben ein Randphänomen der Mediennutzung (Hasebrink/Herzog 2009). Diese Erkenntnis ist keineswegs trivial, sondern eminent bedeutsam. Da, wie wir noch sehen werden, nationale Auslandsbilder häufig eine negative oder zumindest stereotype Prägung aufweisen, werden auch die Konsumenten durch den primär nationalen Medienkonsum verstärkt negativen Stereotypen ausgesetzt (vgl. Kap. 2.2.1). Die globale Rezeptionskluft ist zu einem nicht geringen Teil für die Problematik von Nationalismus und Rassismus bis hin zum rechtspopulistischen Angriff auf die Globalisierung verantwortlich.
Allerdings gibt es auch hier einige bemerkenswerte Ausnahmen und Gegentrends zu der allgemeinen Regel der nationalen Mediennutzung, die sich an Sondersituationen (Sprachräumen und Auslandsrundfunk) sowie an Sondergruppen (Migranten und globalen Eliten) festmachen lassen. Medien werden grenzüberschreitend vor allem in geolinguistisch homogenen Sprachräumen genutzt, wenn diese mehrere Nationalstaaten umfassen, etwa im deutschsprachigen (Deutschland, Österreich, Schweiz) oder im arabischsprachigen oder spanischsprachigen Raum mit jeweils mehr als zwanzig Ländern (Sinclair et al. 1996). Die Entwicklung des Satellitenrundfunks und des Internets hat diese „kleine Grenzüberschreitung“ begünstigt, sie ist aber im Prinzip deutlich älter und hat mit gemeinsamer Geschichte und Sprachverwandtschaft zu tun. Da diese Nutzungsform nicht global ist, sondern in historisch tradierten Kulturräumen verbleibt, ist es fraglich, ob man diese Form der Regionalisierung als Globalisierung bezeichnen kann. Einerseits werden nationale Grenzen überschritten. Andererseits wird die Vorstellung von „Kulturkreisen“ technisch wiederbelebt, was einer kosmopolitischen und universellen Vorstellung von Globalisierung im Wege steht (Hafez 2005, S.98ff.).
Eine weitere Sondersituation der Mediennutzung entsteht durch den multilingualen Auslandsrundfunk, zum Beispiel BBC World Service (UK), RT (Russland), Voice of America (USA), Deutsche Welle (Deutschland), Radio China International (China) (Carvalho 2009). Auch die monolingualen Mittelschichten, die keine fremdsprachlichen Medien nutzen, können sich dem Auslandsrundfunk zuwenden (Chouikha 1992). Vor allem die Attentate des 11. September 2001 haben zu einer Vergrößerung der Angebote und zu einem neuen Wettlauf zwischen den Groß- und Mittelmächten geführt (Hafez 2005, S.159ff.). Trotz dieser Bemühungen ist grenzüberschreitende Mediennutzung allenfalls eine ergänzende Komponente im Medienmenu der meisten Menschen und kein Beleg für eine starke Globalisierung.
Eine solche kann sich allerdings bei Sondergruppen wie globalen Eliten einstellen, die im Bereich von Politik, Wirtschaft und Kultur permanent selbst Grenzen überschreiten und mobil sind und daher auch in einem höheren Maß als andere Menschen Medien außerhalb ihrer Herkunftsländer nutzen (Wessler/Brüggemann 2012, S.98f., Hafez 2005, S.87f.). Eine herausragende, zugleich aber sehr spezielle Rolle innerhalb der globalen Informationseliten nehmen Migranten ein, die oft regelmäßig Medien jenseits ihres Wohnortes – aus ihren Herkunftsländern oder im Rahmen der Diaspora – nutzen (Galal 2014, Robins/Aksoy 2015). Es ist schwer, die genaue Größe der globalen Informationseliten zu bestimmen, aber selbst bei geringer Zahl dürfte der qualitative Einfluss dieser „Kosmopoliten“ auf die Gesellschaft groß sein. Gerade Migranten können ihre multikulturellen Medienmenus dazu einsetzen, eine transkulturelle Subjektivität an der Schnittstelle von Medienglobalisierung und Postkolonialismus auszubilden, was bislang allerdings viel zu wenig erforscht ist (Merten/Krämer 2016, vgl. a. Brennan 2008). Dennoch liegt hier auch ein häufiges Missverständnis begründet, da solche mobilen Eliten dazu neigen, ihren eigenen kosmopolitischen Medienstil für eine generelle Entwicklungstendenz zur Globalisierung zu halten, während dieser in Wirklichkeit eine Besonderheit darstellt.
Umweltsystem Politik: Nationalstaatliche Hegemonie
Globale Medienpolitik ist ein Spiegelbild des noch immer stark national geprägten Rezeptionsverhaltens der meisten Menschen. Wo Medien nur selten über Grenzen hinweg genutzt werden, braucht es auch keine globale rechtliche und politische Medienregulierung. Transnationale rechtliche Regulierungen sind beschränkt auf wenige kommerzielle oder technikpolitische Felder. Das Abkommen zum Schutz geistiger Eigentumsrechte in der Welthandelsordnung (Agreement on Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights, TRIPS) verbietet zum Beispiel Raubkopien. Die EU-Fernsehrichtlinie harmonisiert unter anderem nationale Vorschriften für Werbung, Sponsoring und Teleshopping. Die International Telecommunication Union (ITU) und die Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN) regeln technische Rahmenbedingungen des Satellitenrundfunks und des Internets. Eine steigende Anzahl der Akteure scheint vordergründig auf eine wachsende Bedeutung der globalen Medienpolitik zu verweisen. Es dominiert aber weiterhin eine „techno-funktionale Perspektive“ (Berghofer 2017, S.365), die zwar technische Fragen global regelt, Medienpolitik aber darüber hinaus im Wesentlichen als Kulturpolitik definiert und die Eigenständigkeit der Nationalstaaten nicht antastet. Sogar die Europäische Union, der wohl ambitionierteste Staatenbund der Erde, belässt die Regulierung der Medien weitgehend bei den Einzelstaaten (Michalis 2016), was zu seltsamen Verwerfungen insofern führt, als eine Reihe von europäischen Staaten in den internationalen Medienfreiheitsrankings (Freedom House, Reporter Ohne