Grundlagen der globalen Kommunikation. Kai Hafez
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In der theoretischen Eigenständigkeit liegt wohl auch die Ursache, warum globale Massenkommunikation der bei Weitem am stärksten erforschte Bereich der globalen Kommunikation ist. Während etwa interpersonale Kommunikation und soziale Kommunikation bis heute eher ein Randdasein in der Kommunikationswissenschaft fristen, ist diese über lange Jahre und gerade in der euro-amerikanischen Tradition vor allem eine „Publizistikwissenschaft“ geblieben (Averbeck-Lietz 2010). In der Kommunikationswissenschaft wie auch in anderen Sozial- und Geisteswissenschaften hat dabei die Vorstellung von vorgeblich global verfügbaren Medien, die Bürger und Bürgerinnen in Echtzeit über den hintersten Winkel der Welt informieren, einen festen Platz, der den Zeitgeist nachhaltig geprägt hat. Die Vorstellung von der globalen Kraft neuer Technologien wie dem Satellitenfernsehen oder dem Internet gehört neben der Transnationalisierung der Wirtschaft zu den Zentralmythen der Globalisierungsdebatte.
Diese Vorstellung hat jedoch eine gewisse Gegnerschaft auf den Plan gerufen, so dass globale Massenkommunikation heute wohl nicht nur das größte, sondern auch das kontroverseste Feld der globalen Kommunikationsforschung ist. Umstritten ist bis heute etwa,
inwieweit Massenmedien transnationale Organisationsstrukturen entwickelt haben oder ob sie primär lokal (vor allem national) geblieben sind,
inwieweit globale oder lokale Medienethiken und Professionsstandards vorherrschen,
inwieweit Massenmedien primär auf globale oder lokale Märkte ausgerichtet sind,
inwieweit globale oder nationale rechtliche und politische Rahmenbedingungen entscheidend sind
und inwieweit dies alles mit einer globalen Homogenisierung beziehungsweise Synchronisation oder aber einer fortgesetzten lokalen Heterogenität der Mediendiskurse zusammenhängt (Flew 2007, S.26f., Hafez 2005, McMillin 2007, S.8ff., Kübler 2011, S.28ff.).
Zur Debatte steht damit letztlich die Frage, ob die neuen technischen Möglichkeiten der Digitalisierung wirklich eine neuartige Globalisierung haben entstehen lassen oder ob es sich nicht primär um Akzentverschiebungen handelt, die am Grundzustand der globalen Kommunikation wenig ändern. Mittlerweile haben sich Strömungen in der Wissenschaft gebildet (Williams 2011, S.21ff., Hafez 2005, S.9ff., Ulrich 2016, S.45ff.), wobei „Globalisierungsoptimisten“ von einer fortschreitenden Konvergenz von Strukturen und Inhalten ausgehen, „Globalisierungspessimisten“ oder „-realisten“ hingegen von einem sich neutralisierenden Wettlauf von lokalen und globalen Strukturen und Diskursen. Das folgende Kapitel versucht diese verschiedenen Forschungsstandpunkte auf allen analytischen Ebenen – Struktur, Diskurs, Öffentlichkeitstheorie – zu bündeln und zu resümieren. Ziel ist es, bei der Analyse der Widersprüche der globalen Massenkommunikation über pauschale und ungenaue Vorstellungen einer „Glokalisierung“ (vgl. Kap. 1.2) hinauszugehen und grundlegende Tendenzen möglichst klar herauszuarbeiten. Der deutsche Soziologe Ulrich Beck hat im Kontext der Globalisierungsdebatte zu Recht bemerkt, dass mit der einfachen Formel der „Dialektik“ bereits einmal in der Geschichte „das klare Denken verabschiedet“ wurde (1997, S.91) – ein Fehler, den wir hier auf keinen Fall wiederholen wollen.
2.1 Systeme und Systemwandel
Ein Grundmodell der globalen Massenkommunikation
Massenmedien bilden komplexe Systeme, die aus den Journalisten und Journalistinnen und ihren professionellen Beziehungen einschließlich der Professionsethik (Mikroebene), den Medienhäusern und ‑redaktionen (Mesoebene) sowie den für das Mediensystem bedeutsamen Umweltbeziehungen zu anderen Teilsystemen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft (v.a. Publika) bestehen (Makroebene). Innerhalb der Mesoebene existieren Austauschbeziehungen zwischen den Medien, etwa durch ökonomische Verflechtungen, Informationsbeschaffung oder der Orientierung an journalistischen Meinungsführern, wobei etwa Nachrichtenagenturen eine herausragende Stellung einnehmen. Zwischen den Medienorganisationen und ihren Umweltsystemen der Politik und der Wirtschaft sowie ihren nicht-organisierten Systemumwelten des Publikums herrschen Interdependenzbeziehungen. Die Politik zum Beispiel agiert insofern als gesellschaftliches Supersystem (Gerhards/Neidhardt 1990, S.8f.), als es das Mediensystem rechtlich und politisch reguliert und kontrolliert, wobei allerdings auch die Politik von ihrer Darstellung in den Medien abhängig ist. Die Wirtschaft ist in einer Doppelrolle, da sie einerseits über die Besitzverhältnisse Teil des inneren Mediensystems ist, zugleich jedoch dem Mediensystem, ähnlich wie das zahlende Publikum, ökonomische Ressourcen zuführt, etwa über Werbeeinnahmen. Die Beziehungen des Mediensystems zu seinen Umwelten sind nicht zuletzt abhängig vom Charakter des jeweiligen politischen Systems und sind in einem freiheitlichen System (Demokratie) am besten durch ein Fließgleichgewicht von Autonomie und Anpassung zu beschreiben. Das Mediensystem erbringt eine eigenständige (kritische) Beobachtungsleistung für die Gesellschaft, ist zugleich aber Einflüssen seiner Umwelten ausgesetzt, die seine Autonomie einschränken (Kunczik 1984, Marcinkowski 1993, Hafez 2002a, Bd.1, S.123ff.).
Während im nationalstaatlichen Rahmen auf diese Art integrierte Mediensysteme entstehen, existiert ein globales Mediensystem (bisher) nicht. Die allermeisten Massenmedien dieser Welt sind auf nationale oder noch kleinere lokale Publika ausgerichtet und sprachlich eingeschränkt. Dies gilt auch für die globale Massenkommunikation, wo diese als „Auslandsberichterstattung“ Teil der nationalen Mediensysteme ist, da hier nationale Medien die Welt für nationale Publika aufbereiten. Nationale Auslandsberichterstattung, bei der nationale Heimatredaktionen mit Hilfe von Auslandskorrespondenten und -korrespondentinnen und den ihnen zur Verfügung gestellten Informationen von Nachrichtenagenturen Auslandsnachrichten produzieren, ist noch immer die dominante Form des globalen Journalismus und der Mediennutzung (siehe unten). Die Synchronisation der „Weltöffentlichkeit“ wird also grundlegend von „egozentrischen“, das heißt dezentralen nationalen Mediensystemen geleistet. Mediensysteme – und dies hängt eng mit ihrem Hang zur diskursiven statt zur interaktiven Kommunikation zusammen – sind tendenziell egozentrischer als politische oder wirtschaftliche Systeme. Organisierte Sozialsysteme haben, wie wir noch sehen werden, einen Teil ihrer Souveränität zugunsten transnationaler Diplomatieräume, globaler Governance-Strukturen und transnationaler Produktions- und Eigentumsverhältnisse aufgegeben.
Auch dort, wo Rezipienten und Rezipientinnen (auf der Makroebene) über technische Wege wie etwa den direktempfangbaren Satellitenrundfunk Grenzen überschreiten und die Medien anderer Länder nutzen, haben sich zwar die Medienräume des Publikums über Staatsgrenzen hinaus ausgedehnt. Die politische Regulierung wird aber – ungeachtet gewisser grenzüberschreitender medienpolitischer Bestrebungen und politischer PR, die über Nachrichtenagenturen weltweit verbreitet wird – weiterhin vom jeweiligen Nationalstaat ausgeführt, nicht aber von einem transnationalen Staat, den es ja lediglich in Ansätzen etwa im Rahmen der Europäischen Union gibt. Auch auf der Mesoebene können Medien durch Im-/Export Austauschbeziehungen pflegen, es kann internationale Leitmedien (wie die New York Times) geben und es können sogar, wie im Cross-Border-Journalismus, grenzüberschreitende Gemeinschaftsprojekte durchgeführt werden. Aber auch hier bleiben die regulierenden Umweltsysteme stets national geprägt. Auf der theoretischen Mikroebene können Journalisten und Journalistinnen sich an universellen Ethiken und Professionsverständnissen, einschließlich ästhetischer und stilistischer Standards, orientieren (siehe unten) – sie bleiben dennoch Angestellte im rechtlichen Rahmen eines bestimmten Nationalstaats.
Die lokale Restbindung bei allen Formen der globalen Massenkommunikation ist prinzipiell auch bei Medien vorhanden, die sich programmatisch als „globale Medien“ verstehen und die vielfach als Ausweis eines transnationalen Mediensystems betrachtet werden – es aber letztlich nicht sind. Die Fernsehsender CNN, Al-Jazeera English oder BBC World News agieren beispielsweise weltweit, sind aber politisch an ihre Heimatsysteme gebunden. Noch deutlicher wird dies beim sogenannten „Auslandsrundfunk“,