Grundlagen der globalen Kommunikation. Kai Hafez
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Kommunikation und zwischenstaatliche Beziehungen,
Medien und nationale/internationale Systembeziehungen,
Beziehungen zwischen Massenmedien, Handlungssystemen und Lebenswelten.
Zusammen bilden diese Theoreme zwar keine einheitliche Dependenztheorie globaler Kommunikation, aber es entsteht eine Matrix, die für Wechselbeziehungen zwischen verschiedenen Akteuren sowie zwischen den Akteuren und ihren Umwelten sensibilisiert. Richard Rosecrance beschreibt die Wechselwirkungen zwischen Interessenstrukturen und Kommunikationsbeziehungen in der internationalen Politik, indem er drei grundlegende Beziehungsmuster herausarbeitet (1973, S.136ff.). Als „positive Interdependenz“ bezeichnet er, wenn die Interessenstrukturen zweier Akteure, etwa zweier Staaten, grundsätzlich kompatibel sind und eine sich ergänzende Form der Beziehungen besteht. In diesem Fall trägt ein hohes Kommunikationsniveau in der Regel zur Stabilität der Beziehungen bei, während ein Abbruch oder eine massive Störung der Kommunikation zu temporärer Instabilität und zu einer Zunahme der Konfliktspannung führen können. Bei „negativer Interdependenz“ hingegen, also bei inkompatiblen Interessenstrukturen und einer „Nullsummen“-Interdependenz (Gewinne des einen sind Verluste des anderen) gehen auch von einem hohen Kommunikationsniveau in der Regel keine konfliktmindernden Einflüsse aus. In diesen Fällen ist es notwendig, entweder den Konflikt auszutragen, im Dauerkonflikt zu verharren oder aber Interessen neu zu definieren. Von „geringer Interdependenz“ spricht Rosecrance, wenn internationale Kommunikationspartner (Staaten/Regierungen) weder positive noch negative Beziehungen pflegen. Hier ist Kommunikation der wichtigste Beziehungsfaktor. Verläuft die Kommunikation störungsarm, sind auch die Beziehungen konfliktarm. Treten vermehrte Kommunikationsstörungen auf, sind auch die Beziehungen konfliktgeprägt. Trotz der engen Beziehung zwischen Interaktion und staatlichen Interessen ist also Interaktion kein Allheilmittel. Eine konfliktmindernde oder -verstärkende Wirkung der Kommunikation ist nur bei zwei Drittel der Modellkonstellationen zu erwarten (positive Interdependenz und teilweise geringe Interdependenz); bei einem Drittel aller Modellfälle (negative Interdependenz) werden keine beziehungsweise geringe Wirkungen durch Kommunikation erzielt.
Medien und nationale/internationale Systembeziehungen
Aus der Perspektive des Fachvertreters für Internationale Beziehungen besteht „Kommunikation“ für Rosecrance vor allem aus direkter Interaktion zwischen politischen Systemen. Andere theoretische Ansätze haben sich auf die Massenmedien, also auf beobachtende Formen des Austauschs zwischen Gesellschaften konzentriert, die wiederum für verschiedene Systeme und Lebenswelten von Bedeutung sind, wo Massenmedien als zentrales Umweltsystem für Akteure fungieren, die ihrerseits Umwelten der Massenmedien darstellen. Kai Hafez geht generell davon aus, dass grenzüberschreitende Interdependenzen bei den meisten Massenmedien – anders als bei Politik und Wirtschaft – schwach entwickelt sind, weil, wie oben festgestellt wurde, ein transnationales Mediensystem heute bestenfalls im Ansatz vorhanden ist (2002a, Bd.1, S.134ff., 2005). Gegenwärtig beobachten vor allem nationale Medien und Mediensysteme andere Nationen (und deren Medien). Das System der Massenmedien ist also nicht nur seiner Natur nach beobachtend und nicht dialogisch; es ist auch national desintegriert, was bedeutet, dass die nationalen Umwelten der Medien in aller Regel bedeutsamer sind als die globalen und die Dependenzverhältnisse insofern weitgehend national geprägt sind. Eine „positive“ Interdependenz, wie bei Rosecrance im Verhältnis zwischen manchen Staaten oder bei multinationalen Einheiten wie der EU, gibt es bei Massenmedien im Grunde nicht. Dadurch ist auch der Dependenzdruck in Richtung einer Synchronisation der Weltöffentlichkeit und -gesellschaft (siehe oben) gering ausgeprägt.
Die Ursache für die weitgehende nationale Entkoppelung der Massenmedien liegt in dem prinzipiell anderen Charakter der Austauschverhältnisse. Anders als die meisten materiellen Waren der Ökonomie etwa sind Medien als kulturelle Produkte vielfach kontextabhängig und – frei nach dem Zitat von Karl W. Deutsch „Human relations are […] far more nationally bounded than movements of goods“ (siehe oben) – nur schwer exportierbar. Menschen mögen weltweit die gleichen Autos fahren – dieselben Medien nutzen sie nur sehr bedingt. Grenzüberschreitende Mediennutzung ist in bestimmten sprachlichen Großregionen (dem deutsch-, spanisch- oder arabischsprachigen Raum usw.) durchaus vorhanden, sonst jedoch auf bestimmte Sondersituationen und -gruppen beschränkt. Allerdings gibt es bei nationalen Medien eine gewisse Hierarchie, wonach Ton und Bild Grenzen leichter überwinden als Texte und gerade im fiktionalen Unterhaltungsbereich ist der Im- und Export von Musik und Filmen weit verbreitet, wenn auch mit einer klaren Tendenz eines Nord-Süd-Gefälles (Hafez/Grüne 2016). Medien sind also nicht transnational, einzelne ausländische Produkte werden aber in nationale Medien integriert, was zu einem globalen Austausch beiträgt, der die Phantasie vor allem der ersten Welle der Globalisierungsforschung beflügelt hat (z.B. die Nachfrage nach Hollywoodfilmen in Asien). Allerdings sind auch bei Unterhaltung eher fiktionale Narrationen globalisierbar; schon bei Unterhaltungsshows lassen sich nur die Formate, nicht aber die Shows selbst im- und exportieren und müssen national oder regional reproduziert werden, was zu Verschiebungen im Produktions- und Rezeptionsprozess und damit in der Synchronisation der Medien führt (Grüne 2016). Auf der Ebene des Nachrichtenjournalismus aber werden die Informationsrohstoffe über die Weltlage importiert und von nationalen Mediensystemen lokal neu montiert.
Geht man vom bereits erwähnten „Fließgleichgewicht“ aus, wobei Medien, Politik und andere Sozialsysteme zwar autonome Programme verfolgen, aber immer auch zu Anpassungsleistungen an ihre jeweilige Umwelt gezwungen sind (Kunczik 1984, S.205ff., 212ff., vgl. a. Endruweit 2004, S.67ff.), dann findet dieser Abgleich bei Massenmedien nicht wie bei anderen Sozialsystemen zum Teil grenzüberschreitend statt, sondern die Interdependenzverhältnisse konzentrieren sich weitgehend auf den nationalstaatlichen Raum. Auf der Basis des bisherigen Forschungsstandes lassen sich folgende Leitgedanken für die spezifischen Interdependenzverhältnisse der Massenmedien formulieren (Hafez 2002a, Bd.1, S.130ff.):
Medien/Politik: Die nationale Medienpolitik gibt die politischen Rahmenbedingungen der Medien vor und nationale Medien und nationale Außenpolitik beeinflussen sich in der Regel in der Auslandsberichterstattung stark (Indexing-Hypothese, CNN-Effekt usw., vgl. Kap. 9.3). Der Einfluss anderer Länder auf die nationalen Medien ist im Vergleich dazu in der Regel marginal, was dazu führt, dass die Sichtweise der Welt oft sehr – und insbesondere in extremen Krisenzeiten – von der heimischen Außenpolitik bestimmt wird.
Medien/Wirtschaft: Medienmärkte sind vor allem im Bereich der Direktinvestitionen nur bedingt global verflochten (vgl. Kap. 2.1). Es dominieren in der Tendenz die Belange nationaler Märkte, was dazu führt, dass die nationale Nachfrage die Inhalte beeinflusst (Ausnahme Auslandsrundfunk, der allerdings eher zum politischen System und zur Public Diplomacy zu zählen ist).
Medien/Gesellschaft: Die starke Abhängigkeit von nationalen Publika führt in der Auslandsberichterstattung in jedem einzelnen Mediensystem dieser Welt zu einer ständigen Reproduktion von ethnischen und religiösen Stereotypen, die allerdings gerade unter dem Einfluss des (interaktiven und dependenten) politischen Systems auch wandlungsfähig sein können. Zumindest die organisierte kosmopolitische Zivilgesellschaft ist zumeist „strukturschwach“; kulturelle und lebensweltliche Umwelten lassen sich jedoch als diffuse Umwelten nur schwer generalisieren (siehe unten).
Medien/Journalismus: Auf der Mikro- und Mesoebene des Journalismus bestehen Mediensysteme meist aus national sozialisierten Journalisten, multikulturelle Redaktionen sind eher die Ausnahme als die Regel, was schon mit der notwendigen perfekten Sprachkompetenz zu erklären ist. Auslandskorrespondenten und -korrespondentinnen sind nur bedingt als