Grundlagen der globalen Kommunikation. Kai Hafez

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Grundlagen der globalen Kommunikation - Kai Hafez

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und Medien sollten im besten Falle kritische Beobachtungsleistungen der Sozialsysteme übernehmen. Aber es gibt auch in Demokratien Momente, in denen die Systeme einen Schulterschluss vollziehen. Das sogenannte „Fließgleichgewicht“ der System-Umwelt-Beziehungen tendiert dann zur Anpassung und Vereinheitlichung. So kann es auch in Demokratien in Momenten der patriotischen oder populistischen Mobilisierung zu einer Marginalisierung und Sanktionierung abweichender Meinungen kommen (Grüne 2019a).

      Wichtiger noch als die besonderen Bedingungen von Krisensituationen ist aber die Konventionalisierung der lebensweltlichen Kommunikation. Während in Diktaturen die produktive Kreativität immer auch Selbstermächtigung bedeutet, ist diese in Demokratien oft nicht mehr stark herausgefordert. Wie Hubert Knoblauch beschrieben hat, ist aber auch in differenzierten Lebenswelten die Herausbildung von kommunikativen Konventionen und Routinen zu beobachten (1996). Die Lebenswelt erzeugt in diesem Fall „träge Strukturen“, die nicht geeignet sind, in die Systeme zurückzuwirken. Hierin liegt möglicherweise eine Erklärung für den langsamen kosmopolitischen Wandel moderner Gesellschaften. Stereotype und Fremdbilder halten sich hier erstaunlich konstant und die Trägheit, die der Reproduktion falsch typisierter Bilder innewohnt, setzt sich in den Reise- und Dialogrouten vieler Menschen fort.

      Das Verhältnis von Lebenswelt und System ist also unter den Bedingungen globaler Entwicklungen noch einmal ganz neu zu bewerten. Sozialsysteme haben gegenüber lebensweltlichen Akteuren den Vorteil, dass ihnen deutlich mehr Ressourcen für eine organisierte Beobachtung der Welt zur Verfügung stehen – unabhängig davon, wie gut oder umfangreich dieser Vorteil umgesetzt wird. Sowohl Individuen als auch Kleingruppen können die Welt jeweils nur selektiv beobachten und bereisen, während sich beispielsweise die Außenpolitik ein umfängliches Bild erarbeiten kann. Das Wissenschaftssystem kann wiederum detailreiches Faktenwissen erzeugen, wo Einzelne hauptsächlich Erfahrungswissen sammeln. In den meisten Fällen sind die Menschen in ihren privaten Alltagsexistenzen daher abhängig von den Wissenssystemen der Systeme, wenn es um ihre Globalisierungskompetenz geht.

      Allerdings wäre es zu einfach, von einer einheitlichen Dominanz der Systeme über Lebenswelten auszugehen. Denn globale Entwicklungen sind gerade auch von den räumlichen Grenzüberschreitungen lebensweltlicher Akteure abhängig. Diese können für Einzelne erzwungene biografische Herausforderung darstellen (z.B. Arbeitsmigration), sie können aber auch emanzipatorischen Charakter haben, wenn private Auslandsreisen möglich werden oder die Referenzen alltagskultureller Orientierungen nicht mehr nur an den Nahraum des alltäglichen Wirkens gekoppelt sind (z.B. globale Fankulturen).

      Lebensweltliche Akteure können gerade im Kontext ihrer je eigenen Welterfahrung ebenso Globalisierungsleistungen vollbringen. Mobile Gesellschaftseliten sind beispielsweise in der Lage, neue Balancen zwischen ihrer Eigenbeobachtung globaler Realitäten und jenen Beobachtungs-Beobachtungen der Massenmedien zu stiften. Ihr Spezialwissen kann für eine Gesellschaft in bestimmten Momenten globaler Konfliktpotenziale sogar ganz entscheidend sein (z.B. Länderexperten). Auch neue Kontakterfahrungen durch kurzfristige private globale Interaktionsmomente können stereotype öffentliche Diskurse zumindest im Privaten irritieren und zu Normkonflikten als Teil kultureller Transformationen beitragen. Schließlich erlauben die netzbasierten Medienumwelten vielen Menschen heute auch, sich selbst auf die individuelle Suche nach digitalen globalen Kontakten und globalem Wissen zu begeben, was nicht zuletzt wieder Einfluss auf die Dynamik globaler Netzwerke haben kann, wenn sich Menschen grenzüberschreitend sozial formieren.

      Je nachdem, wie ausgeprägt die jeweiligen globalen Beobachtungs- und Interaktionsleistungen der unterschiedlichen lokalen Akteure sind, haben sie also auch einen variierenden Einfluss auf horizontale Interdependenzverhältnisse zu Lebenswelten jenseits der Grenzen wie auch anderen Sozialsystemen innerhalb wie außerhalb der eigenen staatlichen Grenzen. So kann die Weltbeobachtung des einen lokalen Akteurs mit der globalen Interaktionserfahrung des anderen Akteurs in Konflikt stehen. Es ist insofern nicht nur die Differenzierung der kommunikativen Modi, die uns helfen wird, die globale Verstehensleistung einzelner gesellschaftlicher Akteure zu charakterisieren, sondern es ist auch der jeweilige kommunikative Vermittlungsprozess zwischen gesellschaftlichen Akteuren, der uns die oft ambivalenten globalen Entwicklungen erklären kann.

      Fazit: Horizontale und vertikale Interdependenzen im dominanten und akzidentellen Modus

      Als Problem der Interdependenz erweist sich, dass die Theorie nicht international eingebunden ist. In der globalen Kommunikation werden die potenziellen Interdependenzen vervielfältigt, da zu den nationalen noch beliebig viele internationale Einflussgrößen kommen (vgl. Abbildung 1.4).

      Abb. 1.4:

      Globale kommunikative Interdependenzen

      Am Ende lassen sich in der Vielfalt der sich überlappenden Interdependenzverhältnisse, die für die Analyse globaler Kommunikation wichtig sind, zwei zentrale Dimensionen ausmachen, die es im Blick zu behalten gilt:

       Horizontale globale Interdependenzen zwischen gleichen System-/Lebenswelttypen (z.B. Politik-Politik in der Diplomatie) stehen in einem dynamischen Wechselverhältnis zu vertikalen (lokalen und globalen) Interdependenzen zwischen ungleichen Systemen/Lebenswelten (z.B. Politik-Medien-Lebenswelten). Als Leitfrage kann hier gelten, ob die Prägung durch lokale Umwelten dort abnimmt, wo sich die globalen Beziehungen zwischen gleichen Systemen oder gleichen Lebenswelten intensivieren (siehe oben zum Beispiel Win-Win-Situationen der Außenpolitik im Unterschied zur lokalen Prägung der Massenmedien).

       Globale Distanzbeziehungen verleihen den Systemen durch ihre gesteigerten Mobilitätsressourcen eine dominante Stellung, wobei traditionell die Abhängigkeit der Medien von der Politik und der Menschen von den Medien hervorgehoben wird. Zugleich gibt es aber zahlreiche akzidentelle Mechanismen, mit denen sich vermeintlich schwächere Systeme (z.B. Massenmedien) und Lebenswelten (z.B. Gruppen und Gemeinschaften) unter Ausnutzung neuer horizontaler globaler Bindungen neue lokale Autonomiefreiräume und sogar einen inversen gesellschaftlichen Einfluss auf die Globalisierung verschaffen können.

      2 Massenmedien und Weltöffentlichkeit

      Zu den theoretischen Prämissen dieses Buches gehört es, dass der dominante Kommunikationsmodus von Massenmedien sich gegenüber anderen Sozialsystemen und Lebenswelten durch einige Eigenheiten auszeichnet, die auch für die globale, grenzüberschreitende Kommunikation prägend sind. Massenmedien stellen keine interaktive Beziehung zwischen Akteuren her wie in Politik, Wirtschaft oder Lebenswelten, sondern sie sind Beobachtungssysteme. Interaktion zwischen Massenmedien oder Medien und Rezipienten ist zwar möglich, der primäre Kommunikationsmodus bleibt aber monologisch-diskursiv. Massenmedien senden vornehmlich in eine Richtung, vom Produzenten zum Konsumenten. Hier entsteht also keine „Weltgemeinschaft“, sondern bestenfalls „Weltöffentlichkeit“.

      Globale Kommunikation des Beobachtungssystems der Massenmedien muss daher anders konzipiert werden als bei Handlungssystemen, wo stets interaktive und beobachtende Kommunikationsmodi zu unterscheiden sind. Die größte Herausforderung der Theorie der Massenmedien besteht hingegen in der Ambivalenz des Diskursbegriffs. Mediale Diskurse sind monologisch, aber Medienproduzenten sind in der Lage, Vorstellungen verschiedener Gesellschaftsakteure so zu arrangieren, dass ein Als-Ob-Gespräch entsteht. Im globalen Rahmen ist hierfür im Theoriekapitel der Begriff der Synchronisation von Weltöffentlichkeit geprägt worden. Die Kernfrage lautet hier also nicht, wie bei anderen Sozialsystemen, in welchem Verhältnis interaktive und beobachtende Kommunikationsmodi zueinander stehen, sondern ob die beobachtende Kommunikation konsistent praktiziert und ein globaler Diskurs durch die Medien ermöglicht wird.

      Die Gliederung des nachstehenden Kapitels ergibt sich aus diesem Grundproblem, da gemäß unserem System-Lebenswelt-Netzwerk-Ansatz zunächst die Grundstruktur des Systems der Massenmedien vorgestellt werden muss, dann seine Diskurs-

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