Grundlagen der globalen Kommunikation. Kai Hafez
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Hans-Jürgen Bucher hat allerdings darauf hingewiesen, dass gerade in Krisenzeiten eine verstärkte globale Mediennutzung zu beobachten ist (2005). Seit dem Kosovokrieg, den Attentaten des 11. Septembers 2001 und dem Irakkrieg 2003 suchen kritische Segmente des Publikums im Internet nach Informationen in digitalisierten klassischen wie auch in alternativen Massenmedien, die sie in ihren Heimatmedien nicht bekommen. Zwar ist die Qualität dieser erweiterten Hypermedialität umstritten, da die Quellen zum Teil dubios sind (Lewis 2010, S.123). Gerade soziale Bewegungen haben aber Medien gebildet, die nicht nur alternative globale Öffentlichkeiten erzeugen können, sondern auch als „Interlokutoren“ fungieren und Medienagenden grenzüberschreitend verbinden können (Volkmer 2014, S.141ff., vgl. a. Kap. 5). Zugleich sind die zeitlich begrenzten und auf Informationseliten beschränkten Reichweiten dieser Prozesse noch zu geringfügig, um von einem globalen „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ (Bucher 2005, S.214) sprechen zu können.
Fazit: Interdependenzlücken und die Globalisierung der zwei Geschwindigkeiten
Resümierend lässt sich sagen, dass globale Massenmedienkommunikation heute immer noch sehr weitgehend durch nationale Mediensysteme geleistet wird. Der weltweite Flickenteppich aus egozentrierten Mediensystemen ist zwar auf Produktions- und Rezeptionsebene durch transnationale Produktions- und Rezeptionsstrukturen erweitert worden. Diese Komplementarität aber folgt der bestimmenden Regel der Subsidiarität, wonach nationale Systeme nicht nur den größten Teil der Nachrichtenproduktion, sondern auch weite Teile des Unterhaltungswesens beherrschen und durch internationale Produkte allenfalls ergänzen. Transnationale Produkte – CNN, Hollywood – sind zwar große Prestigeprojekte, die dem Medienkonsum eine wichtige globale Komponente hinzufügen, ohne aber die Vorherrschaft lokaler Strukturen zu beseitigen.
Im Bereich von Medienpolitik und -recht setzt der Nationalstaat zudem noch immer entscheidende Rahmenbedingungen, die durch technisch-funktionale globale Regelungen eher ergänzt als ersetzt werden. Medienmärkte sind nur sehr bedingt global interdependent. Anders als die interaktiven Sozialsysteme der Politik, Wirtschaft usw. verbleibt die massenmediale Kulturproduktion in ihrem primären Modus der (Welt-)Beobachtung strukturell hochgradig selbstreferenziell. Von dieser Tendenz ausgenommen sind alternative Informationsflüsse und Öffentlichkeiten, die auf eine Globalisierung der „zwei Geschwindigkeiten“ verweisen. Globale Massenkommunikation ist ein Minderheitenphänomen, wobei Informationseliten sowohl unter Produzenten wie auch Konsumenten systematisch versuchen, nationale Grenzen des Medienraums zu erweitern und eine stabile Weltöffentlichkeit zu erzeugen.
2.2 Kommunikative Systemverbindungen
Gemäß unserem grundlegenden System-Lebenswelt-Netzwerk-Ansatz ist eine rein strukturalistische Betrachtung der globalen Massenkommunikation unzureichend. Mediensysteme kommunizieren über Grenzen hinweg, aber sind ihre Beobachtungsleistungen deswegen auch synchronisiert im Sinne der Schaffung eines gemeinsamen globalen Mediendiskurses und einer transnationalen Weltöffentlichkeit? Oder haben wir es eher mit separaten nationalen Mediendiskursen zu tun, die untereinander unvernetzt bleiben? Unsere Analyse erfolgt in zwei Schritten, wobei zunächst der empirische Forschungsstand zu Inhaltsanalysen der globalen Massenkommunikation aufgearbeitet wird, bevor anschließend eine Bewertung des Ist-Zustandes vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Synchronitätsananforderungen der deliberativen Öffentlichkeitstheorie und der Systemtheorie erfolgt.
2.2.1 Diskursanalyse
Grundlagen: Interdiskursivität, Konvergenz und Domestizierung von Mediendiskursen
Das „Weltbild“ der Medien ist ein Diskurs, der textlinguistisch aus Makro- und Mikropropositionen besteht (van Dijk 1988, Hafez 2002a, Bd.1, S.45ff.). „Themen“ beispielsweise sind Makropropositionen eines Textes, die eng mit der kommunikationswissenschaftlichen Theorie des Agenda Setting verbunden sind, also mit der Frage, worüber Medien (und infolgedessen Rezipienten und Rezipientinnen) nachdenken. Themen umfassen ihrerseits Mikropropositionen wie Frames und Stereotype, also handlungsorientierte Argumentmuster eines Textes wie auch attributive Charakterisierungen (z.B. von Nationen oder sozialen Gruppen) (Entman 1993, Thiele 2015). Während Themen-, Framing- und Stereotypenanalysen auf Basis von Einzeltexten untersucht werden können, umfasst der Diskursbegriff auch Beziehungen zwischen Texten (Intertextualität, Konerding 2005). Der öffentliche Diskurs ist kein interaktives Gespräch im Sinne einer gemeinsamen Sinnproduktion, er bleibt monologisch, verfügt aber insofern über dialogähnliche Eigenschaften, als intertextuelle Bezugnahmen zu anderen Texten erkennbar sind. Intertextuelle Diskurse wiederum besitzen eine Integrationsfunktion und erzeugen durch ihre sprachliche Verständlichkeit Diskursgemeinschaften (Öffentlichkeiten).
Die Frage ist nun, inwieweit die strukturell relativ getrennten nationalen Mediensysteme dieser Welt eine transkulturelle Mittlerfunktion wahrnehmen, indem sie nationale Diskurse miteinander synchronisieren und einen globalen und transkulturellen „Interdiskurs“ schaffen, wobei Eigen- und Fremdverstehen verbunden werden (Hafez 2002a, Bd.1, S.163ff.). Kongruenz und Differenz der lokalen Diskurse müssten dazu in der Auslandsberichterstattung ermittelt und „übersetzt“ werden. Dabei kann es zu erheblichen Schwierigkeiten kommen, da sich nicht nur die Themenauswahl und die Interpretationen in verschiedenen Diskursgemeinschaften unterscheiden können, sondern auch das Kontextwissen mit der Entfernung zum internationalen Geschehen naturgemäß abnimmt und vom Auslandsjournalisten vermittelt werden muss (Hafez 2002a, Bd.1, S.65f.). Der Prozess wird auch dadurch verkompliziert, dass akustische, visuelle und textuelle Zeichen unterschiedliche Logiken in der globalen Kommunikation haben. Während Musik und Bilder relativ einfach Grenzen überschreiten und scheinbar „selbsterklärend“ sind, müssen Texte übersetzt, aufbereitet und kontextualisiert werden. Aber auch Bilder sind nur auf den ersten Blick nicht erklärungsbedürftig und daher oft hochmanipulativ.
An die interdiskursive Synchronisation werden verschieden strenge Maßstäbe angelegt. Aus der Konvergenzperspektive besteht die Aufgabe des Journalismus darin, Diskurse anderer Systeme nicht nur umfassend und exakt wiederzugeben, sondern sie auch im Eigendiskurs sinnvoll zu erklären und somit nationale Diskurse zu verbinden und globale Perspektiven zu erzeugen (Stanton 2007, Hafez 2002a, Bd.1, S.24ff.). Als zentrale Merkmale gelten a) Themenkonvergenz, b) zeitliche Synchronität und Intensität und c) Deutungs- und Sprecherkonvergenz (Tobler 2006, Ulrich 2016, S.114). Die Unterscheidung zwischen Deutungs- und Sprecherkonvergenz ist insofern wichtig, als zwar Deutungen von Themen national abweichen können, außernationale Diskurse aber durch Sprecher repräsentiert sein müssen, so dass Responsivität entsteht. Die Vorstellung konvergenter Interdiskursivität in der Weltöffentlichkeit orientiert sich an der deliberativen Öffentlichkeitstheorie (vgl. Kap. 2.2.2).
Aus der Domestizierungsperspektive wird Auslandsberichterstattung für nationale Zielgruppen konzipiert, wobei die Art der Weltbildkonstruktion keine Referenzen jenseits des eigenen, geradezu autarken Beobachtungssystems berücksichtigen muss (Renneberg 2011, S.45ff.). Die Konvergenzsicht kritisieren diese Autoren als „methodologischen Konnektivismus“ (Werron 2010, S.143), dem sie