Humanbiologie. Hynek Burda

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Humanbiologie - Hynek Burda utb basics

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von Ardipithecus auffällig primitiv war, war seine Hand überraschend modern, vom menschlichen Typ, was verschiedene Hypothesen zweifelhaft erscheinen lässt, nach denen die Greifhand mit verlängertem, opponierbaren Daumen, der eine Feinmanipulation von Objekten erst ermöglicht, eine fortschrittliche menschliche Anpassung sei. Der Schädel von Ardipithecus war klein, ähnlich dem Schädel von Sahelanthropus, und ähnelte weniger den Schädeln von Menschenaffen oder Australopitheken; das Gesicht war auffällig flach, der Kiefer kurz. Ein sehr markantes Merkmal der Ardipitheken war ihr geringer Geschlechtsdimorphismus in Körpergröße und Eckzahnlänge, was auf geringe Konflikte unter den Männchen hinweist.

      Das Studium des Ardipithecus zeigt deutlich, dass die naive Vorstellung eines „Übergangsgliedes“ (oder arithmetischen Durchschnitts) zwischen Schimpanse und Mensch (oder Australopithecus) nicht stimmig ist. Weiterhin wurde bestätigt, dass ein altes Fossil nicht unbedingt primitiv sein muss. Die abgeleiteten „menschlichen“ Merkmale (Lokomotion, Anatomie der Hand, Reduktion der Eckzähne) erschienen bereits am Anfang der menschlichen Evolution. Es handelt sich also nicht um Anpassungen, die mit der Herstellung und Nutzung fortschrittlicher Werkzeuge zusammenhängen. Darüber hinaus zeigt sich, dass Schimpansen kein geeignetes Ausgangsmodell sind, um Überlegungen über den Anfang der Evolution des Menschen anzustellen.

      Bemerkenswert ist, dass wir viele „menschliche“ evolutionäre Neuheiten auch bei dem Menschenaffen Oreopithecus bambolii aus dem Miozän (Fundort Italien) finden. Bei diesem Primaten handelt es sich aber nicht um einen nahen Verwandten des Menschen, sondern um einen den Dryopitheken verwandten basalen Hominoiden. Aber gerade dies zeigt, dass die Evolution der menschlichen Linie durch parallele oder konvergente Evolution vernebelt ist.

      2.2.2 Australopitheken

      Australopitheken waren üblicherweise klein (120–140 cm), mit kleinem Hirnvolumen (430–530 cm3), vollkommen biped (wenngleich auf eine Art, die sich von der Bipedie des modernen Menschen wahrscheinlich unterschieden hat) (Abb. 2.5). Sie waren überwiegend herbivor, teilweise arborikol und ausgeprägt sexuell dimorph, zumindest ausgeprägter als Schimpansen und moderne Menschen. Wir sollten uns bewusst sein, dass aus der Tatsache, dass jemand in die menschliche Linie gehört (und nicht in die der Schimpansen), nicht automatisch folgt, dass er dem Menschen ähnlicher ist als einem Schimpansen.

      Abb. 2.5: Körpergröße einiger Hominiden im Vergleich.

      2.2.2.1 Australopithecus

      Die gegenwärtige Literatur kennt sechs Arten von Australopithecus, die äthiopischen Arten A.anamensis (3,9–4,2 mya), A.afarensis (2,9–3,9 mya, unter anderem die berühmte „Lucy“) und A.garhi (2,6 mya), weiterhin A.bahrelghazali (3,6 mya) aus dem Tschad, und die südafrikanische Arten A.africanus (2–2,9 mya) und A.sediba (1,9–2 mya) (Abb. 2.6).

      Abb. 2.6: Schädel von Australopithecus afarensis. Der Schädel war niedrig, robust, mit ausgeprägten Überaugenwülsten, breiten Jochbögen und mächtigem Unterkiefer ohne Kinn.

      Phylogenetisch gelten wohl A.anamensis und A.afarensis als basale Vertreter der Menschenlinie, die sich gleich nach dem Ardipithecus abgespalten haben, wobei A.anamensis eher der Vorfahr oder die Schwesterart von A.africanus ist. A.africanus ist bereits näher mit den Gattungen Paranthropus und Homo verwandt, während A.sediba unmittelbar mit der Gattung Homo verwandt sein könnte (vielleicht sogar mehr als der klassische „Urmensch“ H.habilis). Die Stellung der Arten A.garhi und A.bahrelghazali ist unsicher. (A.garhi steht vielleicht näher bei Paranthropus; A.bahrelghazali ist möglicherweise nah verwandt zu A.afarensis.)

      Eine rätselhafte Art bleibt Kenyanthropus platyops (Kenia, 3,2–3,5 mya), welche nur anhand eines sehr beschädigten Schädels beschrieben wurde und phylogenetisch wohl zwischen den Gattungen Australopithecus (wahrscheinlich wieder A.afarensis) und Homo einzuordnen ist.

      2.2.2.2 Paranthropus

      Die zweite Gruppe von Australopithen, die sogenannten robusten Australopitheken, werden heute üblicherweise in die selbständige Gattung Paranthropus eingeordnet. Hierzu zählen drei Arten, P.aethiopicus (Kenia und Äthiopien, 2,7–2,5 mya), P.boisei (Kenia und Tansania, 2,6–1,2 mya) und P.robustus (Südafrika, 1,2–2 mya), möglicherweise auch die fragliche Art A.garhi. Alle repräsentieren einen besonderen und sehr abgeleiteten Nebenast der menschlichen Phylogenese. Sie illustrieren die Tatsache, dass die „Menschwerdung“ in der Evolution der Hominina kein allgemeiner Trend war.

      Paranthropen waren relativ große bipede Herbivoren, die vielleicht zumindest teilweise auf harte pflanzliche Nahrung (Knollen, Wurzeln, Samen, Gräser usw.) spezialisiert waren. Sie wiesen einen ausgeprägten Geschlechtsdimorphismus auf, der eine „gorilla-artige“ Haremslebensweise indiziert. Trotz ihrer Abweichung vom „Weg zum modernen Menschen“ waren es erfolgreiche Arten, die erst relativ spät ausgestorben sind. P.robustus und P.boisei koexistierten zweifellos noch mit H.ergaster.

      Im folgenden Text werden wir von einem Konzept mehrerer Arten ausgehen. Dies ist auch aus praktischen Gründen sinnvoll: Es ist besser, wenn man Formen klar benennen kann, die spezifische evolutionäre Trends zeigen und bestimmte geografische und stratigrafische Verbreitungsmuster sowie eine unterschiedlich nahe Verwandtschaft mit dem modernen Mensch aufweisen (Box 2.4 und 2.5).

      Box 2.4

      Die Anzahl der Arten von fossilen Menschen: traditionelle Sicht

      Die Anzahl der Arten, die die Gattung Homo bilden, ist unklar und langfristig instabil. Sie schwankt, je nach wissenschaftlicher Meinung, zwischen zwei (H.erectus und H.sapiens) und 10–15 (Abb. 2.4). Auf ein allgemein gültiges Artkonzept konnten sich die Biologen bis heute nicht einigen; (siehe Box 1.2); in der Paläontologie ist das Problem besonders ausgeprägt, denn über die Populationsbeziehungen unter ausgestorbenen Organismen wissen wir – bis auf wenige Ausnahmen – nichts. Und in der Paläoanthropologie ist es am schlimmsten, weil das Thema auch ideologischen Zündstoff enthält. Die Anzahl fossiler Menschenarten, die gegenwärtig in der paläoanthropologischen Literatur diskutiert wird, liegt etwas höher als die Artenzahl in anderen Gruppen von Säugetieren mit vergleichbarer Körpergröße. Es könnte sich dabei um ein taxonomisches Artefakt handeln, sozusagen um eine anthropozentrische Fehleinschätzung. Denn die Unterschiede zwischen Menschenpopulationen erscheinen uns, den Menschen, wahrscheinlich augenfälliger und damit „bedeutender“ als Unterschiede zwischen Populationen von, z.B. Kängurus. Die große Zahl fossiler Menschen könnte jedoch auch tatsächlich vorhandene spezielle evolutionäre Prozesse widerspiegeln (z.B. eine erhöhte Tendenz zur Artbildung aufgrund sexueller Selektion). Dies kann natürlich nicht entschieden werden. Es ist nichtsdestoweniger wichtig zu verstehen, dass die Evolution des Menschen (genauso wie die Evolution von was auch immer) die Form eines Baumes mit parallelen und langfristig koexistierenden Zweigen hat, nicht die Form einer Leiter.

      Eine unmittelbare lineare Abfolge von Ahnen und Nachkommen, wie wir sie aus den Lehrbüchern kennen („Australopithecus-habilis-erectus-sapiens“), existierte nie. Im Gegenteil, während der gesamten menschlichen Evolution koexistierten mehrere sympatrische Arten, z.B. Ardipithecus + Australopithecus afarensis (3,4 mya), P.aethiopicus + H.habilis + H.rudolfensis (2,5–2 mya), P.boisei + H.habilis + H.ergaster (2–1,5 mya), Australopithecus sediba + H.habilis (2–1,75 mya), P.boisei + H.ergaster (1,5–1 mya) (Abb. 2.4). Dieser Sachverhalt setzte sich auch später noch fort, als verschiedene Arten der Gattung Homo gleichzeitig lebten. Er endete erst vor wenigen Zehntausend Jahren. Die gegenwärtige isolierte Existenz einer einzigen Art, H.sapiens, ist also erst unlängst entstanden und etwas durchaus Besonderes, das es so in der Vergangenheit nie gegeben hat. Es lässt sich nur noch darüber spekulieren, wie sehr

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