Handbuch der Soziologie. Группа авторов

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reflektiert die Korrelation von gesellschaftlicher Organisation und geistigem Zustand. Dem Aberglauben der theologischen Phase, die vom Fetischismus über den Polytheismus bis zum Monotheismus reicht, korrespondiert die Theokratie als soziale Organisationsform, die militärisch geprägt ist. In der metaphysischen Phase sucht der menschliche Geist nicht mehr nach göttlichen Ursachen für Dinge, die er sich nicht erklären kann, sondern konstruiert Abstrakta – Wesenheiten, denen tatsächliche Kräfte und Qualitäten zugesprochen werden können. In sozialer Hinsicht korrespondiert diese Phase mit der Entwicklung des Rechts sowie mit der Krise des Rechts, die in die Revolution münden wird und die sie [35]auch darstellt. Die Entwicklung des menschlichen Geistes finalisiert sich schließlich im positiven Stadium, in dem Ordnung und Fortschritt miteinander versöhnt sind. In diesem »endgültigen Stadium rationaler Positivität« ist die Einbildungskraft ständig der wissenschaftlichen Beobachtung untergeordnet (Comte 1994: 15).

      Dieser Positivismus hat viele Wissenschaftler beflügelt, insbesondere in Frankreich, dem ersten Land, in dem Soziologie sich als Fach an Universitäten etablieren konnte. Der Prozess ist mit dem Namen Émile Durkheim (1858–1917) verbunden, der wie kaum ein anderer Wert auf die wissenschaftliche Autonomie der Soziologie gegenüber anderen Fächern gelegt hat.

      Parallele Entwicklungen einer Positionierung der Wissenschaft von der Gesellschaft im Rahmen der Evolution des menschlichen Geistes und seiner sozialen Einrichtungen finden sich auch in England. Einflussreich wurde die synthetische Philosophie Herbert Spencers. Ihr Ziel war es, alles verfügbare Wissen in einer universalen Entwicklungslehre zu integrieren (Spencer 1901). Seine Definition von Entwicklung lautet: Entwicklung führt von unzusammenhängender Gleichartigkeit zu zusammenhängender Ungleichartigkeit. Es handelt sich um ein universales Entwicklungsgesetz, das für Himmelskörper, Organismen und Gesellschaften gleichermaßen gilt und für dessen Nachweis Spencer zehn Bände plant und diese in 35 Jahren auch bis auf die geplante Seitenzahl fertigstellt (ein Vergleich zu Luhmanns Zeitplanung bietet sich an).

      Bemerkenswert ist die Wendung, die er der Formel vom »Kampf ums Dasein«, die er vor Darwin prägte, gab. Dieser Kampf ist kein letztes Prinzip oder Endzweck, sondern ein Mittel, mit dem sich Gesellschaft als ein Aggregat von Individuen entwickelt. Soziale Aggregate, die voneinander abhängig werden, z. B. zwei gleichartige, aber getrennte Siedlungen, werden in der Entwicklung zu einer Einheit mit innerer Differenzierung. Gesellschaftliches Wachstum durch Integration, Desintegration und höhere Integration vollzieht sich entsprechend der evolutiven Bewegung von unzusammenhängender Gleichartigkeit zu zusammenhängender Ungleichartigkeit. Die Theorie funktionaler Differenzierung ist bei Spencer voll ausgebildet.

      Für Spencer ist jede Gesellschaft ein organisiertes Ganzes, an dessen Entwicklung auch diejenigen mitarbeiten, die dagegen sind oder ahnungslos, und das sind die meisten. Wie bei anderen in dieser Zeit auch, kann mit dem Organismusmodell die Erfahrung der ungesellschaftlichen Gesellschaftlichkeit entfesselter Marktgesellschaften theoretisiert und eine Perspektive der Erlösung aus den Übeln gegeben werden. Die Fülle sozialer Konflikte und Spannungen, die schwankenden Ungleichheiten der Lebenslagen können als organische Wachstumskrisen interpretiert werden. Dass Teile einer Gesellschaft ungleich werden, dass soziale Bindungen zerreißen, – diese Phänomene der Auflösung von Gemeinschaftlichkeit in entfesselten Marktgesellschaften werden als Signale einer Krise wahrgenommen werden, die jedoch nur eine Etappe auf der evolutiven Stufenleiter darstellt. Damit gewinnt der ungesellschaftliche Egoismus der Wirtschaftssubjekte eine zusätzliche Bedeutung. Darin kommt nicht nur ein utilitaristisches Streben nach Glück zum Ausdruck, sondern im Organismus der Gesellschaft stellt Egoismus ein Indiz des Wachstums dar. Wachstum heißt eben Ungleichgewicht, heißt aber zugleich Höherentwicklung und Ausdifferenzierung von Funktionen. Alle Rätsel finden in der Entwicklung ihre Lösung und alle Erlösung aus den Übeln einer zerrissenen Gegenwart geschieht durch Entwicklung.

      Während Spencer die Praxis des Manchester-Kapitalismus als Weg zu einer besseren Gesellschaft befürwortete, war die Theorie der gesellschaftlichen Evolution von Kulturen des Amerikaners Lewis Henry Morgan wegen ihrer Idee eines Urkommunismus für Sozialisten attraktiv (Morgan 1891). Die Evolution von der ersten Stufe der »Wildheit«, in deren Jäger- und Sammlergesellschaften eine auf Kollektiveigentum basierende matriarchale Organisation vorherrschte, über die Stufe der »Barbarei«, die eine patriarchale, auf dem Privateigentum basierende Organisation [36]von Agrikultur und Viehhaltung kannte, zur »Zivilisation«, deren Kennzeichen Städtebau und Schrift sind, ist für Morgan ein Curriculum, das alle Völker absolvieren.

      Morgans Unterscheidung zwischen einer »Societas«, die auf familialen Beziehungen, und einer »Civitas«, die auf Privateigentum beruht, inspirierte auch Ferdinand Tönnies. In der Jugendschrift der Soziologie in Deutschland, wie Max Weber Gemeinschaft und Gesellschaft von Ferdinand Tönnies genannt hat, werden nicht nur zwei grundlegende Sozialformen des Menschen, nämlich eben Gemeinschaft und Gesellschaft, unterschieden, sondern Tönnies lässt damit zugleich in einer historischen Reihe das Zeitalter der Gesellschaft auf das der Gemeinschaft folgen (Tönnies 1979). In den ersten Fassungen nannte er das Buch eine Studie zum Naturrecht. Mit Thomas Hobbes hatte sich Tönnies zuvor intensiv auseinandergesetzt. Wichtig wurde für Tönnies dann insbesondere eine von Henry Maine vorgenommene Differenzierung: Soziale Beziehungen, die auf Verträgen beruhen, sind grundlegend unterschieden von der Zuneigung in Familie, Nachbarschaft und Freundschaft (Maine 1917).

      Die Geschlechterfrage: Morgans These von einer matriarchalen Organisation frühester Gesellschaften hat insbesondere die europäische Frauenbewegung fasziniert. Ihr kam im Anschluss an Morgans Forschungen Friedrich Engels mit seiner viel gelesenen Schrift Der Ursprung der Familie, des Privateigenthums und des Staats entgegen (Engels 1975). Aber auch Auguste Comte gab seiner Soziologie eine enthusiastische feministische Wende, die seine Kollegen irritierte. Neben der wissenschaftlichen Vernunft, die die Ordnung der Dinge aufzeigt, und der Aktivität, die handelnd Fortschritt erzeugt, hat Comte schließlich als drittes Element dem femininen Gefühl eine besondere Funktion zugeschrieben. Dem Bündnis von wissenschaftlicher Grundlage und aktivem Fortschritt fehle »eine hinreichende Vertretung des höchsten menschlichen Regulators. Er kann nur gemäß einem Element, das ihm direkt eigen ist, wie das philosophische Element der Vernunft eigen ist und das populäre der Aktivität, würdig seine Stelle einnehmen. Dies ist das grundlegende Motiv des unumgänglichen Hinzufügens der Frauen zur erneuernden Koalition, sobald als ihre Tendenzen und Bedürfnisse ziemlich klar werden.« (Comte 2004: 248) So steht im positivistischen Gebet »Liebe als Prinzip, Ordnung als Grundlage und Fortschritt als Ziel« die Frau an erster Stelle (Comte 2004: 333).

      John Stuart Mill hat das Motiv, das Comte dazu bewegt hat, in den Hausandachten zur Verehrung der »Göttin Gesamtmenschheit« die »Mutter, die Gattin und die Tochter, als die Sinnbilder der Vergangenheit, der Gegenwart und Zukunft, und als die Erweckerinnen der drei socialen Gefühle Verehrung, Liebe und Güte« anzubeten, in der Liebesbeziehung Comtes zur Clothilde de Vaux gesehen (Mill 1968: 106 f.). Im Unterschied zu Comte hat Mill seine Verehrung von Harriet Taylor nicht so weit getrieben. Dennoch ist bekannt, wie sehr sich unter ihrem Einfluss die weiteren Auflagen seiner Principles of Political Economy sozialistischen Auffassungen annäherten. Mill schrieb seiner angebeteten Harriet geniale Qualitäten zu, Tugenden des Geistes und des Herzens »unparalleled in any human being he had known or read of« (Waentig 1924: XI). Die Grundgedanken des Essays über die Freiheit habe Harriet entwickelt – so die devote Widmung der Schrift. Hinzuzunehmen ist Mills berühmte Streitschrift zur Emanzipation der Frau (Mill 2012). Trotz aller Differenzen in den Konzepten des Positivismus liegen Mills »Seelenfreundin« Harriet Taylor und die »angelique influence« Clothildes auf Comte nah beieinander.

      Ihre gemeinsame Quelle ist die Saint-Simonistische Schule. Beiden galt die Befreiung der Frau und die Emanzipation des Fleisches als eine »cause sainte«. Die bisexuelle Gottesvorstellung von »Mapah« (Gott als Vater und Mutter) und die androgyne Anthropologie von »Evadam« ließen sich in der Gruppe dann doch nicht konfliktfrei in moralische Maximen umsetzen (Salomon-Delatour 1962). Man stritt sich, ob zwischen »unveränderlichen« Charakteren, für [37]die die Ehe gut ist, und den »veränderlichen«, für die eine promiskuitive Lebensweise

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