Handbuch der Soziologie. Группа авторов

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Romanen und literarischen Fantasien der Detektivliteratur eine neue soziologische Perspektive, nämlich die Zeitungsreportage, die die Bewohner einer Stadt darüber informiert, was in ihrer Stadt passiert. Denn die Großstadt ist der Ort, der fortwährend Neuigkeiten generiert. Presse und Großstadt gehören zusammen (Lindner 2007).

      Zu den frühen Formen des Journalismus zählt die Berichterstattung über Verbrechen, die sich in der Stadt ereignen. Reporter lungern vor den Polizeibüros herum, um Neues zu erfahren, oder sie nehmen an Gerichtssitzungen teil. Sie wagen sich in Stadtteile, die verrufen sind, und schreiben über sie. Sie kontrastieren die reichen und die armen Viertel. Zwischen den Gesinnungsblättchen der Linken und der monatlichen Einbruchsstatistik der Polizei informieren Reporterinnen und Reporter über eine Unmenge von News. Dazu bedienen sie sich spezieller Techniken, der Recherche, die in die Praxis der Soziologie eingehen werden. Sie fragen Leute aus, d. h. sie machen Interviews, und sie nehmen verdeckt an Sitzungen sonst geschlossener Gesellschaften teil, sie enthüllen Skandale und Schiebereien. Historisch gesehen ist gerade der amerikanische Journalismus Ende des 19. Jahrhunderts das große Laboratorium der Methoden der empirischen Sozialforschung: Interview, teilnehmende Beobachtung, Experiment. Für diese Entwicklung steht der Name Robert Ezra Park: Er ist zuerst Reporter und zeitweise Presseagent des farbigen Bürgerrechtlers Booker Washington, dann erhält er 1914 mit 50 Jahren eine kleine Stelle bei den Soziologen an der Universität in Chicago. Dort gerät er in Kontakt mit Ethnologen, aber er sagt sich, »why go to the North Pole or climb Everest for adventure when we have Chicago«, und wird Begründer der berühmtem Chicago School of Sociology, deren Produktionen bis heute Vorbilder für soziologische Fallstudien sind (Makropulos 1988).

[42]6.Glanz und Elend disziplinärer Spezialisierung

      Die universitäre Etablierung der Soziologie um 1900 fällt in eine Zeit, die durch zwei dramatische Prozesse gekennzeichnet ist: zum einen durch ein enormes Mengenwachstum wissenschaftlicher Publikationen, dem nur mit einer universitären Aufsplitterung von Disziplinen, Teildisziplinen und Unterdisziplinen beizukommen ist; zum anderen durch die Grundlagenkrise eines Wissenschaftsverständnisses, das sich am Ideal objektiver Erkenntnis der Wirklichkeit orientiert. Spezialisierung und Grundlagenkrise verstärken sich dabei gegenseitig. Die Psychologie trennt sich von der Philosophie, die Geografie von der Geschichtswissenschaft, die Religionswissenschaften von der Theologie. Aus Wissenstraditionen der Sprachwissenschaft, der Rassenkunde, der Altertumswissenschaften und der Archäologie entsteht die neue Disziplin der Völkerkunde, aus Geschichtsphilosophie und Nationalökonomie die Soziologie. Mathematik, Physik, Chemie, Biologie lösen ihre Verbindung mit der allgemeinen Philosophie und legen sich eigene Philosophien zu, die sie Theorie nennen, etwa »theoretische Mathematik«, »theoretische Physik« usw. Einige Philosophen wollen die Philosophie als das für die Prüfung von Wahrheit lange Zeit maßgebliche Fach nur noch als »Wissenschaftstheorie« betreiben, aber nicht alle Disziplinen wollen sich von diesen Theoretikern in ihre eigenen Fachtheorien reinreden lassen. Die arbeitsteilige Industrialisierung hatte die Universitäten erfasst und konnte genauso wenig Zusammenhalt und sinnhafte Kohärenz bieten wie die kapitalistische Gesellschaft. Und so ist es im Kern bis heute geblieben.

      Zweifellos ist der Wissenszuwachs in diesem System vorteilhaft für diejenigen, die ganz spezielle Informationen suchen und auch benötigen. Die Soziologie als ein spätes Fach an Universitäten ist mit der Spezialisierung von Bindestrich-Soziologien in diesen Prozess eingebunden. Die Erinnerung an die Soziologie vor der Soziologie kann da helfen, im noch undisziplinierten großen Garten des Denkens der Gesellschaft die bleibenden Aufgaben der Soziologie festzuhalten: stabile Sozialordnung, bessere Verhältnisse, Anteilnahme an unserer Lebenswelt.

      Literatur

      Anonym (1834): Der Zeitgeist oder das Geld. Eine vorgelesene Rede von G., Dortmund.

      Arni, Caroline/Honegger, Claudia (1998): Jenny P. d’Héricourt (1809–1875). Weibliche Modernität und die Prinzipien von 1789. In: Honegger, Claudia/Wobbe, Theresa (Hg.): Frauen in der Soziologie. Neun Portaits. München, 60–98

      Baudelaire, Charles (1983): Die Weltausstellung 1855. In: Baudelaire, Charles: Sämtliche Werke/Briefe. Bd. 2. Darmstadt, 225–259, hier 234.

      Bauer, Edgar (1842): Bruno Bauer und seine Gegner, Berlin.

      Bloor, David (1991): Knowledge and Social Imagery, Chicago.

      Bodin, John (1591): De republica libri sex, Frankfurt/M.

      Comte, Auguste (1994): Rede über den Geist des Positivismus, Hamburg.

      Comte, Auguste (2004): System der positiven Politik. Erster Halbband von vier Bänden, enthaltend die Widmung und den vorläufigen Diskurs, Wien.

      Condorcet, Marie Jean Antoine Marquis de (2010): Freiheit, Revolution, Verfassung. Kleine politische Schriften, Berlin.

      Croce, Benedetto (1927): Die Philosophie Giambattista Vicos, Tübingen.

      Engels, Friedrich (1975): Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats. Im Anschluß an Lewis H. Morgans Forschungen. In: Marx, Karl/Engels, Friedrich: Werke. Bd. 21. Berlin, 25–173.

      Foucault, Michel (1974): Die Ordnung der Dinge, Frankfurt/M.

      Fourier, Charles (2006): Der Philosoph der Kleinanzeige, Berlin.

      [43]Hauser, Arnold (1973): Sozialgeschichte der Kunst und Literatur, München.

      Héricourt, Jenny P. d’ (1860): La femme affranchie. Réponse à MM. Michelet, Proudhon, É. de Girardin, A. Comte et aux novatuers moderns, Brüssel/Paris.

      Hobbes, Thomas (1978): Leviathan, Stuttgart.

      Hoecker-Drysdale, Susan (1998): Harriet Martineau (1802–1876). Kritische Sozialforschung. Theorie und Praxis. In: Honegger, Claudia/Wobbe, Theresa (Hg.): Frauen in der Soziologie. Neun Portaits. München, 28–59.

      Justi, J. HG. von (1759): Grundsätze der Policey-Wissenschaft, Göttingen.

      Khaldūn, Ibn (1992): Buch der Beispiele. Die Einführung al-Muqaddima, Leipzig.

      Kool, Frits/Krause, Werner (Hg.) (1967): Die frühen Sozialisten, Olten/Freiburg.

      Koselleck, Reinhart (2006): Die Geschichte der Begriffe und die Begriffe der Geschichte. In: Koselleck, Reinhart: Begriffsgeschichten. Studien zur Semantik und Pragmatik der politischen und sozialen Sprache. Frankfurt/M., 56–76.

      Kracauer, Siegfried (1971): Der Detektiv-Roman. In: Kracauer, Siegfried: Schriften I. Frankfurt, 103–204.

      Le Play, Fréderic (1855): Les Ouvriers européens, Paris.

      Lepenies, Wolf (1985): Die drei Kulturen. Soziologie zwischen Literatur und Wissenschaft, München.

      Lindner, Rolf (2007): Die Entdeckung der Stadtkultur. Soziologie aus der Erfahrung der Reportage, Frankfurt.

      Maine, Sir Henry Sumner (1917): Ancient Law. Its Connection with the Early History of Society and Its Relation to Modern Ideas, London.

      Makropulos, Michael (1988): Der Mann auf der Grenze. Robert Ezra Park und die Chancen einer heterogenen Gesellschaft. In: Freibeuter 35: 8–22.

      Martineau, Harriet (1988): How to Observe Morals and Manners, New Brunswick.

      Martineau, Harriet (2009): Society in America, Cambridge.

      Marx, Karl (1968): Ökonomisch-philosophische Manuskripte aus dem Jahre 1844. In: Marx, Karl/Engels, Friedrich: Werke. Ergänzungsband.

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