Handbuch der Soziologie. Группа авторов

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Rekonstruktion der Motive des oder der Handelnden, wobei ein solches Verstehen der Handlungsmotive zugleich ein (kausales) Erklären der Handlungsursachen leistet, womit zugleich gesagt ist, dass für Weber, um seine frühe Antwort auf eine später häufig diskutierte Frage anzudeuten, Handlungsgründe zugleich Handlungsursachen sind. Der Vorgang des Verstehens wird damit weitgehend dem Verfahren des Erklärens angeglichen, weil Verstehen, zumindest in der Form des Motivverstehens, auf ein »erklärendes Verstehen« (Weber 1988: 547) abzielt. Soziale Handlungen stellen, insbesondere was die subjektiven Gründe und Absichten bzw. Zwecke betrifft, verständliche Sinnzusammenhänge dar, »deren Verstehen wir als ein Erklären […] des Handelns ansehen« (ebd.; Hervorhebungen geändert, G. K.).

      b) Komplementarität: Verstehen und Erklären ergänzen sich wechselseitig, allerdings beginnen sie, so Weber (1988: 436), »am entgegengesetzten Pol des Geschehens mit ihrer Arbeit«. Das Verstehen zielt darauf ab, den Sinnzusammenhang des Handelns möglichst evident zu deuten (für Weber besitzt eine zweckrationale Deutung des Handelns das Höchstmaß an Verständlichkeit), wobei ein hoher Grad an Sinnadäquanz freilich keinen Beleg dafür liefert, dass das Handeln auch faktisch entsprechend abgelaufen ist. Dem Verstehen wird deshalb korrigierend ein Erklären zur Seite gestellt, das mittels kausaler Zurechnung die statistische Wahrscheinlichkeit bzw. Regelmäßigkeit des Aufeinanderfolgen von Vorgängen ermittelt. »Kausale Erklärung bedeutet also die Feststellung: daß nach einer irgendwie abschätzbaren […] Wahrscheinlichkeitsregel auf einen bestimmten beobachtbaren (inneren oder äußeren) Vorgang ein bestimmter anderer Vorgang folgt.« (Weber 1988: 550) Die beiden Verfahren des Verstehens und Erklärens thematisieren den gleichen Sachverhalt aus deutlich divergierenden Perspektiven; und dies, so Weber (1988: 436 f.), weil die sinnhafte Deutbarkeit eines Geschehens, für das sich das Verstehen interessiert, nicht unbedingt mit (einer empirisch nachweisbaren) Häufigkeit und umgekehrt die statistische Wahrscheinlichkeit eines Geschehens, auf die das Erklären rekurriert, nicht zwangsläufig mit Verständlichkeit einhergeht.

      c) Vorrang des Verstehens vor dem Erklären: Ein dritter Vermittlungsvorschlag findet sich in den Ausführungen Webers, in denen er genauer auf die besonderen Voraussetzungen und Ziele der Sozial- und Kulturwissenschaften zu sprechen kommt. Hier räumt er dem Verstehen einen Vorrang vor dem Erklären ein. Dass Weber den eigenen Ansatz als verstehende Soziologie – und eben nicht als verstehende und erklärende Soziologie – bezeichnet, hat also seinen guten Grund. Weber besteht nämlich auf der Auffassung eines deutlichen Gegensatzes von Sozial- und Kulturwissenschaften einerseits und Naturwissenschaften andererseits, vertritt also die Position des Wissenschaftsdualismus. Bei der Erläuterung seiner Auffassung beruft er sich zustimmend vor allem auf die neukantianische Wissenschaftslehre von Heinrich Rickert, daneben finden sich in seinen Ausführungen mehrere Argumente, die der hermeneutischen Tradition entnommen sind. Mit Soziologie ist für Weber, so lässt sich in aller Kürze sagen, eine Wirklichkeitswissenschaft gemeint, die das soziale Geschehen in seiner Eigenart und Kulturbedeutung verständlich machen will. Funktionale Erklärungen (d. h. die Analyse bzw. Ermittlung von funktionalen Zusammenhängen) und nomologische Erklärungen (also Erklärungen mit Hilfe von Gesetzmäßigkeiten werden – sofern sie überhaupt gelingen – nicht grundsätzlich abgelehnt, doch sie gelten lediglich als Hilfsmittel, gewissermaßen nur als Vorarbeiten einer wirklichkeitswissenschaftlichen Betrachtung. Und: Verstehen genießt einen Vorrang vor dem Erklären, weil die Besonderheit der Soziologie bzw. der Sozial- und Kulturwissenschaften eben auf einer Mehrleistung des Verstehens basiert: »Wir sind ja bei ›sozialen Gebilden‹ […] in der Lage: über die bloße Feststellung von funktionellen Zusammenhängen und Regeln (›Gesetzen‹) hinaus etwas aller ›Naturwissenschaft‹ (im Sinn der Aufstellung von Kausalregeln für Geschehnisse und Gebilde und der ›Erklärung‹ [48]der Einzelgeschehnisse daraus) ewig Unzugängliches zu leisten: eben das › Verstehen‹ des Verhaltens der beteiligten Einzelnen.« (Weber 1988: 554 f.)

      Verschiedene Grundbegriffe und Argumente Webers sind in den nachfolgenden Debattenbeiträgen wiederholt aufgegriffen bzw. erneut vorgebracht worden – ohne dass dies den Beteiligten stets klar gewesen ist und ohne dass sie allesamt Webers Anliegen einer Vermittlung oder gar Integration von Verstehen und Erklären geteilt hätten. Das zuletzt Gesagte gilt zunächst einmal für einheitswissenschaftliche Ansätze, die auf deutliche Distanz zu Webers Auffassung einer wissenschaftstheoretischen Besonderheit der Sozial- und Kulturwissenschaften gehen.4 Aus der Sicht von Theodore Abel (1948) kann der Hinweis auf die methodische Operation des Verstehens eine wissenschaftsdualistische Ansicht nicht stützen, da sich mittels eines verstehenden Zugangs zwar Hypothesen formulieren, aber nicht verifizieren lassen – und sich die Sozialwissenschaften somit in ihrer Beweisführung auf keine Sondermethodologie stützen können. Für die monistische Position, also für die Auffassung einer methodischen Gleichartigkeit von Sozial- und Kulturwissenschaften einerseits und Naturwissenschaften andererseits steht insbesondere das von Carl G. Hempel und Paul Oppenheim (1948) formulierte deduktiv-nomologische Erklärungsmodell, wonach die Erklärung eines – natürlichen oder sozialen – Ereignisses erfordert, dass die Aussage, die das Ereignis beschreibt, aus universalen Gesetzesaussagen sowie Beschreibungen der Anfangsund Randbedingungen logisch abgeleitet werden kann.5 Ein eigenständiges Verstehen ist im so genannten covering law-Modell der Erklärung – der Name verweist darauf, dass bei diesem Erklärungstypus das Explanandum, d. h. das zu Erklärende, hinreichend von gesetzesartigen Aussagen abgedeckt wird – weder erforderlich noch vorgesehen ist (genauer gesagt weist Hempel, ähnlich wie Abel, dem Verstehen eine Hilfsfunktion zu): Erklärungen basieren auf Gesetzen, d. h. sie führen universale Regelmäßigkeiten an – ohne dass verlangt würde, dass diese Regelmäßigkeiten zugleich sinnhaft verständliche Zusammenhänge (im Sinne Webers) darstellen.

      Hempels und Oppenheims Auffassung einer einheitlichen und verbindlichen Erklärungslogik hat eine lange, hoch komplexe Kontroverse ausgelöst. Im hier interessierenden Kontext sind vor allem kritische Einwände relevant, die von Seiten interpretativer Ansätze vorgetragen werden. Mit dem Begriff der interpretativen Soziologie bzw. des interpretativen Paradigmas ist eine Perspektive gemeint, die betont, dass die soziale Wirklichkeit von den Akteuren in und durch Interpretationsleistungen aktiv hervorgebracht wird und daher die Sozial- und Kulturwissenschaften – entsprechend ihres besonderen, sinnhaft strukturierten Gegenstandsbereichs – auf einen vorrangig verstehenden, hermeneutischen oder eben interpretativen Zugang angewiesen sind.6 Damit wird keineswegs die Möglichkeit der Erklärung von Handlungen, Interaktionsmustern, kommunikativen Prozessen etc. bestritten. Behauptet wird aber, dass derartige Erklärungen nicht dem Muster [49]einer deduktiv-nomologischen Erklärung folgen, sich also grundsätzlich von naturwissenschaftlichen Erklärungen unterscheiden. Dem einheitswissenschaftlichen Programm halten die Verfechter des interpretativen Paradigmas, kurz gesagt, die Auffassung einer Eigenständigkeit bzw. Besonderheit sozial- und kulturwissenschaftlicher Erklärungen entgegen. Thomas P. Wilson fasst die methodologische Grundaussage interpretativer Ansätze dahingehend zusammen, dass Erklärungen sozialer Ereignisse und Prozesse, anders als naturwissenschaftliche Erklärungen, auf intentionale bzw. sinnhafte Phänomene (Motive und Absichten der Akteure, subjektive Situationsdeutungen, kulturelle Schemata, normative Regeln etc.) Bezug nehmen, die sich allein mittels eines deutenden, verstehenden Zugangs erschließen lassen. »Wird nun soziale Interaktion als interpretativer Prozess angesehen, dann können solche Erklärungen sinnvoll nicht in deduktiver Weise konstruiert werden, sondern sie müssen aufgefasst werden als Akte, mit denen den Handelnden Absichten und Umstände zugeschrieben werden, die geeignet sind, dem Beobachter das beobachtete Handeln verständlich zu machen.« (Wilson 1973: 69) Ein ähnlich lautendes Argument wird von Seiten der so genannten Wittgensteinianer (Dray 1957, Winch 1974, Wright 2000) innerhalb des interpretativen Theorienlagers vorgetragen, die auf einer strikten Abgrenzung des Modells einer intentionalen bzw. teleologischen Handlungserklärung (d. h. der Erklärung einer Handlung im Rekurs auf subjektive Ziele oder Zwecke) gegenüber dem naturwissenschaftlichen Standardverfahren einer Kausalerklärung (mittels der Bezugnahme auf Gesetze) bestehen.7 Demzufolge erfordert die informative Erklärung einer Handlung die Angabe von Handlungsgründen, wobei es aus ihrer Sicht verfehlt wäre, die Gründe des Handelns als kausale Handlungsursachen zu begreifen, weil sich

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