Handbuch der Soziologie. Группа авторов

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nach geeigneten methodischen Zugangsweisen lässt sich demzufolge nicht, etwa im Rekurs auf ontologische oder epistemologische Erwägungen, ein für alle Mal verbindlich, sondern nur in Abhängigkeit von (historisch wechselnden) Erkenntnisinteressen [52]und Erkenntniszielen beantworten. An dieses Argument ist ein weiterer Kritikpunkt geknüpft, der sich unmittelbar gegen das Programm einer doppelten Hermeneutik richtet. Aus der Perspektive der Anti-Dualisten unterläuft der Gegenseite ein Fehlschluss. Die Schlussfolgerung, dass die Sozialwissenschaften gar nicht umhin können, die vorgängigen Interpretationsleistungen der Akteure ihrerseits zu interpretieren, ist demnach keineswegs zwingend, da eine Erkundung der sozialen Welt auch entlang anderer, abweichender Gesichtspunkte bzw. Perspektiven erfolgen kann.8 Den Protagonisten einer doppelten Hermeneutik halten sie den Einwand entgegen, dass diese in ihren Arbeiten gewissermaßen dem Beschreibungsvokabular – und damit: den Deutungen und Sichtweisen – der handelnden Akteure ein Privileg einräumen. Ein derart vorrangiges Beschreibungsvokabular kann es nach Auskunft der Anti-Dualisten jedoch nicht geben, weil je nach gewähltem Erkenntnisziel gänzlich unterschiedliche Beobachtungs- und Theoriesprachen von Vorteil (oder Nachteil) sein können.

      Einen weiteren Kritikpunkt gilt es zumindest anzudeuten. Die Anti-Dualisten werfen den Protagonisten einer doppelten Hermeneutik eine widersprüchliche Argumentation vor, die bei der Analyse der sozialen Welt eine konstruktivistische Perspektive, dagegen mit Blick auf die Welt der Natur eine realistische Auffassung vorbringt. Das verweist darauf, dass die Debatten über Verstehen und Erklären intern verknüpft sind mit den Diskussionen über Konstruktivismus und Realismus, die im zweiten Teil dieses Beitrags thematisiert werden. Auf Vorbehalte seitens der Anti-Dualisten trifft u. a. Giddens’ Hinweis auf die Besonderheit der Wissenschaften vom Sozialen. Seine Auskunft, dass es allein die Sozialwissenschaften mit einer vor-interpretierten Welt zu tun bekommen, legt demzufolge den fragwürdigen Umkehrschluss nahe, dass die Naturwissenschaften gewissermaßen auf eine Wirklichkeit an sich treffen, die sie erst im Nachhinein in ihrer Theoriesprache deuten. Eine derartige Auffassung erliegt jedoch, so die Kritik, dem Mythos des uninterpretiert Gegebenen.

2.Konstruktivismus/Realismus

      Auseinandersetzungen über Konstruktivismus und Realismus nehmen in der wissenschaftstheoretischen Reflexion der Soziologie bzw. der Sozialwissenschaften einen breiten Raum ein. In den weit verzweigten, nach außen hin nur unscharf abgegrenzten Debatten geht es um eine Vielzahl von Streitpunkten. Diskutiert wird u. a. über Wirklichkeitsbegriffe und epistemologische Zugangsweisen, über geltungs- und bedeutungstheoretische Aspekte, über Fragen der wissenschaftlichen Objektivität und Wahrheit. Insofern stellt die Redeweise von der Konstruktivismus/Realismus-Kontroverse [53](wie ja auch die von der Erklären/Verstehen-Debatte) eine beträchtliche Vereinfachung dar. Ebenso liegt eine Verkürzung vor, wenn – wie es allerdings häufig geschieht – behauptet wird, dass es sich bei Konstruktivismus und Realismus per se um grundlegende Alternativen handelt, die konträre und damit unvereinbare Antworten auf die angedeuteten Wirklichkeits-, Erkenntnis- und Wahrheitsfragen geben. Das Verhältnis von konstruktivistischen und realistischen Positionen ist weitaus vielschichtiger. Ein Grund hierfür lautet, dass die Ausdrücke Konstruktivismus und Realismus Sammelbegriffe darstellen, die jeweils ein breit gefächertes Spektrum an z. T. äußerst divergierenden Ansätzen und Standpunkten umfassen. Man bekommt es also mit ganz unterschiedlichen Konstruktivismus/Realismus-Konstellationen zu tun – und zwar in Abhängigkeit davon, welche Begriffsbestimmungen gewählt werden bzw. welche Varianten oder Spielarten jeweils gemeint sind. Diese Überlegung wird durch die Beobachtung gestützt, dass keineswegs alle Debattenbeteiligten einen strikten Gegensatz zwischen konstruktivistischen und realistischen Positionen behaupten. Daneben finden sich auch die Auffassungen einer partiellen Überschneidung oder wechselseitigen Ergänzung, mitunter ist gar von einer Indifferenz die Rede. Bevor im Folgenden ausgewählte Positionen hierzu vorgestellt werden, gilt es zunächst, die verwendete Begrifflichkeit (in der gebotenen Kürze) zu erläutern.

      Der Begriff des Realismus verfügt über eine altehrwürdige philosophische Tradition und wird in einer Vielzahl von Bedeutungen verwendet. Die häufigste Erwähnung finden die Varianten des ontologischen und erkenntnistheoretischen Realismus. Der ontologische Realismus steht für die These, dass die Existenz und Beschaffenheit der Wirklichkeit unabhängig davon ist, was Menschen darüber denken, sagen oder wissen können. Der erkenntnistheoretische Realismus vertritt die Auffassung einer epistemischen Zugänglichkeit, behauptet also, dass die Strukturen der Wirklichkeit erkennbar sind. Die beiden Realismusdefinitionen besagen keineswegs das Gleiche. Verschiedentlich wird sogar davon gesprochen, dass sie sich widersprechen – da einer wirkmäch-tigen Auffassung zufolge allein das, was denkabhängig ist bzw. vom Menschen hervorgebracht wird, auch erkannt werden kann. Insofern ist richtig, dass derjenige, der die ontologische Unabhängigkeitsthese übernimmt, nicht zugleich auch von der epistemischen Zugänglichkeitsthese überzeugt sein muss. Die prominenteste Fassung dieser Auffassung ist vermutlich Immanuel Kants Kombination von externem Realismus und transzendentalem Idealismus. Kant bestreitet nicht, dass eine denkunabhängige Wirklichkeit existiert, aber er behauptet, dass wir nicht diese Wirklichkeit an sich, sondern nur die Erscheinung dieser Wirklichkeit erkennen können. Die (subjektiven) Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung sind, so Kant, zugleich die Bedingungen der Möglichkeit der Gegenstände der Erfahrung (und nicht: der Dinge an sich).

      Der Begriff des Konstruktivismus weist, ebenso wie der Begriff des Realismus, eine Vielfalt von Bedeutungen auf. Ein Grund hierfür ist sicherlich, dass von Konstruktivismus in ganz unterschiedlichen Kontexten die Rede ist. Doch auch, wenn man allein soziologische bzw. sozialwissenschaftliche Begriffsfassungen berücksichtigt, wird man kaum von einer einheitlichen Verwendungsweise sprechen können. Insofern besteht auch keine Einigkeit darüber, welche Theorieprogramme und Ansätze im Einzelnen dem Konstruktivismus zugerechnet werden können. Wenngleich viele Beobachter die Einschätzung teilen, dass konstruktivistische Perspektiven gerade in den letzten drei oder vier Jahrzehnten erheblich an Einfluss gewonnen haben, so bleibt doch das Ausmaß dieser Expansionsbewegung umstritten. Für die eine Seite stellt der Konstruktivismus eine zwar relevante, keineswegs jedoch die einzige Position innerhalb eines breiten soziologischen Theorienspektrums dar, die andere Seite spricht dagegen davon, dass sich seit einiger Zeit in den Sozial- und Kulturwissenschaften – zumindest implizit – ein konstruktivistischer Grundkonsens breit gemacht hat (vgl. etwa Schülein 2002, Renn 2012). Angesichts des Fehlens einer einheitlichen Begriffsbestimmung geht man zumeist unmittelbar dazu über, [54]unterschiedliche Spielarten und Varianten des Konstruktivismus zu unterscheiden. Angaben darüber, welchen (kleinsten) gemeinsamen Nenner die verschiedenen Begriffsfassungen bzw. Versionen aufweisen, begnügen sich zumeist mit der Auskunft, dass mit dem Begriff Konstruktivismus eine theoretische Perspektive gemeint ist, die eine (soziale) Fabrikation, Hervorbringung bzw. Produktion unterschiedlicher Entitäten bzw. Wirklichkeitsbereiche behauptet. Ausgehend von diesem Hinweis wird man sagen können, dass zwischen den verschiedenen Varianten z. T. weitreichende Differenzen existieren, im Rahmen welcher soziologischer Theorieprogramme die Metapher der Konstruktion ausbuchstabiert wird, wie der Vorgang einer sozialen Fabrikation genauer erläutert wird und welche Entitäten als das Resultat entsprechender Hervorbringungsprozesse begriffen werden. Mit Blick auf die zuletzt angeführte Frage wird vielfach zwischen moderaten und radikalen Ansätzen unterschieden. Moderate Versionen des Konstruktivismus grenzen demzufolge die These einer sozialen Konstruiertheit auf bestimmte Typen von Ereignissen bzw. Entitäten ein, während radikale Spielarten sämtliche Phänomene als konstruiert begreifen.

      Diese knappen begrifflichen Hinweise mögen genügen, um sich im Folgenden der Ausgangsfrage nach dem Verhältnis von soziologischer Wissenschaft und sozialer Wirklichkeit zuzuwenden. Vereinfachend wird man sagen können, dass aus Sicht »der« Konstruktivisten wissenschaftliche und damit soziologische Erkenntnis eine beobachterabhängige Konstruktion darstellt, aus der Perspektive »der« Realisten zwar nicht die Erkenntnis des Gegenstands, jedoch der Erkenntnisgegenstand unabhängig vom wissenschaftlichen Beobachter existiert. Ob und inwieweit sich diese schematische Kennzeichnung als ein strikter Gegensatz deuten lässt, dürfte u. a. davon abhängen, wie die verwendeten Begriffe jeweils interpretiert werden. Das Merkmal einer Beobachter(un)abhängigkeit lässt nämlich zahlreiche Differenzierungen

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