Handbuch der Soziologie. Группа авторов

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Hieraus ziehen die »Intentionalisten« die Schlussfolgerung, dass zwischen Handlungsgründen und Handlungen kein kausaler, sondern ein begrifflicher bzw. sinnhafter Zusammenhang existiert, der sich allein mit interpretativen Mitteln verständlich machen, jedoch nicht im Rückgriff auf Kausalgesetze erklären lässt.

      Wenngleich gesagt werden kann, dass insbesondere in den Sozialwissenschaften die kritischen Stimmen gegenüber Hempels und Oppenheims Postulat eines einheitlichen Erklärungsprinzips überwiegen, sollte man umgekehrt die von verschiedenen Seiten signalisierte Zustimmung nicht übersehen. Ein aktuelles Beispiel für eine soziologische Theorieposition, die sich an dem genannten Erklärungsmodell orientiert, stellt der Ansatz von Hartmut Esser (1993) dar. Im Anschluss an Hempel und Oppenheim betont Esser, dass soziologische Erklärungen, wie alle wissenschaftlichen Erklärungen, eine deduktiv-nomologische Struktur aufweisen. Bei der genaueren Ausarbeitung seiner eigenen Konzeption nimmt er freilich verschiedene Änderungen/Erweiterungen am Ausgangsmodell vor, aus denen bestimmte Konsequenzen für das Begriffspaar von Verstehen und Erklären resultieren: Zunächst präzisiert Esser, dass mit den Gesetzen, die eine soziologische [50]Erklärung anführt, nicht kollektive Strukturgesetze, sondern individuelle Handlungsgesetze gemeint sind – wobei er freilich, anders als Hempel und Oppenheim, ausschließlich auf ein einziges Gesetz verweist: das Theorem der rationalen Nutzenwahl, das für Esser (1999: 16) eine oder besser: die »nomologische Regel […] der Selektion des Handelns« beschreibt. Zudem legt er Wert auf die Feststellung, dass die Anwendung einer allgemeinen Mikrotheorie des Handelns lediglich den mittleren Schritt einer insgesamt dreigliedrigen Erklärungslogik darstellt. Diesem Schritt geht die Rekonstruktion der sozialen Situation, in der die Akteure sich befinden, voraus; zudem erfolgt in einem anschließenden dritten Schritt eine Erklärung der kollektiven Folgen individueller Handlungen. Im Gegensatz zum zweiten Erklärungsschritt, der mit der Theorie der rationalen Handlungswahl »ein kausales Gesetz mit allgemeiner Geltung« (Esser 1999: 16) anführt, kommen sowohl der erste und der abschließende Erklärungsschritt ohne die Angabe von streng universalen Regelmäßigkeiten aus. Insbesondere gilt es jedoch zu erwähnen, dass Esser an die Ausformulierung des dreigliedrigen Modells der soziologischen Erklärung den Anspruch knüpft, »jede grundsätzliche Trennung zwischen kausalem Erklären und interpretierendem Verstehen« (Esser 1993: 598) aufzuheben. Demzufolge leistet vor allem der erste Schritt (rekonstruktive Deutung der subjektiven Definition der Situation) ein interpretatives Verstehen, dagegen der zweite Schritt (Erklärung der Handlungswahl sowie des Handlungsablaufs) und der dritte Schritt (Erklärung der kollektiven Wirkungen des Handelns) ein ursächliches Erklären. Mit seinem Bemühen, die methodischen Zugangsweisen des interpretativen Verstehens und des deduktiv-nomologischen Erklärens integrativ miteinander zu verschränken, nimmt Esser gewissermaßen eine Mittlerrolle zwischen monistischen und dualistischen Positionen der Wissenschaftstheorie ein: Auf der einen Seite folgt er Hempel und Oppenheim in der Auffassung einer einheitswissenschaftlichen Erklärungskonzeption. Auf der anderen Seite spricht er methodendualistisch von einem »grundlegenden Unterschied zwischen Natur- und Sozialwissenschaften« (Esser 1993: 597), der seines Erachtens daraus resultiert, dass die Sozialwissenschaften, anders als die Naturwissenschaften, darauf angewiesen sind, ihre ›Objekte‹ zu verstehen, da sie in ihren Erklärungen die Sichtweisen der handelnden Akteure berücksichtigen.

      Weiter oben ist bereits vom so genannten interpretativen Paradigma die Rede gewesen. Allerdings gilt es zu beachten, dass der Begriff des Interpretationismus uneinheitlich verwendet wird. In diesem Kontext ist neben der zuvor erläuterten Begriffsfassung eine weitere Verwendungsweise von Interesse. Der Begriff dient auch zur Bezeichnung einer bestimmten wissenschaftstheoretischen Position, die der interpretativen Tätigkeit eine zentrale Rolle in sämtlichen Wissenschaftsdisziplinen zuweist. Demzufolge sehen sich nicht allein die Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften, sondern eben auch die Naturwissenschaften fortlaufend mit der Aufgabe des Deutens und Auslegens konfrontiert. Für diese interpretative Wende in der allgemeinen Wissenschaftstheorie stehen insbesondere die Arbeiten von Willard Van Orman Quine und Thomas Kuhn. Sie untergraben mit ihren weitreichenden Thesen den orthodoxen Konsensus der älteren (positivistischen) Wissenschaftstheorie: Quine (1984) spricht von einer Unterbestimmtheit der Theorien durch die Daten und betont den holistischen Charakter der Bestätigung und Widerlegung von Theorien; Kuhn (1976) stellt die etablierte Auffassung einer kumulativen Entwicklung wissenschaftlichen Wissens in Frage. Zugleich damit kündigen sie die Annahme einer neutralen Beobachtungssprache auf. Wissenschaftliche Beobachtungen sind demzufolge theoriebeladen, sie liefern also keine interpretationsfreien Belege. Was als wissenschaftliches Datum zählt, ergibt sich erst im Kontext theoretischer Deutungen. Und umgekehrt ist auch die Beantwortung der Frage, welche theoretischen Konsequenzen aus dem Hinweis auf bestimmte Belege resultieren, auf ein fortlaufendes Auslegen angewiesen. Die wissenschaftliche Tätigkeit stellt sich in dieser Sicht als eine deutende (hermeneutische) Tätigkeit dar, in der fortlaufend [51]Daten im Licht von Theorien, und Theorien im Licht von Daten interpretiert und reinterpretiert werden.

      Die damit angedeutete interpretative Wende hin zu einem postempiristischen Wissenschaftsverständnis ist in den Sozialwissenschaften breit (und weitgehend zustimmend) rezipiert worden. Umstritten geblieben ist allerdings, welche Konsequenzen hieraus im Einzelnen für das eigene wissenschaftstheoretische Selbstverständnis resultieren. In der Kontroverse stehen sich (idealtypisch formuliert) erneut zwei Theorielager gegenüber. Die eine Seite hält mit Blick auf die Zugangsweise des Verstehens – auch nach der Ausweitung des Interpretationsbegriffs – an der Auffassung einer methodischen Besonderheit der Sozialwissenschaften fest, befürwortet also eine wissenschaftsdualistische Position. Dabei wird von dieser Seite nicht bestritten, dass die Naturwissenschaften, ganz im Sinne der postempiristischen Wissenschaftstheorie, eine interpretative Dimension aufweisen; diese Auskunft wird freilich durch die Auffassung ergänzt, dass sich für die Sozialwissenschaften die Aufgabe der Interpretation in besonderer, nämlich gleich in zweifacher Weise stellt. In aller Kürze lässt sich diese Auffassung mit dem von Anthony Giddens (1984) formulierten Schlagwort einer doppelten Hermeneutik kennzeichnen. Zusätzlich zu der interpretativen Herausforderung, wissenschaftliche Daten mit Hilfe von Theorien zu gewinnen, zu prüfen und somit zu deuten (woran zugleich die hermeneutische Tätigkeit der Auslegung des verwendeten Theorie- und Beschreibungsvokabulars geknüpft ist), sehen sich die Sozialwissenschaften demzufolge mit einem weiteren Verstehensproblem konfrontiert. Sie haben dem Umstand Rechnung zu tragen, dass sie es in ihrem Objektbereich, anders als die Naturwissenschaften, mit einer »vor-interpretierten Welt« (Giddens 1984: 179) zu tun bekommen, also auf eine soziale Wirklichkeit treffen, die bereits sinnhaft konstituiert ist – und dass sie aus diesem Grunde gar nicht umhin kommen, jene Begriffe, Auffassungsweisen und Deutungsschemata interpretativ zu erschließen, »die die Handelnden selbst für die Konstitution und Rekonstitution der sozialen Welt benutzen« (ebd.: 191). In dieser Sicht stellen die Interpretationen, die die Sozialwissenschaften anbieten, stets Interpretationen von Interpretationen dar, also Reinterpretationen (innerhalb der eigenen Wissenschaftssprache) von jenen vorgängigen Interpretationen, die von den handelnden Akteuren formuliert und verwendet werden.

      Den Verfechtern einer doppelten Hermeneutik stehen die Befürworter einer antidualistischen Interpretationskonzeption konträr gegenüber. Dabei legen die »Anti-Dualisten« zunächst Wert auf die Feststellung, dass sich ihre Position deutlich von einer monistischen Wissenschaftsauffassung unterscheidet (Rorty 1981, 1991; Rouse 1990: 166 ff.). Ihr Ausgangspunkt ist die These einer weitreichenden Pluralisierung wissenschaftlicher Theorien und Methoden (disunity of science). Der Hinweis auf die nachhaltige Diversifizierung der modernen Wissenschaften dient ihnen zugleich dazu, die Auffassung einer eindeutigen Zuordnung von bestimmten Methoden zu einzelnen Disziplinen bzw. Disziplingruppen zurückzuweisen. Auf Ablehnung stößt damit auch die wissenschaftsdualistische Annahme einer strikten Unterscheidung zwischen den Zugangs- und Verfahrensweisen der Naturwissenschaften auf der einen Seite und denen der Sozialwissenschaften auf der anderen Seite. Aus Sicht der Anti-Dualisten orientiert sich diese Auffassung einer prinzipiellen Methodendifferenz an den gleichen fragwürdigen Prämissen, denen auch das einheitswissenschaftliche Programm verpflichtet ist. Gemeint ist insbesondere die Annahme, dass sich mit den Mitteln der Wissenschaftslogik ein stabiler (ahistorischer) Methodenkanon unverbrüchlich ausweisen lässt – sei es für die Wissenschaften insgesamt oder sei es zumindest

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