Handbuch der Soziologie. Группа авторов

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zu belassen. Die endgültige Entscheidung wird der erwarteten »Femme-messie« zugewiesen.

      Der ebenfalls zu Schule Saint-Simons gehörende Olinde Rodriguez erklärt: »Ich erwarte zuversichtlich die Offenbarung der ersten Frau, die an der Spitze der Lehre stehen wird; der befreiten, der freien Frau, der Priesterin für die Zukunft steht es zu, das Gesetz des Anstands, den Kodex der Züchtigkeit zu offenbaren.« (Kool/Krause: 161) Die Saint-Simonisten unternehmen auf der Suche nach der »Femme-messie« eine Orientreise nach Ägypten zu den Wirkstätten der sagenhaften Königin von Saba. Diese Pilgerfahrt war zugleich eine wissenschaftliche Expedition, auf der die Bekämpfung von Seuchen erforscht wurde und Barthélemy Prosper Enfantin den Plan des Suez-Kanals entwarf, den der spätere Konsul Ferdinand de Lesseps realisierte. Die Erfahrungen, die die Krankenschwester Suzanne Voilquin bei ihrem Versuch, muslimische Frauen zur Wissenschaftsreligion zu bekehren, gemacht hat, könnten heute wieder auf Interesse stoßen (Voilquin 1978).

      Es sind aber nicht nur Männer, die für die Verbesserung der Lage der Frauen kämpfen. Mary Wollstonecraft war nicht nur die Mutter von Mary Shelley, der Autorin des Klassikers der Weltliteratur Frankenstein oder Der moderne Prometheus und nicht nur die Gattin an der Seite von William Godwin, der in jeder Geschichte des Anarchismus einen herausragenden Platz einnimmt, sie publizierte 1790 A Vindication of the Rights of Men, in dem sie gegen Edmund Burkes Kritik an der Französischen Revolution Stellung bezog. Zwei Jahre später erschien A Vindication of the Rights of Woman, in der sie rhetorisch kraftvoll argumentierend aufzeigt, wie schlecht vorbereitet und in Illusionen befangen Frauen ins Leben gehen und wie wichtig es ist, dass sie zu unabhängigen Selbstdenkerinnen werden, deren Wert nicht in der äußeren Erscheinung begründet ist (Wollstonecraft 2009). Es dauerte, bis der Kampf der »Blaustrümpfe« für die Gleichberechtigung von Mann und Frau, der Ende des 18. Jahrhunderts einsetzte, einige Erfolge aufweisen konnte.

      Harriet Martineau redigierte Texte von Auguste Comte so, dass sie lesbar wurden (Hoecker-Drysdale 1998). Ihr eigenes Interesse richtete sie jedoch mehr darauf, wie der Positivismus methodisch gewendet werden konnte. How to Observe Morals and Manners, 1834 auf der Überfahrt nach Nordamerika geschrieben und 1838 publiziert, ist die erste Schrift überhaupt zur soziologischen Methodologie und Methode (Martineau 1989). Die große Studie Society in America ist nach ihrem Regelbuch erarbeitet. Untersuchungsbereiche sind kollektive Werte, Institutionen und der Alltag in den USA (Martineau 2009).

      Die saint-simonistische Verbindung der Frauen- und der Arbeiteremanzipation hat Jenny Poinsard d’Héricourt (1809–1875) ernst genommen (Arni/Honegger 1998). Dies bringt sie in eine Frontstellung gegen Comte und seine Art, der Frau in der Theorie eine erhöhte Sonderstellung zuzuweisen und sie zugleich als Priesterinnen für den häuslichen Wissenschaftskult aus der Öffentlichkeit zu entfernen. In ihrem gesellschaftskritischen Hauptwerk von 1860 La femme affranchie zeigt sie, dass Frauen längst schon im Gefüge der modernen Industriegesellschaft einen Platz haben, aber keine entsprechenden Rechte (Héricourt 1860). Streitpunkt wird auch das Verhältnis von Biologie und Soziologie. In Comtes Hierarchie der Wissenschaften von der Astronomie bis zur Soziologie und später Psychologie bildet die Biologie die Grundlage, auf der sich aufsteigend die Wissenschaft von der menschlichen Gesellschaft entfaltet, weil der Unterschied von Mann und Frau als erstes soziales Verhältnis definiert wird.

      D’Héricourt, selbst als Hebamme und Ärztin tätig, greift mit Scharfsinn die dogmatischen epistemologischen Vorraussetzungen der Klassifikation der Geschlechter an, insbesondere auch gegen Pierre-Joseph Proudhon, dessen egalitäre Ideen sich nur auf Männer bezogen. Die Argumente, [38]die d’Héricourt gegen Geschlechterklassifikationen ins Feld führt, dürften auch noch übermorgen aktuell sein: »Wir formulieren keine Klassifikation, weil wir keine haben und weil wir keine haben können; es sind keine Grundlagen dazu vorhanden. Eine biologische Induktion erlaubt es uns zwar, die Existenz einer Geschlechterklassifikation anzunehmen. Es ist jedoch gegenwärtig unmöglich, daraus ein Gesetz abzuleiten. Was Weiblichkeit wirklich ist, könnte erst nach einem oder zwei Jahrhunderten gleichartiger Erziehung und rechtlicher Gleichheit erkannt werden.« (Arni/Honegger 1998: 80)

      Der Sozialismus: Zum Pathos des wissenschaftlichen Fortschritts, zum Kampf für die Rechte der Frau gesellten sich die Ideen der vielgestaltigen sozialistischen Bewegungen für eine bessere Gesellschaft. Noch beim Soziologentag 1928 in Zürich musste der Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Soziologie erklären, dass Soziologie und Sozialismus nicht dasselbe seien. Die sprachliche Nähe war und ist verfänglich und wird die Soziologie wohl auch in Zukunft im Guten wie im Bösen mit allen historischen und aktuellen Bestrebungen verbinden, die unter den Überschriften Kommunismus, Sozialismus, Anarchismus eine bessere Gesellschaft als die bestehende wollen.

      Die bessere Gesellschaft erscheint bei manchen Autoren in der Erfahrung der fraglich gewordenen Gegenwartsgesellschaft als eine notwendige Konsequenz der geschichtlichen Entwicklung überhaupt. Andere Autoren wollen nicht länger auf die Idealgesellschaft warten. Sie schlagen vor, einfach mit der neuen Ordnung in kleinem Maßstab lokal anzufangen, nach der Devise: »Werden wir aus Staatsbürgern der alten Ordnung zu Genossen einer Neuen Gemeinschaft! Gründen wir Genossenschaften, Landkommunen, Gemeinschaftsprojekte, in denen es gerecht zugeht.« Im 19. Jahrhundert blüht der Genossenschaftssozialismus in seinen vielfältigsten Formen. Wieder andere wollen sich damit nicht bescheiden, sie fordern den revolutionären Sturz der alten Ordnung und den revolutionären Aufbau einer neuen. Im 19. Jahrhundert steigt die Konjunktur eines revolutionär-eliminatorischen Sozialismus. – Schließlich, vor dieser Alternative zurückschreckend, konzentrieren sich andere auf eine rein defensive Position. Im Gewerkschaftssozialismus entstehen Vereine und Verbände, in denen sich die von den gesellschaftlichen Umbrüchen betroffenen Handwerker und Arbeiter zusammenschließen, um ihre Interessen zu verteidigen. Zwischen diesen vier Möglichkeiten changiert die Diskussion im 19. Jahrhundert und weit darüber hinaus, vielleicht sogar in die Gegenwart hinein, in Nischen, in denen sich die Sehnsucht nach einer besseren Gesellschaft erhält.

      Die Soziologie hat auch einen beachtlichen Teil des Erbes dieser Art, für eine neue Gesellschaft einzutreten, aufgenommen. Am wenigsten von der revolutionär-eliminatorischen Seite, obwohl an die Schriften von Georges Sorel zu erinnern ist, in denen Zusammenhänge von Mythos und Gewalt in revolutionären Bewegungen durchdacht wurden, bevor sie im 20. Jahrhundert eine blutige Spur hinterlassen haben (Sorel 1981).

      Wichtiger wurde die genossenschaftliche Seite. Wer lernen möchte, wie attraktiv solidarische Lebensformen sein können, tut gut daran, die Schriften von Charles Fourier (1772–1837) in die Hand zu nehmen (Fourier 2006). Man findet dort Vorschläge für eine neue Gesellschaft, in der zu leben als eine wahre Wonne erscheint. Von Fourier kann man nicht groß genug denken, denn er hat Lösungen für zwei Dauerprobleme menschlicher Gesellschaften gefunden, für die Frustration und die Repression. Die fantastische Kühnheit seiner Vorschläge ist bis heute unübertroffen, insbesondere wenn es um die Frage »Wer macht mit wem was wie lange leidenschaftlich gern zusammen« geht. Man könnte darin die Hauptfrage aller Gesellschaftswissenschaft sehen.

      Die gewerkschaftliche Seite kämpft um die Erforschung und Förderung der Kräfte, die für eine grundlegende Änderung der Gesellschaft eintreten oder die gegenüber negativen Entwicklungen [39]ein Gegengewicht bilden wollen. Im 19. Jahrhundert war dies die Arbeiterbewegung, das Proletariat. Die Trias von Soziologie, sozialer Frage und Sozialismus war bis weit in den Anfang dieses Jahrhunderts hinein eine spontane Assoziation, der sich niemand entziehen konnte. Heute ist es nicht mehr so einfach, Bewegungen zu identifizieren und zu gewichten. In unserer Gegenwartsgesellschaft gibt es viele Bewegungen, bei denen nicht ohne Weiteres erkennbar ist, was sie sind: Single-purpose movements, so etwas wie neue soziale Bewegungen oder vielleicht gar keine Bewegungen, sondern seltsame Oberflächenspiele, deren Sinn noch nicht geklärt ist.

      Weltgeschichtlich wirksam wurde die Gesellschaftstheorie, die Karl Marx (1818–1883) entwickelt hat. Sein Grundgedanke, dass aus den Widersprüchen der kapitalistischen Gesellschaft freie, solidarische und menschenwürdige Formen menschlichen Zusammenlebens hervorgehren könnten, hat viele Intellektuelle und

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