Handbuch der Soziologie. Группа авторов

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die Naturwissenschaften sich auf das beobachtende Erklären beschränken können. Umgekehrt ist die Beobachtung von Regelmäßigkeiten und funktionalen Zusammenhängen für die Soziologie Weber zufolge keineswegs unwichtig, sondern kann als Vorarbeit (vgl. Weber 1972 [1922]: 9) etwa dazu dienen, den Blick des Forschers auf die wichtigen Aspekte des zu erklärenden Zusammenhangs zu lenken (vgl. ebd.: 7).

      Nun fällt auf, dass Webers methodologischer Individualismus sich in einer wesentlichen Hinsicht von der atomistischen Gegenposition unterscheidet, gegen die Durkheim, Parsons, Mead [108]und viele andere argumentiert haben. Jene atomistische Gegenposition führt das Soziale ja nicht auf subjektiv sinnhaftes Handeln insgesamt zurück, sondern auf eine besondere Form subjektiv sinnhaften Handelns: auf das am individuellen Vorteil sinnhaft orientierte Handeln. Gegen diese Position verweisen Durkheim und Parsons auf vorgängige normative Fundamente des sozialen Zusammenlebens, welche die Handlungsorientierungen der Individuen prägen. Damit ist jedoch keineswegs gesagt, dass diese normativen Strukturen sich unabhängig vom sinnhaften Handeln der Individuen zur Geltung bringen. Ganz im Gegenteil: Das »Kollektivbewusstsein« Durkheims, die Wertorientierung in der voluntaristischen Handlungstheorie von Parsons oder die gesellschaftlichen Handlungen Meads sind gesellschaftlich vorgegebene Sinnmuster, die sich im sinnhaften Handeln der Akteure verwirklichen – nur eben so, dass die Individuen sich ihnen kaum entziehen können. Auf der anderen Seite verengt Weber die Handlungsgründe subjektiv sinnhaften Handelns keineswegs auf Motive individueller Interessenverfolgung, sondern behandelt auch normorientiertes Verhalten als subjektiv sinnhaftes Handeln – besonders deutlich im Idealtypus des wertrationalen Handelns.

      Es stellt sich deshalb die Frage, wie das gleiche Phänomen, das bei Durkheim, Parsons und anderen das zentrale Argument gegen die Möglichkeit einer atomistischen Herleitung des Sozialen bildet, nämlich die gesellschaftliche Strukturierung individueller Handlungsorientierungen, als Gegenstand einer atomistischen Erklärung des Sozialen reklamiert werden kann, wie dies bei Weber geschieht. Die phänomenologische Soziologie von Alfred Schütz (und Thomas Luckmann) bietet eine Antwort auf diese Frage an, die jedoch, wie ich gleich zeigen will, eher geeignet ist, die Problemstellung des Verhältnisses von Atomismus und Holismus in der Soziologie klarer herauszuarbeiten als sie zu lösen.

      Alfred Schütz hält das atomistische Erklärungsprogramm Max Webers für eine der zentralen Grundlegungen der Soziologie überhaupt. »Niemals vorher«, so Schütz (1974 [1932]: 14), »war das Prinzip, die ›Welt des objektiven Geistes‹ auf das Verhalten Einzelner zu reduzieren, dermaßen radikal durchgeführt worden, wie in Max Webers Gegenstandsbestimmung der verstehenden Soziologie als einer Wissenschaft, welche die Deutung des subjektiven (nämlich des durch den oder die Handelnden gemeinten) Sinns sozialer Verhaltensweisen zum Thema hat.« Daran anknüpfend sieht Schütz seine eigene Aufgabe darin, dieses Erklärungsprogramm grundbegrifflich weiter auszuarbeiten und zu klären, wie subjektiver und wie intersubjektiver Sinn entsteht. Zur Klärung dieser Fragen bedient sich Schütz der von Edmund Husserl entwickelten Methode der phänomenologischen Reduktion und wendet sie auf die Analyse der Konstitution von Sinn im Bewusstsein an. Diese Analyse beruht darauf, von allen Gegebenheiten der Wirklichkeit radikal abzusehen, wie sie sich dem menschlichen Individuum mehr oder weniger unproblematisch als Tatsachen der natürlichen oder sozialen Welt darstellen, und allein auf die Bewusstseinsprozesse selbst zu blicken, die diese Wirklichkeitswahrnehmung hervorbringt (vgl. ebd.: 47 f., 55 f.). Schütz stellt sich mit anderen Worten ein wahrnehmungs- und bewusstseinsfähiges Individuum vor, für das die Wirklichkeit noch nicht sinnhaft konstituiert ist, das also über keine Konzepte und Begriffe verfügt, sodass die Wirklichkeit begriffslos und unbegriffen an ihm vorbeizieht. Die Frage lautet dann: Wie gelingt es diesem »einsamen Ich«, das in einem »Erlebnisstrom« zunächst nur »unabgegrenzte, ineinander stetig übergehende Erlebnisse« (ebd.: 68) registriert, daraus sinnhafte Erfahrungen zu bilden. Dazu, so die Antwort von Schütz, muss sich das Bewusstsein in der Erinnerung einer Phase des Erlebnisstroms zuwenden. Durch diese reflexive Zuwendung wird aus einer solchen Phase ein abgegrenztes Erlebnis (vgl. ebd.). Sinnhafte Erfahrungen entstehen, wenn das Bewusstsein derart abgegrenzte Erlebnisse miteinander in Beziehung setzt. Alfred Schütz und Thomas Luckmann (1984: 13) formulieren dies wie folgt:

      [109]Wenn das Ich auf seine eigenen Erfahrungen […] zurückblickt, hebt es sie aus der schlichten Aktualität des ursprünglichen Erfahrungsablaufs heraus und setzt sie in einen über diesen Ablauf hinausgehenden Zusammenhang. […] Ein solcher Zusammenhang ist ein Sinnzusammenhang; Sinn ist eine im Bewußtsein gestiftete Bezugsgröße, nicht eine besondere Erfahrung oder eine der Erfahrung selbst zukommende Eigenschaft. Es geht vielmehr um die Beziehung einer Erfahrung und etwas anderem. Im einfachsten Fall ist dieses andere eine andere als die aktuelle, so z. B. eine erinnerte Erfahrung. Die gerade vergangene Erfahrung, deren Erlebnisevidenz noch nachhallt, wird mit Bezug auf jene nur erinnerte als gleich, ähnlich, entgegengesetzt usw. erfasst. (vgl. auch Schütz 1974 [1932]: 69, 104; Schütz/Luckmann 1979: 38, 81; Luckmann 1992: 31)

      Mit diesen Überlegungen will Schütz bzw. wollen Schütz und Luckmann nicht behaupten, dass die Sinngebilde, die den Wissensbestand des Einzelnen ausmachen, seinen subjektiven Wissensvorrat also, ausnahmslos von ihm selbst erzeugt wurden. Denn im empirischen Normalfall wird das Bezugsschema, durch welches das aktuelle Erlebnis zu einer sinnhaften Erfahrung wird, »etwas Verwickelteres als eine einzelne Erfahrung sein: ein Erfahrungsschema, eine höherstufige Typisierung, eine Problemlösung oder Handlungsrechtfertigung« (Schütz/Luckmann 1979: 315) – ein Auslegungsschema also, das aus dem gesellschaftlichen Wissensvorrat stammt. Dementsprechend wird von den Autoren durchaus betont, dass »der subjektive Wissensvorrat nur zum Teil aus ›eigenständigen‹ Erfahrungs- und Auslegungsresultaten besteht, während er zum bedeutenderen Teil aus Elementen des gesellschaftlichen Wissensvorrats abgeleitet ist« (ebd.: 314). Nichtsdestoweniger sind Schütz und Luckmann der Auffassung, dass trotz »dieser empirischen Priorität des gesellschaftlichen Wissensvorrats gegenüber jedem beliebigen subjektiven Wissensvorrat« (ebd.: 314 f.) eine »grundsätzliche Priorität des subjektiven Wissenserwerbs« (ebd.: 315) besteht:

      Den Ursprung des sozialen Wissensvorrats, genauer, der Elemente, die den sozialen Wissensvorrat bilden, kann man nur in subjektiven Erfahrungen und Auslegungen suchen. Dies bedeutet aber, daß in letzter Konsequenz der gesellschaftliche Wissensvorrat auf ›eigenständige‹ Erfahrungen und Auslegungen zurückverweist – so sehr auch die Situationen, in denen die Erfahrungen und Auslegungen stattfinden […] durch ›faktische‹ soziale Gegebenheiten bedingt sein mögen. (ebd.)

      Damit ein Stück ursprünglich subjektiv generierten Sinns zu einem Element des gesellschaftlichen Wissensvorrates werden kann, muss es zuerst in intersubjektiv geteilten Sinn überführt werden, dann in Objektivationen gespeichert und schließlich institutionell verfestigt werden. Die Entstehung intersubjektiven Sinns lässt sich Schütz zufolge nicht auf der Grundlage der phänomenologischen Analyse des einsamen Ich erklären. Sie erfordert die Einführung von Zusatzannahmen: Um die subjektiven Bewusstseinsvorgänge wechselseitig auf eine Weise zu verstehen, dass gemeinsam geteilter Sinn entsteht, müssen die Beteiligten demnach zutreffend von der Unterstellung ausgehen, dass der jeweils andere die Wirklichkeit grundsätzlich so wahrnimmt und sinnhaft so deutet wie man selbst (Generalthese der wechselseitigen Perspektiven, vgl. Schütz/Luckmann 1979: 88 f.). Durch Objektivationen – insbesondere durch Objektivationen in Sprache – werden die auf dieser Grundlage erzeugten intersubjektiven Bedeutungen ablösbar von der direkten Interaktionssituation ihrer Generierung (vgl. Berger/Luckmann 1969: 39). Wenn dieser Entstehungsprozess in Vergessenheit gerät und die Individuen mit unhinterfragter [110]Selbstverständlichkeit auf das betreffende Sinnelement rekurrieren, ist es zum institutionalisierten Bestandteil des gesellschaftlichen Wissensvorrates geworden (vgl. ebd.: 65).

      Folgt man dieser Argumentation, dann ist jede sinnhafte Strukturierung der Sozialwelt ein Resultat ursprünglich subjektiver Sinnbildung. Nicht nur soziale Institutionen, in denen die egoistischen Handlungskalküle der Individuen in institutionell verfestigter Form zum Ausdruck kommen, sind also letztlich nur methodologisch individualistisch zu erklären. Gleiches gilt in entsprechender Weise für die Entstehung der normativen Strukturen des Sozialen. Wir haben es dementsprechend hier mit

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