Handbuch der Soziologie. Группа авторов

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Handbuch der Soziologie - Группа авторов страница 41

Handbuch der Soziologie - Группа авторов

Скачать книгу

durch die Sanktionierung sichergestellt wird. Dies rechnet sich dann gegebenenfalls auch aus der Perspektive des individuellen Akteurs, dann nämlich, wenn sich genügend Nutznießer des Kollektivgutes erster Ordnung darauf einigen, sich die Sanktionskosten zu teilen. Eine solche Einigung aber, so Coleman, »ist von der Existenz sozialer Beziehungen zwischen den Nutznießern abhängig« (ebd.: 353). Sie ist mit anderen Worten eine soziale Bindung, die jeder einzelne Beteiligte auch gegen einen größeren individuellen Vorteil durchhalten muss, den er als Trittbrettfahrer erzielen könnte. So führen auch diese Überlegungen letztlich nicht zu einer Lösung des Hobbes’schen Problems allein auf der Grundlage des normfreien und eigennützigen Akteurs (vgl. auch Schulz-Schaeffer 2007: 161 f., Anm. 81).

      Die vorangegangenen Überlegungen für eine holistische Erklärung sozialer Phänomene stützen sich vor allem auf eine negative Beweisführung, um zu begründen, dass man von dem immer bereits gesellschaftlich geprägten Individuum ausgehen müsse: auf den Nachweis der Unmöglichkeit, soziale Ordnung auf der Grundlage normfreien, individuell eigennützigen Handelns zu erklären. Es bleibt dabei unerklärt, wie diese vorgängige gesellschaftliche Prägung der Individuen ihrerseits entstanden ist.

      Eine solche Erklärung bietet George Herbert Mead an. Seiner Auffassung nach ist die gesellschaftliche Geprägtheit der Individuen ein Produkt der Evolution, ein evolutionäres Erbe, das die Menschheit in modifizierter Form aus dem Tierreich übernimmt: Allgemein ist es von Vorteil, so Mead, wenn Lebewesen einer Art zusammenarbeiten, weil sie sich auf diese Weise besser schützen und ernähren und den Nachwuchs besser aufziehen können. Deshalb bilden sich bereits bei recht einfachen Lebewesen zum Teil recht komplexe Formen der Zusammenarbeit heraus wie dies etwa in Insektengesellschaften der Fall ist. Um ihr Verhalten erfolgreich koordinieren zu können, brauchen die Tiere dabei den Sinn ihres Handelns nicht zu verstehen und müssen dementsprechend auch kein Bewusstsein besitzen (vgl. Mead 1968 [1934]: 56). Die Verhaltensweisen der Einzelindividuen sind zunächst vielmehr über einfache Reiz-Reaktions-Mechanismen miteinander gekoppelt. Der »grundlegende Mechanismus, durch den der gesellschaftliche Prozess angetrieben wird«, so Mead (1968 [1934]: 52), »ist der Mechanismus der Geste, der die passenden Reaktionen auf das Verhalten der verschiedenen individuellen Organismen ermöglicht, die in einen solchen Prozeß eingeschaltet sind. […] Gesten sind Bewegungen des ersten Organismus, die als spezifische Reize auf den zweiten Organismus wirken und die (gesellschaftlich) angemessene Reaktion auslösen.« Auf diese Weise wird individuelles Verhalten zu Verhaltenszusammenhängen verknüpft, welche Mead als gesellschaftliche Handlungen bezeichnet. Die Gesten haben dabei die Funktion, »Reaktionen der anderen hervorzurufen, die selbst wiederum Reize für eine neuerliche Anpassung werden, bis schließlich die endgültige gesellschaftliche Handlung zustande kommt« (ebd.: 83).

      Im Laufe der evolutionären Entwicklung werden aus Gesten signifikante Symbole, also sprachliche Äußerungen und andere sinnhafte Zeichenhandlungen, über die dann in menschlichen [104]Gesellschaften die Koordination der gesellschaftlichen Handlungen erfolgt. Dabei behält das signifikante Symbol aber die Funktion der Geste, einzelne Handlungen zu gesellschaftlichen Handlungen zu verketten. Und so wie der Sinn der Tiergesten in den gesellschaftlichen Handlungen liegt, die mit ihrer Hilfe zustande kommen, so leitet sich auch der Sinn der signifikanten Symbole aus den gesellschaftlichen Handlungen ab, die die Individuen zustande bringen, indem sie sich in ihrem Verhalten an diesen Symbolen orientieren. Ebenso wie das reizgesteuerte Verhalten der Tiere sind deshalb auch die durch signifikante Symbole gesteuerten menschlichen Handlungsweisen »sinnlos außerhalb der gesellschaftlichen Handlungen, in die sie eingebettet sind und aus denen sie ihre Signifikanz ableiten« (ebd.: 130). Daran ändert für Mead auch der Umstand nichts, dass dieser Sinn nun als Sinn vorliegt, auf den die Individuen bewusst reflektieren können: »Es gibt einen gemeinsamen Lebensprozeß seitens aller Mitglieder der Gemeinschaft, der mit Hilfe von Gesten abläuft. Die Gesten sind bestimmte Stadien innerhalb dieser kooperativen Tätigkeit, die den ganzen Prozeß lenken. Beim Auftreten von Geist wurde dieser Prozeß lediglich bis zu einem gewissen Grad in das Verhalten des Einzelnen hereingenommen.« (ebd.: 231).

      Sicherlich ist Meads funktionalistisch-evolutionstheoretische Betrachtung menschlicher Handlungszusammenhänge überholt. Man wird kaum noch ernsthaft behaupten wollen, dass menschliche Handlungszusammenhänge ihre Existenz dem Umstand verdanken, dass sie den Überlebenserfolg der Gattung verbessern. Der bleibende Wert der Überlegungen Meads besteht vielmehr darin, dass sie eine Erklärung der Entstehung sowohl der Gesellschaft wie des Individuums bieten, die vermeidet, das eine voraussetzen zu müssen, um das andere erklären zu können: Wenn sinnhaftes individuelles Handeln sich sukzessiv aus dem gestengesteuerten Verhalten heraus entwickelt hat, mittels dessen Tiere ihr Zusammenwirken koordinieren, dann bedeutet dies erstens, dass sich ein durch bewusstlose Reiz-Reaktions-Mechanismen hervorgebrachter gesellschaftlicher Zusammenhang schrittweise in einen durch gemeinsam geteilte Sinnstrukturen gewährleisteten gesellschaftlichen Zusammenhang verwandelt. Und es bedeutet zweitens, dass das bewusstseinsfähige menschliche Subjekt selbst ein Produkt dieses Wandlungsprozesses ist. Dementsprechend ist es dann auch nicht mehr erforderlich, die Entstehung gesellschaftlicher Ordnung aus einem Anfangszustand normfreier, eigennütziger Akteure zu erklären. Einen solchen Anfangszustand hat es nie gegeben, sondern einen Prozess der sukzessiven Ablösung von Instinkten und Prägungen durch normative Regulierungen und andere sinnhafte Verhaltenssteuerungen, einen Prozess, währenddessen auch die Möglichkeit des individuell eigennützigen Handelns erst entstanden ist (vgl. Mead 1968 [1934]: 267, 279 f.).

      Meads Auffassung, dass Einzelhandlungen nicht für sich existieren, sondern als Bestandteile von gesellschaftlichen Handlungen entstehen, von denen sich ihre jeweilige Bedeutung ableitet, ist im symbolischen Interaktionismus aufgegriffen und auf das Verhältnis von Handlung und Interaktion übertragen worden. Die Aussage lautet nun: Handlungen sind stets in Interaktionen eingebettet und beziehen daraus ihre jeweilige Bedeutung. Anselm Strauss zufolge ist dies die inzwischen allgemein geläufige Sichtweise:

      wenn Sozialwissenschaftler ihre Forschungen durchführen, setzen sie gewiss voraus, dass das Handeln in Interaktionen und in Sinnsysteme eingebettet ist. Nur die wenigen Theoretiker, die über das Handeln an sich schreiben (so wie Weber, Schütz und Parsons) tendieren dazu, mit der Handlung zu beginnen, mit einer separaten Insel des Handelns; nicht mit der Annahme, dass Interaktion das vorgeordnete, zentrale Konzept ist, und auch nicht mit der Annahme, dass es ein analytisches Artefakt darstellt, das Handeln von der Interaktion zu trennen. Natürlich handelt eine Person […], aber diese jeweiligen Handlungen sind eingebettet in ein Netzwerk von Interaktionen. (Strauss 1993: 25)

      [105]Der evolutionstheoretische Begründungszusammenhang spielt hier keine Rolle mehr, die Abge-leitetheit der Bedeutung von Handlungen aus dem Interaktionszusammenhang gewinnt vielmehr den Stellenwert eines empirischen Grundsachverhalts. Es gibt, so Strauss, »jedenfalls nach der sehr frühen Kindheit so gut wie kein Handeln, bei dem die Handlung von der Interaktion getrennt ist« (ebd.: 22). Weil menschliches Handeln empirisch gesehen ganz überwiegend im Kontext der Interaktion mit anderen Menschen erfolgt, ergibt sich auch die Bedeutung des Handelns dann jeweils erst im Kontext des betreffenden Interaktionszusammenhanges. Dieser Grundsachverhalt wird im symbolischen Interaktionismus dahingehend verallgemeinert, dass alle Sinnmuster und Sinngehalte, die der natürlichen wie der sozialen Welt ihre von den Akteuren wahrgenommene Bedeutung verleiht, interaktiv erzeugt sind: »Für den symbolischen Interaktionismus sind Bedeutungen«, so Herbert Blumer (1973 [1969]: 83 f.), »soziale Produkte, sie sind Schöpfungen, die in den und durch die definierenden Aktivitäten miteinander interagierender Personen hervorgebracht werden.«

      Ähnlich wie der Interaktionismus vertritt auch die Praxistheorie die Auffassung, dass das »Ganze« des Handlungszusammenhanges dem »Atom« der Einzelhandlung vorausgeht. Die Begründung dafür, dass soziale Praktiken und nicht Einzelhandlungen »die kleinste Einheit der sozialwissenschaftlichen Analyse« (Reckwitz 2004: 318) sind, entspricht der eben präsentierten Argumentation: Die Bedeutung einer Handlung liefert die soziale Praxis, in die die jeweilige Tätigkeit eingebettet ist. So wird beispielsweise die kreisende Bewegung eines Holzlöffels in einem Kochtopf erst im Rahmen einer bestimmten Kochpraxis, die dieser Tätigkeit einen spezifischen Sinn

Скачать книгу