Handbuch der Soziologie. Группа авторов

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(Garfinkel 1967). Auf Garfinkels Studie geht der Ansatz des »doing gender« (West/Zimmerman 1987) zurück, der im Weiteren eine ganze Reihe von Studien zu »doing X« angestoßen hat, etwa Behinderung, Rasse, Alter usw. In allen diesen Studien werden unzulässige Naturalisierungen aufgedeckt.2Einen guten Überblick über die Debatte findet sich in zwei Sammelbänden (vgl. Institut für Sozialforschung 1994, Wobbe/Lindemann 1994) sowie in der Überblicksarbeit von Villa 2011.3Gustav Friedrich Klemm (1802–1867), deutscher Anthropologe. Sein Hauptwerk war die »Allgemeine Culturgeschichte der Menschheit« 10 Bände 1843–1852.4Auch Parsons Idee der Evolution von Gesellschaften hin zu funktionaler Differenzierung folgt noch diesem Fortschrittsoptimismus.5Während der zweiten Phase stand die Diskussion um das deduktiv-nomologische Modell von Hempel und Oppenheim (1948; Hempel 1959) im Zentrum der Diskussion. Auch hier war wieder die Frage, ob dieses Modell allgemein oder für die sozialwissenschaftliche Forschung nicht oder nur in einem eng begrenzten Rahmen gelten soll. In der dritten Phase wird der Universalitätsanspruch des deduktivnomologischen Modells aus der Perspektive der analytischen Philosophie bestritten. Dabei werden Erklären und Verstehen – im Anschluss an Wittgensteins (1977) Theorie der Sprachspiele – als unterschiedliche Sprachspiele verstanden. Zu den wichtigen Autoren dieser Phase zählen Winch (1966) und Whright (1971/2008) sowie Apel (1979) selbst.6Dieses Verständnis von Erklären baut auf der Analyse des experimentellen Handelns von Wright (1971/2008) auf und entspricht dem von Plessner (1931/1981) formulierten »Prinzip der geschlossenen Frage«.7Klassisch findet sich dies bei Menger (1893/2004: 42ff, 78). Esser (1993) versucht, einen hermeneutisch verstehenden Rahmen um die Anwendung dieser Erklärung verbürgenden gesetzmäßigen Annahme herum zu konstruieren.8Vgl. hierzu Apel (1979: 15f) sowie für die Soziologie Simmel (1908/1983: 22f) und Schütz’ Differenzierung zwischen Konstruktionen erster und zweiter Ordnung. Auch der Deutungsbegriff von Luhmann und sein Kommunikationsverständnis bauen auf einem solchen abstrakt formalen Verstehenskonzept auf. In der Analyse von Diskursen zielt das Verstehen darauf, die Regeln und Bedingungen des Kommunizierens und Handelns in den Mittelpunkt zu stellen, um so herauszuarbeiten, welche Möglichkeiten es für Akteure gibt, sich zu äußern bzw. zu handeln (Foucault 1966/1971).9In der Sekundärliteratur wird die Analyse der Matrix der Moderne immer wieder im Sinne einer allgemeinen Anthropologie missdeutet (Fischer 2008). Auch die Arbeit von Mitscherlich (2007) ist nicht frei von diesem Missverständnis.10Etwa 30 Jahre später wird Foucault (1966/1971) die Aussage vom möglichen Untergang des Menschen bzw. vom Tod des Menschen wiederholen und damit gerade in Deutschland auf heftige Kritik stoßen. Dabei war dieser Gedanke nahezu identisch bereits 1932 von Plessner formuliert worden.11Auf die damit entstehenden Probleme hat u. a. Pels (1996) aufmerksam gemacht.12Dass es sich hierbei um eine systematische Wende handelt, wird von einigen Autoren übersehen, weshalb sie die philosophischen Anthropologien Schelers, Gehlens und Plessners für einen einheitlichen Denkansatz halten (vgl. Fischer 2008).

      [99]Ingo Schulz-Schaeffer

      Atomismus versus Holismus: Wie entsteht das Soziale?

1.Einleitung

      Ist das Ganze durch die Eigenschaften seiner Teile bestimmt? Lässt sich das Ganze dementsprechend aus den Eigenschaften seiner Teile erklären? Auffassungen, die diese Fragen bejahen, werden unter dem Begriff des Atomismus zusammengefasst. Ist man dagegen mit Aristoteles der Auffassung, dass das Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile,1 dann vertritt man eine holistische Position. Aus einer holistischen Position muss man nicht abstreiten, dass »das Ganze«, das Gegenstand der Betrachtung ist, aus Teilen besteht. Die holistische Auffassung besagt lediglich, dass das Ganze als Ganzes Eigenschaften besitzt, die nicht aus den Eigenschaften seiner Teile abgeleitet werden können, so genannte emergente Eigenschaften (vgl. Esfeld 2003).

      Die Ganzheiten, um die es in soziologischen Beschreibungen und Erklärungen geht, sind Kollektivphänomene vielfältiger Art: soziale Gebilde wie Interaktionsbeziehungen, Organisationen, soziale Bewegungen, Nationalstaaten oder das Weltwirtschaftssystem; soziale Institutionen wie die Familie, der Links- bzw. Rechtsverkehr oder das Gesundheitswesen; und soziale Prozesse wie die Säkularisierung, die Selbstreproduktion gesellschaftlicher Eliten oder die Ethnisierung sozialer Konflikte. Die Frage, von welcher Art die Teile sind, aus denen die Kollektivphänomene des Sozialen bestehen, wird in der Soziologie unterschiedlich beantwortet. Die Antwort auf diese Frage hängt von sozialtheoretischen Grundannahmen ab, bezüglich derer es beim gegenwärtigen Entwicklungsstand der Soziologie keine Einigkeit gibt. Von besonderem Gewicht sind vier sozialtheoretische Positionen: Handlungstheorie, Interaktionismus, Praxistheorie und – im deutschsprachigen Diskurs – systemtheoretische Kommunikationstheorie. Die handlungstheoretische Position lautet, die Soziologie habe »das Einzelindividuum und sein Handeln als unterste Einheit, als ihr ›Atom‹« (Weber 1988 [1922]: 439) zu behandeln. Der Interaktionismus argumentiert, dass die Einzelhandlung keine eigenständige Sinneinheit sei, sondern ihren Sinn daraus bezieht, dass sie Bestandteil von Interaktionen ist, weshalb die Interaktion als Grundelement des Sozialen zu betrachten sei (vgl. Strauss 1993: 25). Der Praxistheorie zufolge beruht das Soziale viel eher auf den stillschweigenden Selbstverständlichkeiten inkorporierten Wissens und Könnens – auf Praktiken also – als auf ausdrücklich intentional gesteuerten Handlungen. Die Systemtheorie Luhmann’scher Prägung schließlich hält dafür, dass alles Soziale aus Kommunikationen besteht. [100]Das Soziale liegt demnach in Gestalt sozialer Systeme vor, die als sinnprozessierende Systeme aus Einheiten sozialen Sinns bestehen: aus Kommunikationen.

      Die Wahl der sozialtheoretischen Grundposition und die damit verbundene Entscheidung, was als Grundelement des Sozialen in den Blick genommen wird, hat einen Einfluss darauf, wie atomistisch oder holistisch eine soziologische Beschreibung oder Erklärung ausfällt. Bildet der systemtheoretische Kommunikationsbegriff das sozialtheoretische Fundament, dann ist damit unausweichlich zugleich auch eine holistische Betrachtungsweise des Sozialen verbunden. Denn das zentrale Merkmal der als Kommunikationen bezeichneten sozialen Sinneinheiten besteht darin, dass sie emergente Phänomene des Sozialen sind: dass der Sinn, der auf der Ebene der Kommunikationsprozesse generiert und prozessiert wird, genuin sozialer Sinn ist und nicht auf den Sinn zurückgeführt werden kann, den die Kommunikationsteilnehmer auf der Ebene ihres Bewusstseins als psychischen Sinn generieren und prozessieren. Auch der Interaktionismus und die Praxistheorie konzipieren ihr jeweiliges Verständnis der Grundelemente des Sozialen zumeist in einer Weise, die zu einer holistischen Betrachtungsweise des Sozialen führt. Ich komme darauf zurück. Einzig das handlungstheoretische Verständnis der Grundelemente des Sozialen enthält keine Festlegung auf holistische Erklärungen. Atomistische Erklärungen des Sozialen besitzen dementsprechend ganz überwiegend ein handlungstheoretisches Fundament. Damit ist jedoch nicht gesagt, dass die Wahl einer handlungstheoretischen Perspektive atomistische Erklärungen des Sozialen erzwingt. Auch darauf komme ich noch zurück.

2.Argumente für den Holismus

      Der markanteste Vertreter holistischer Erklärungen des Sozialen aus der Gründerzeit der Soziologie ist Émile Durkheim. Er ist es, dessen Herangehensweise wir mit dem von René König geprägten Leitsatz verbinden, »Soziales nur durch Soziales zu erklären« (König 1984: 21).2 Durkheim argumentiert, dass die Regelmäßigkeiten der Natur und die Regelmäßigkeiten des Sozialen ganz unterschiedliche Grundlagen haben. Physikalische Gesetze sind allgemein, weil sie Zusammenhänge beschreiben, die in jedem zugehörigen Einzelfall so ablaufen. Die Allgemeinheit sozialer Regelmäßigkeiten kommt dagegen genau umgekehrt zustande: Ein entsprechendes soziales Phänomen ist allgemein, »weil es kollektiv (d. h. mehr oder weniger obligatorisch) ist; und nicht umgekehrt ist es kollektiv, weil es allgemein ist. Es ist ein Zustand der Gruppe, der sich bei den Einzelnen wiederholt, weil er sich ihnen

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