Die Schamanin. Hans-Peter Vogt

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Die Schamanin - Hans-Peter Vogt

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sie anleitet. Nun, sie weiß, dass da irgendetwas ist, das man auch mit dem Begriff „Gott“ beschreiben könnte, und zu dem sie Kontakt aufnehmen kann. Gesehen hat sie dieses „Etwas“ noch nie, und sie weiß auch nicht, dass das Volk der Cantara Solveig aufgebaut hat, diesen neuen sanften Weg zu beschreiten. Sie muss das nicht wissen. Sie ist ein williges Werkzeug in den Händen der Cantara. Sie redet manchmal mit Chénoa darüber, aber die zuckt mit den Schultern. „Du weist, dass unsere Familie eine einzigartige DNA besitzt, die sie von fast allen anderen Menschen unterscheidet. Nenne das Evolution, wenn du willst. Offenbar ist uns dieses Denken angeboren, ebenso wie die Grundlage, solche Fähigkeiten zu entwickeln, wie wir sie haben. Du weist auch, dass niemand, der zu unserer Familie gehört, jemals ernstlich krank wird. Typhus, Scharlach, Pest oder AIDS. Wir sind dagegen immun, so seltsam das auch klingt. Offenbar hat die Natur eingerichtet, eine neue Gattung zu erschaffen, die fähig ist, den Klimawandel unbeschadet zu überstehen. Nehmen wir dieses Schicksal also dankbar an, und sorgen wir dafür, dass alles Erdenkliche getan wird, um unserer Welt ein Stück Gleichgewicht wiederzugeben.“

      14.

      Auf den Rat ihrer Tante Chénoa und ihrer Mutter Clara promoviert Solveig dann doch noch. Sie hatte im Urwald ein Mittel gefunden, das als Heilmittel geradezu genial ist, und sie hat darüber eine Abhandlung geschrieben. Kurz, aber präzise. In der Welt der Mediziner sind Solveig damit einige Türen geöffnet worden. Für Solveig hat sich das Medikament sogar als äußerst gewinnbringend erwiesen. Es wird synthetisch nachgebaut, und die Lizenzgebühren bringen Solveig regelmäßige Einnahmen, die sie finanziell unabhängig machen.

      In der Welt der Pferdeliebhaber ist ihr Ruf längst unbestritten. Sie gilt als „die Mutter aller Tiere“ und als geniale Tierflüsterin. Dieser Ruf ist für Solveig viel wichtiger als so ein Titel. Sie weitet jetzt ihr Wirkungsfeld systematisch aus: in die USA, nach Russland, China, Burma und Pakistan, und in viele andere Länder, die von Clans geführt werden, die sich und ihren Kindern teure Gestüte und ein Leben im Luxus gönnen, bevor sie diese Kinder wieder in verantwortungsvolle Posten hieven, die der Familie noch mehr Geld einbringen werden.

      Mittlerweile hat Solveig selbst eine Tochter. Sie hatte sich in einen Indio verliebt, sie hatten eine Weile zusammengelebt, aber der Vater ihrer Tochter war als Ingenieur stets unterwegs und auch Solveig war oft unterwegs.

      15.

      In den nächsten fünfzehn Jahren bewegt sich Solveig zunehmend aus ihrer kleinen und abgeschiedenen Stadt hinaus. Sie lernt andere Kulturen, andere Gesellschaften und andere politische Machtstrukturen kennen. Sie lernt, dass ihre kleine Welt zuhause zwar wohlgeordnet scheint, aber dass dieses große Ganze nicht so ist, dass man zufrieden mit sich und der Welt sein kann.

      Sie hat ihre Mutter Clara, ihren Onkel Nakoma und ihre Tante Chénoa oft davon reden hören, aber jetzt sieht und hört Solveig vieles, was weit über das persönliche Maß an Betroffenheit hinausgeht.

      Das sind nicht nur wirtschaftliche Ungleichgewichte und menschliche Defizite. Es gibt gewaltige neue Umweltveränderungen durch jahrhundertelangen Raubbau an der Natur. Ihre Familie arbeitet seit langem an Lösungsansätzen in diesen Bereichen. Sie stellen Sonnenkollektoren her, biologisch saubere Nahrung, Meerwasserentsalzungsanlagen und Wellenkraftwerke. Sie sind an neuen Technologien beteiligt, wie der Umstellung von Fahrzeugen vom Erdöl auf umweltverträgliche Energiearten.

      Solveigs Blick schärft sich in diesen Jahren, und sie gewinnt die Überzeugung, dass nur der Weg der friedlichen Koexistenz all die bestehenden Probleme langfristig lösen wird.

      Sie irrt, aber das weiß sie nicht. Die Cantara wissen das längst, und sie haben damit begonnen ihre eigenen Maßnahmen auf den Weg zu bringen, um eines der Grundübel zu beseitigen, die Bevölkerungsexplosion der Gattung Mensch, aber dazu kommen wir noch.

      16.

      Solveig hat längst auch gelernt, in jenes Zwischenreich einzutreten, das zwischen Leben und Tod existiert. Manche Menschen erleben das nur, wenn sie durch einen Unfall an diese Grenze stoßen, eintreten in dieses Reich und schließlich wieder zurück geholt werden, weil ihre Zeit noch nicht um ist.

      Solveig kann bewusst in diese Zwischenwelt eintreten. Dort findet Solveig auch jenes unbekannte „Etwas“. Es hält seine unsichtbare Hand über den Familienclan. Er beschützt und wacht über sie. Zu ihm kann Solveig gehen, wenn sie nicht weiter weiß. Auch das hat sie von Mama Clara, Opa Leon, Onkel Nakoma und Chénoa gelernt. Sie hat vor allem gelernt, dass jeder Mensch seinen eigenen Weg gehen, und für seine eigenen Taten gerade stehen muss. Sie kann immer nach dem Rat von Mama oder Tante Chénoa fragen, aber sie kann auch in diesen Tunnel gehen und mit diesen „Etwas“ Kontakt aufnehmen, wenn nichts anderes mehr hilft. Dieses „Etwas“ gibt ihr nicht immer klare Auskünfte oder Anweisungen. Dann muss sie darüber grübeln und nach dem Sinn suchen. Dieser Erkenntnisprozess, an dem dann oft mehrere Familienmitglieder beteiligt sind, der führt die Familie stets zu Lösungen, wenn sie einmal nicht weiter weiß.

      Solveig macht sich manchmal Gedanken darüber, warum gerade ihre Familie mit diesen Energieströmen ausgestattet worden ist, aber das ist letztlich müßig, darüber nach-zudenken. Tante Chenoa hatte das einmal mit der Evolution erklärt, und das scheint eine nachvollziehbare Erklärung zu sein. Dieses „Etwas“ ist für Solveig so etwas, wie eine gemeinsame Energie aller Clanmitglieder, die sich in bestimmten Situationen zusammenschließt, um nach Lösungen zu suchen, auch über weite Distanzen hinweg.

      Wer denkt schon an eine intelligente Gattung, die aus dem All zu uns gekommen ist. Dazu ist Solveig viel zu sehr Realistin.

      Es ist ihre Familie, die mit dieser treuhänderischen Aufgabe betreut worden ist, wie ein Wächter, und Solveig ist genau genommen dankbar dafür.

       Kapitel 2. Die Schamanin

      1.

      Schauen wir ein paar Jahre in der Zeit zurück.

      Noch während ihrer Studienzeit ist Solveig einmal in Kasachstan unterwegs.

      Es gibt dort in diesem dünn besiedelten Land einflussreiche Familien, die viele Rohstoffe und Transportwege kontrollieren. Gas, Uran, Gold, Mangan, Schwefel, Kupfer, Eisen, Zink, Salze, seltene Erden, aber auch Baumwolle, und sie haben dort im Grenzgebiet zwischen den Großregionen Russland, China, Indien und den muslimischen Ländern des Südens etwas zu sagen. Viele sonst verbotene Transporte werden quer durch das Land geführt, und im Bereich Internetbetrug haben sich die Familien einen großen Einfluss gesichert. Es gibt dort in Zentralasien viel Geld, aber nur konzentriert auf wenige Familien und Clans. Darüberhinaus gibt es viel Abhängigkeit und Armut.

      Die „befreundete“ Sippe beherrscht das flächenmäßig neunt-größte Land der Erde aus dem Verborgenen.

      Es gibt dort Wüsten, Steppen, waldreiche Gebiete und große Seen, darunter auch große Salzseen. Es gibt aber auch Gebiete, wo immer noch das Betreten verboten ist, seit hier vor etwa achtzig Jahren einmal mehrere hundert Atomtests durchgeführt worden waren, viele davon überirdisch. Ein Gebiet in der doppelten Größe Bayerns war damals völlig verstrahlt worden.

      Solveig besucht eine Baumwollpflanzerdynastie. Sie besitzen Baumwollfelder, etwa in der Größe der Bundesrepublik Deutschland. Sie wohnen auf Landgütern in der Größe von Schlössern. Die Familie besitzt Immobilien in verschiedenen Städten, Transportfirmen, Banken und Minen, und sie leistet sich mehrere Gestüte und Falknereien. Das ist hier der Nationalsport der Reichen. Zumindest der traditionelle Teil

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