Die Schamanin. Hans-Peter Vogt

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Die Schamanin - Hans-Peter Vogt

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dabei an den eigenen Vorteil zu denken. Man ist Mitglied eines großen Clans aus Freunden, und es ist die Aufgabe, diesem Clan die eigenen übersinnlichen Kräfte auch zur Verfügung zu stellen.

      Solveig hat das von Kindesbeinen an nicht anders erlebt. Es ist ihr in Fleisch und Blut übergegangen. Oma Katharina (die in Berlin eine der Direktoren der Stiftung ist), die sagt stets dazu, „das ist unsere Aufgabe. Die Vision einer besseren Welt hält uns am Leben. Sie gibt uns Kraft und Ausdauer. Sie beflügelt uns, und sie sagt uns auch, dass wir uns stets erden müssen. Wir sind nur ein Teil dieser Familie und wir sind der Diener unserer Freunde.“

      Oma Katharina (die zweite Frau von Opa Leon), die meint das ganz konkret, was sie da sagt, und sie forderte diese Hilfe auch ein.

      Als Opa Leon sich dann in Vera neu verliebte, änderte da nichts daran, dass die freundschaftliche Beziehung zu Katharina in Berlin und zu Oma Mila in Peru erhalten blieb.

      9.

      Solveig hat längst gelernt, dass ihre Familie auf mehreren Kontinenten und in mehreren Ländern lebt. Es gibt da andere Kinder, und es gibt da Onkels und Tanten, die sich manchmal oben bei Onkel Nakoma treffen, um sich auszutauschen, um die gemeinsamen Kräfte zu üben und zu verbessern, oder auch nur, um sich gemeinsam der Pferdezucht zu widmen oder einmal zusammen auszureiten. Inzwischen ist auch ansatzweise so etwas entstanden, wie eine Art gemeinsamer Schule. Die Kinder der Familie treffen sich mal bei Onkel Nakoma, mal bei Onkel Fred in Mexiko oder bei Oma Katharina in Berlin.

      Weil Solveig diese besondere Gabe entwickelt hatte, zuzuhören, in andere Köpfe hineinzukriechen und Verbindung zu anderen aufzunehmen, nur über ihre Ströme von Energie, hat Tante Chénoa sie gebeten, innerhalb der Schar der Kinder eine besondere Rolle zu spielen Es muss einfach gesichert werden, dass die weitverzweigte Familie nicht auseinandertriftet und stets an einem Strang zieht. Es geht um diese gemeinsame Vision und die damit verknüpfte Demut. Man muss sich als Familienmitglied einfach darüber im klaren sein, dass diese Kraft zerstörerisch sein kann. Man darf sie nicht missbrauchen, sonst läuft die Familie Gefahr, diese Kraft zu verlieren.

      Anfangs übernimmt Solveig diese Aufgabe nur spielerisch, wie sich einzuüben. Sie knüpft Kontakte und sie hört zu. Sie gibt Anregungen und sie delegiert viele Aufgaben.

      Solveig tastet sich an diese Aufgabe langsam heran, ohne Druck und ohne Eile. Selbst das ist bereits eine ihrer hervorstechenden Eigenschaften. Tante Chénoa sagt dazu „die Methode Solveig“, was sie damit meint, das ist, dass Solveig das praktiziert, was im ökologischen Anbau als „sanfte Methode“ gilt. Das Gleiche gibt es im Bereich Tourismus und industrielle Produktion. Sanft eben, unaufdringlich, und nachhaltig.

      10.

      Solveig hatte in ihrer Kindheit und Jugend wirklich Glück. Ihre Position als Nesthäckchen hatten eine besondere Gabe hervorgebracht.

      Solveig hatte sich schon früh einen Namen als geniale Tierflüsterin gemacht und sie hätte ohne weiteres ihren Onkel Nakoma beerben können, aber er gab das Unternehmen an seine Söhne Raoul und Pedro weiter, die ebenso genial im Umgang mit Tieren sind wie der Vater.

      Solveig will zu ihren Cousins keine Konkurrenz sein. Chénoa hat ihr bereits eine verantwortungsvolle Aufgabe übergeben, aber Solveig will auch eine abgeschlossene Ausbildung, die ihr Spaß macht. Sie war quasi in der Klinik ihrer Mutter aufgewachsen. Das war ihr in Fleisch und Blut übergegangen. Solveig ist bereits geprägt. Sie beschließt, nach dem Abitur Humanmedizin und Tiermedizin zu studieren, Onkel Nakoma und seinen Kindern aber niemals Konkurrenz zu machen.

      Weil Solveig aber schon mit 18 Jahren einen legendären Ruf unter Züchtern genießt, wird sie ihr Tätigkeitsfeld auf Gebiete verlegen, die von ihren Vettern nicht beansprucht werden.

      Tante Chénoa hat ihr inzwischen geraten, sich um Russland und die angrenzenden Regionen zu kümmern. Dort gibt es sehr reiche Familien mit einem sehr wertvollem Pferdebestand. Viele dieser Familien sind in unsaubere Geschäfte verwickelt.

      Überall gibt es solche Familien, die von geheimen Geschäften leben, die man allgemein als mafiös bezeichnet. Manche dieser Familien agieren völlig im Untergrund, andere haben ganze Regierungen okkupiert.

      Chénoa sagte zu Solveig: „Die Mafia kannst du nur von innen heraus bekämpfen. Du musst ihre Strukturen und ihre Denkweise kennen, um sie beherrschen zu können. Denke immer daran, dass dies ein eigenes gesellschaftliches System ist, das im Verborgenen blüht. Was du nicht siehst, das kannst du nicht begreifen und auch nicht bekämpfen. Unsere Aufgabe ist es, dieses System sichtbar zu machen, so dass unsere Familie davon nicht bedroht werden kann.“

      Solveig beherzigt diesen Rat. Sie nimmt Kontakt auf. Sie hört sich um. In den Ferien reist sie mit Chénoa in andere Länder. Sie beobachtet und sie sieht vieles, was ihr nicht gefällt. Sie beobachtet nicht nur, sondern sie beginnt diese Menschen „einzusummen“ und die Kinder dieser Familien auf ihre Seite zu ziehen.

      Solveig greift dabei nie zu rigorosen Maßnahmen, sie ist in ihren Behandlungen sanft und nachhaltig. Sie pflegt die Tiere solcher Leute, die ihre Familie eigentlich von jeher bekämpft hatte. Sie greift nie in laufende Geschäfte dieser Familien ein, auch wenn sie vieles nicht gut findet. Sie sieht, sie hört zu, sie beobachtet und sie registriert. Sie wird nie ein Teil von Operationen dieser Gruppen oder Gangs, die sie aufsucht, um ihre wertvollen Pferde, Greifvögel, Keus oder Hunde zu behandeln, und wie durch ein Wunder kann sie es verhindern, von diesen Menschen vereinnahmt, oder gar bedroht zu werden, obwohl sie oft für konkurrierende Gangs arbeitet. Dabei gilt sie als verschwiegen und als zuverlässig. Wenn man nach Solveig schickt, dann ist sie da. Wenn man sie versucht, unter Druck zu setzen, setzt sie sich darüber hinweg. Wie sie das macht, das ist ihr Geheimnis. Nun ja. Chénoa kennt dieses Geheimnis. Es ist eben die „Methode Solveig“.

      Solveig verdient längst eigenes Geld, bevor sie überhaupt damit beginnt Medizin zu studieren. Sie wird von einigen dieser Familien wegen ihrer heilenden Hände bereits gefeiert wie eine Shamanin.

      Mit 18 beginnt Solveig ihr Studium in Lima und wechselte nach dem Vordiplom nach Deutschland. Dort gibt es eine kleine aber hochangesehene Fakultät für Medizin und Tiermedizin in Marburg. Solveig machte ihr Examen mit Bestnote. Der Professor bietet ihr an, in Marburg zu promovieren, aber Solveig lehnt dankend ab. Solche Ehren bedeuten ihr nichts. Sie geht zurück, um zunächst in der Klinik ihrer Mutter zu helfen. Sie klinkt sich in das heimische Leben wieder ein, und widmet sich parallel dazu weiter ihren Aufgaben als Tierheilerin.

      Während der Semesterferien führt sie diese Arbeiten stets weiter, und sie führt auch die von Chénoa aufgetragene Aufgabe der Leitung der Kids durch. Leise, mit zarter Hand, nachhaltig und ohne jeden Stress.

      Sie kann das wirklich gut. Solveig ist auf diesem Gebiet beeindruckend effektiv, und Chénoa bewundert diese Fähigkeit. Solveig ist Chénoa in vielen Dingen ebenbürtig.

      11.

      Solveig bekommt in diesen Jahren mit, wie die Familie in einem Cyberkrieg angegriffen wird. Sie begleitet die Maßnahmen, die ihre Tante Chénoa ins Leben ruft, um der Gefahr zu begegnen. Sie wird Zeugin von Gewalt. Immer wieder und immer wieder. Mal auf der einen Seite, mal auf der anderen.

      Solveig hat auf ihre eigene Art der Entwicklung eine Anschauung vom Zusammenleben der Menschen, die auf Gewaltlosigkeit setzt. Sie spricht oft mit ihrer Tante Chénoa über dieses Thema und sie versucht stets, einen eigenen Weg zu finden. Sanft und nachhaltig. Vielleicht macht sie sich schuldig, weil sie immer wieder Zeugin von Unrecht wird, ohne das zu verhindern, aber sie weigert sich strikt, selbst durch rigorose

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