Die Schamanin. Hans-Peter Vogt
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Es gibt bei den Indianern eine katholische (kirchliche) Trauung und oft auch eine zweite rein indianische, die von Solveigs Tante Chénoa nach alten Riten durchgeführt wird. Das ist der Kirche inzwischen bekannt. Chénoa unterstützt aber auch die Kirche großzügig, und so war ein seltsames Agreement zwischen dem katholischen Priester und Chénoa entstanden, das für den Priester und die indianische Gemeinde konfliktfrei ist. Solveig erlebt das in ihrer Kindheit zunächst nur unbewusst. Immerhin bekommt sie schon früh mit, dass es innerhalb ihrer indianischen Gemeinde Geheimnisse gibt, die auch gegenüber dem katholischen Priester stets gewahrt werden.
Für die kleine Solveig sind solche Stimmungen von Belang, weil sie diese feinen Schwingungen wahrnimmt, aber sie spürt keine Bedrohung. Die katholischen und die indianischen Riten hatten bereits angefangen sich zu vermischen. Ihre Familie hatte in der Stadt und in diesem Land längst eine Stellung, die unantastbar scheint. Für Solveig gibt es andere Dinge, die wichtiger sind, als eine mögliche Auseinandersetzung zwischen katholischer Glaubenslehre und den alten Schamanen der Indianischen Bevölkerung.
Onkel Nakoma nimmt Solveig mit in den Urwald, wo Solveig lernt, all diese Heilpflanzen selbst aufzuspüren. Sie hilft bei der Pferdezucht, und sie begleitet ihren Onkel von Zeit zu Zeit bei seinen Aufträgen in Übersee, die er als „Wunderheiler“ von bekannten Gestüten überall auf der Welt erhält. Onkel Nakoma ist ein weltweit gesuchter und gebuchter Therapeut, aber er ist besonders gerne in den arabischen Ländern unterwegs. Dort hat er seit Jahren einen festen Kundenstamm, und dort geht es wirklich um sehr wertvolle Rennkamele, Falken und Rennpferde. Er kennt alle dieser Scheichs und Emire persönlich, und dort lernt Solveig auch ganz andere Riten kennen. Es ist eine komplett andere Welt, als die Kultur in Südamerika. Es spielt dabei keine Rolle, dass in der arabischen Welt einen Kampf zwischen Schiiten und Sunniten stattfindet, denn Onkel Nakoma hat das Talent, von den einen und von den anderen akzeptiert zu werden. Manchmal vermittelt er, und er hat in den letzten Jahrzehnten schon so manch einen bewaffneten Konflikt zwischen den Kontrahenten verhindern können.
Inzwischen sind zwei der Kinder von Onkel Nakoma besser als ihr Vater, aber auch das ist in der Familie kein Thema. Sie assistieren Nakoma, aber sie nehmen auch eigene Aufträge an. Sie sprechen sich ab und sie machen sich gegenseitig keine Konkurrenz. Auch Solveig wird in der Heilkunst phänomenal gut. Schon im Alter von 14 Jahren übertrifft sie ihren Onkel in einigen seiner Fähigkeiten. Dies gelingt ihr unter anderem durch ihre besondere Beobachtungsgabe. Im Aufspüren und Heilen von Krankheiten ist Solveig ein Genie.
8.
Natürlich lernt Solveig auch alles andere in dieser kleinen Stadt kennen. Sie hat freien Zugang zum Rathaus, sie sitzt manchmal sonntags in der Kirche, sie kann jederzeit ins Sägewerk oder oben zum Golfplatz gehen, und Solveig hat als Mitglied ihrer Familie überall freien Zutritt. Sie ist einfach überall gern gesehen.
Unten, am unteren Rand der Stadt liegt auch diese Fabrik von Nahrungsmitteln, die der Familie gehört. Sie stellen dort Tiefkühlkost und Soßen in Flaschen her, rund um die Uhr. Es gibt dort Silos und es gibt einen großen LKW Ladeplatz. Die 40-Tonner können direkt an die Laderampe fahren, zum beladen oder zum entladen. Sie bringen stets frisches Gemüse und Fleisch und fahren wieder ab, voll bepackt mit Tiefkühlgerichten, Dosennahrung, oder mit Paletten voller Soßen.
Es gibt auch Ausgabestellen, wo man mit dem Kleintransporter hinfahren kann, um für die verschiedenen Küchen Lieferungen abzuholen, Verpacktes oder Frisches. Die Fabrik hat innerhalb der kleinen Stadt so etwas übernommen, wie ein Großmarkt und ein gewerblicher Discounter zu gleichen Teilen. Sie beliefert alle Hotels und Gaststätten der Stadt.
Jedenfalls kommen die LKW’s hier 24 Stunden am Tag an und fahren wieder ab. Es gibt allein 20 Laderampen und die Ladezeiten sind kurz. Da gibt es ein Heer von Hubwagen, welche die Paletten rausheben. Dann werden die LKW mit Schläuchen unter Hochdruck ausgespritzt und gesäubert, mit einem Gebläse getrocknet und sofort wieder beladen, während die Kühlung auf vollen Touren läuft, bis die notwendige Transporttemperatur erreicht wird, die für Tiefgekühltes anders ist als für die Paletten mit den Soßen in Glasflaschen. Alles ist perfekt organisiert. Die Frischware kommt vielfach aus Chile, Rindleisch aus Argentinien, Huhn aus Chile, manchmal von ländlichen Kooperativen der größeren Umgebung, und die Fertiggerichte gehen überwiegend wieder zurück nach Bolivien, Argentinien und Chile.
Es gibt noch eine zweite und viel größere Fabrik in Cusco, die der Familie gehört, und die beliefert die Nordstaaten, wie Kolumbien, Venezuela, Äquador, Brasilen und Peru selbst.
Als Mitglied der Familie kann Solveig jederzeit in diese Fabriken gehen. Sie kann dort hospitieren, oder sich mit den Leuten vom Einkauf oder an den Garkesseln unterhalten. Solveig hat unbegrenzten Zugang zu verschiedenen anderen Unternehmen und Einrichtungen, wie etwa das Familienhotel, das Elektrizitätswerk oder das Klärwerk, was anderen zu Recht verwehrt wird, die nicht zu Solveigs Familie gehören.
So springt Solveig manchmal auch nach Cusco. Manchmal wird sie von Tante Chénoa mitgenommen nach La Paz, nach Santiago de Chile oder nach Mexiko City. Solche Reisen sind ein Leichtes für Solveig. Sie von der Familie diese einzigartige Fähigkeit ererbt, durch den Raum zu gehen, wenn der Zielort bekannt ist. Sie hat auch gelernt, jede Sprache der Welt innerhalb weniger Stunden oder Tage zu erlernen, wenn sie nur ihr „Gesumm“ anschaltet, diesen gewaltigen Energiestrom, der es ihr auch ermöglicht, die „internationale Sprache“ zu sprechen, die jeder auf der Welt verstehen kann, egal wo.
Sie hatte längst gelernt, sich in allen Tiersprachen zu verständigen, und sich sogar in Tiere zu verwandeln. Die Kräfte ihrer Familie erlauben ihr das. Sie muss diese Tiere allerdings schon kennen, um in ihre Seele zu kriechen, um ihren Geruch und ihren Charakter anzunehmen. Mit Lamas, Pferden, Hunden, Berglöwen oder Adlern geht das problemlos. Sie kann sich auch in die Tiere des Urwalds verwandeln. Ameisen, Blutegel, Spinnen, Affen oder Falter. In einen Elefant hätte sie sich nicht verwandeln können. Den kennt sie (noch) nicht, aber Elefanten sind ohne eine nahezu ausgestorbene Spezies. Sie werden wohl die nächsten 30 Jahre nicht überleben.
Solveig gehört also schon früh zu einer Elite von bevorzugten Menschen, aber sie ist sich dessen bewusst, dass diese Kräfte nur geliehen sind. Man kann sie jederzeit verlieren, wenn man gegen den Kodex der Familie verstößt, der von ihr verlangt, mit dieser Kraft sorgfältig umzugehen, und sie nie, wirklich nie zu missbrauchen, um eigene egoistische Vorteile zu bedienen. Auch das hat seit ihrer frühen Kindheit zu ihrer Ausbildung gehört. Im Zusammenspiel mit der etwas älteren Freundin Clarissa war dies oft das Thema ihrer Gespräche gewesen. Solveig hatte dies längst verinnerlicht, wie eine Art innere Uhr.
Weil sie eine besondere Gabe entwickelt hat, in andere Menschen hineinzuhorchen, wird sie jetzt auch von Tante Chénoa manchmal mitgenommen zu Konferenzen, egal ob in New York, London oder Peking. Oft ist auch Clarissa dabei, und das ist immer sehr lustig, weil sie darauf bestehen, etwas von diesen Städten zu sehen.
Solveig hat längst begriffen, dass ihre Familie da ein Netz an Firmen besitzt, die überall auf der Welt aktiv sind.
Naja. Eigentlich gehören diese Firmen nicht der leiblichen Familie von Solveig, sondern der Stiftung in Berlin, die aber wiederum zum großen Teil der leiblichen Familie von Solveig gehört. Es gibt noch andere Eigentümer, aber die gehören alle zu einer großen Familie aus Freunden.
Genau genommen ist das also alles „Familieneigentum“, doch auch die Indianer in Ciudad del Sol, die Mitarbeiter in den Fabriken oder die vielen Mitarbeiter in der Imbisskette, die der Familie gehört, die sind für Solveig ein Teil ihres Familienclans.
Es ist diese besondere Philosophie des Clans, eine Gemeinschaft zu bilden,