Internationales Privatrecht. Thomas Rauscher
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b) Staatenlosigkeit entsteht aus unterschiedlichen Gründen.
aa) Von Geburt kann sie sich aus der Verschiedenheit der Anknüpfungsmerkmale für den Erwerb der Staatsangehörigkeit ergeben. Diese Art der Staatenlosigkeit ist heute selten, weil insbesondere Staaten, die dem Prinzip des ius soli folgen, in ihrem Staatsangehörigkeitsrecht häufig Bestimmungen vorsehen, welche die Staatenlosigkeit von Kindern ihrer Staatsangehörigen vermeiden sollen, indem sie partiell das Prinzip des ius sanguinis verwirklichen.
Das Staatsangehörigkeitsrecht der USA folgt grundsätzlich dem Prinzip des ius soli. Unmodifiziert würde dies dazu führen, dass bei Geburt des Kindes eines seit kurzem in Deutschland lebenden US-amerikanischen Paares in Deutschland dieses Kind staatenlos wird, weil nach dem deutschen Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG) ein Erwerb iure soli in diesem Fall nicht vorgesehen ist (§ 4 Abs. 3 StAG). Das Staatsangehörigkeitsrecht der USA sieht dieses Kind jedoch als US-citizen an, wenn einer seiner Elternteile zu irgendeinem Zeitpunkt in den USA Wohnsitz (residence) gehabt hat (zu anderen Fällen vgl § 1401 US-Immigration and Naturalization Act 1952).
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bb) Staatenlosigkeit tritt durch familienrechtliche Vorgänge ein, wenn eine Statusänderung nach dem Staatsangehörigkeitsrecht des bisherigen Heimatstaates zum Verlust der Staatsangehörigkeit, jedoch nach dem Recht keines anderen Staates zum Erwerb von dessen Staatsangehörigkeit führt. Dieser Verlustgrund wird deshalb zunehmend seltener, weil der vormals häufigste Fall, die Änderung der Staatsangehörigkeit einer Frau aufgrund Eheschließung, zunehmend aus den Staatsangehörigkeitsrechten eliminiert wird.
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Schloss vor dem 1.4.1953 eine Deutsche die Ehe mit einem Ausländer, so verlor sie die deutsche Staatsangehörigkeit (§ 17 Nr 6 RuStAG aF); ob sie die Staatsangehörigkeit des Ehemannes erwarb, hing von den Bestimmungen dieses Staates ab. Das deutsche Recht vermied im spiegelbildlichen Fall die Staatenlosigkeit der Frau, weil Eheschließung einer Ausländerin mit einem Deutschen zum Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit führte (bis 1.4.1953 und sodann erneut vom 24.8.1957 bis 31.12.1969, § 3 Nr 3, § 6 Abs. 1 und 2 RuStAG aF idF des 3. StARegelungsG v. 19.8.1957; in der Zwischenzeit bestand keine ausdrückliche Regelung, weil die Bestimmungen im ursprünglichen RuStAG – als gleichberechtigungswidriges Recht – mit Ablauf des 31.3.1953 außer Kraft getreten waren, Art. 117 Abs. 1 GG). Da alle Staaten, die einen Staatsangehörigkeitserwerb der Frau durch Eheschließung nicht mehr kennen, wenigstens gleichzeitig (das deutsche Recht sogar wesentlich früher) die Eheschließung als Verlustgrund beseitigt haben, kommt Staatenlosigkeit durch Eheschließung kaum noch vor.
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Adoption kann zu Staatenlosigkeit führen, wenn das Heimatrecht des Kindes die Adoption durch einen Ausländer als Verlustgrund für die Staatsangehörigkeit vorsieht, das Heimatrecht des Adoptierenden dem Kind jedoch nicht die Staatsangehörigkeit verleiht – was auch deshalb geschehen kann, weil es die Adoption ggf nicht als wirksam oder nicht als volle Adoption ansieht.
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cc) Ausbürgerung war im 20. Jahrhundert aufgrund zahlloser Bevölkerungsverschiebungen, Vertreibungen, „ethnischer Säuberungen“ und Flüchtlingsbewegungen der wohl häufigste Grund für Staatenlosigkeit. Die Ausbürgerung als Sanktion für eine Abwendung von dem betroffenen Staat bzw als Methode der Ausgrenzung von missliebigen Volksgruppen kennzeichnet totalitäre Systeme und widerspricht völkerrechtlichen und rechtsstaatlichen Prinzipien.
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Die Sammelausbürgerungen im Dritten Reich, insbesondere die 11. VO zum Reichsbürgergesetz v. 25.11.1941[27] betreffend alle Deutschen jüdischen Glaubens, die sich am 25.11.1941 im Ausland befunden haben, wurde durch Kontrollratsgesetz Nr 1 aufgehoben. Das tschechoslowakische Verfassungsdekret vom 2.8.1945 (eines der „Benes-Dekrete“), das in § 1 Abs. 2 tschechoslowakischen Staatsbürgern deutscher und magjarischer Herkunft die Staatsangehörigkeit entzieht, wurde selbst anlässlich des Beitritts zur EU nicht aufgehoben. In der DDR mussten ausreisewillige Bürger vor einer „legalen“ Ausreise ihre Entlassung aus der Staatsbürgerschaft erhalten, wurden hierdurch jedoch ganz überwiegend nicht staatenlos, da sie regelmäßig die deutsche Staatsangehörigkeit besaßen. Die aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten Vertriebenen genießen die Rechtsstellung des Art. 116 GG. Aus der ehemaligen Sowjetunion vertriebene Dissidenten (zB Alexander Solshenizyn) wurden hingegen durch Verlust der sowjetischen Staatsangehörigkeit regelmäßig staatenlos. Freilich ist auch das umgekehrte Phänomen bekannt: Das kommunistische Rumänien entließ geflohene Staatsangehörige auch auf Antrag überwiegend nicht aus der Staatsangehörigkeit, was zwar kein Problem der Staatenlosigkeit heraufbeschwor, aber als Schikane zur Erschwerung des Erwerbs einer anderen Staatsangehörigkeit wirken sollte (vgl vor diesem Hintergrund Art. 16 Europäisches Übereinkommen über die Staatsangehörigkeit, Rn 224).
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c) Staatenlosigkeit wird noch stärker als die Mehrstaatigkeit als unerwünschtes Phänomen angesehen, weil der Staatenlose nicht nur kollisionsrechtliche und andere juristische Probleme verursacht, sondern weil er ohne den öffentlich-rechtlichen Schutz eines bestimmten Staates auf der ganzen Welt Ausländer ist. Das UN-Übereinkommen über die Rechtsstellung der Staatenlosen v. 28.9.1954[28] setzt nicht bei der Vermeidung der Staatenlosigkeit an, sondern schafft Grundsätze zur Vermeidung von Rechtlosigkeit von Staatenlosen; es knüpft das Personalstatut Staatenloser in Art. 12 Abs. 1 noch an den Wohnsitz, hilfsweise den schlichten Aufenthalt an. Das UN-Übereinkommen zur Verminderung der Staatenlosigkeit v. 30.8.1961[29] geht einen Schritt weiter: Es enthält Bestimmungen, die Staatenlosigkeit aus allen drei genannten Entstehungstypen vermeiden sollen; insbesondere werden rassische, ethnische, religiöse und politische Ausbürgerungen verboten, und solche durch Gebietsänderungen sollen vermieden werden. Das Europäische Übereinkommen über die Staatsangehörigkeit (Rn 224) sieht die Vermeidung von Staatenlosigkeit als Grundsatz (Art. 4 lit. b) und regelt abschließend in Art. 7 Abs. 1 iVm Abs. 3 die Fälle, in denen ein Vertragsstaat den Verlust seiner Staatsangehörigkeit auch dann vorsehen darf, wenn dadurch Staatenlosigkeit eintritt.
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Vermeidung von Mehrstaatigkeit