Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht?. Charlotte Schmitt-Leonardy
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![Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht? - Charlotte Schmitt-Leonardy Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht? - Charlotte Schmitt-Leonardy Schriften zum Wirtschaftsstrafrecht](/cover_pre1014685.jpg)
Filser Einführung in die Kriminalsoziologie, S. 294.
Filser Einführung in die Kriminalsoziologie, S. 89.
c) … im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit begangen wird.
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Das letzte Merkmal der „white collar-Kriminalität“ nach Sutherland ist, dass das kriminelle Verhalten in Ausübung des Berufes erfolgt. Die Entwicklung dieses Kriteriums folgte aus der Beobachtung des kriminellen „Entgleisens“ aus einer beruflich verfestigten Position heraus. Durch Betonung dieses Aspekts sollte zudem das Ansehen bzw. der hohe soziale Status in Beziehung zu der Berufsausübung des Täters gesetzt werden. Nicht beabsichtigt war hingegen die später vorgenommene Gleichsetzung von „white collar-Delikten“ mit Berufsstraftaten („occuptional crimes“),[1] denn Sutherland hatte dieses Definitionsmerkmal vor dem Hintergrund der seit der Hochphase der Industrialisierung traditionell zweigeteilten Berufswelt vorgenommen, in der Arbeiter dominierten und wenige hohe Angestellte vorkamen. Die synonyme Verwendung und Abkehr vom täterorientierten Kriterium des „herausgehobenen sozialen Status“ bedeutete in der Folge also eine Vernebelung des gerade neuentdeckten Begriffs. Unter „white collar-Kriminalität“ verstand man alsbald Rechtsbrüche, die von Personen im Staatsdienst, im Geschäftsleben oder in freien Berufen, und zwar innerhalb ihrer rechtmäßigen Berufsrollen, begangen wurden.[2] Für diese Kriminalität sollte also typisch sein, dass institutionalisierte Erwartungen verletzt werden, die an die Berufsrollen geknüpft werden.
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Obwohl der Überschneidungsbereich zwischen so verstandener Berufskriminalität und Wirtschaftskriminalität relativ groß sein dürfte, da – wie Sutherland schon beschrieb – der Zugang zu bestimmten Wirtschaftsstraftaten durch die berufliche Position erleichtert wird, konnte die Berufskriminalität zu keinem Zeitpunkt als Synonym und noch weniger als Oberbegriff zur Wirtschaftskriminalität – auch nicht im Sutherland'schen Sinne – gebraucht werden.[3]Sutherland setzte aus oben dargestellten Gründen[4] im Endeffekt seinen Schwerpunkt auf die Charakterisierung des Rechtsbrechers und weniger des Rechtsbruchs. Da sich aber schon in der wissenschaftlichen Diskussion seiner Zeit abzeichnete, dass „white collar-Kriminalität“ sich nicht in entsprechenden Handlungen von Unternehmern und Angehörigen freier Berufe erschöpfen, sondern ebenso von mittleren und unteren Angestellten begangen werden konnte,[5] war es nötig, die in den obigen Ausführungen erwähnten „Schwachstellen“ oder fehlenden Aspekte zu ergänzen.
Anmerkungen
Unter Berufskriminalität oder „occuptional crimes“ versteht man heute alle Delikte, die in Ausübung eines Berufs verübt werden. So z. B. Schneider Kriminologie, S. 43 ff., der die ungerechtfertigte Kommerzialisierung der medizinischen Behandlung (unnötige Operationen aufgrund vorsätzlich falscher Diagnose), Durchführung nicht notwendiger Arbeiten bei der Autoreparatur oder den Verkauf älterer Waren als „frisch“ als Beispiele anführt. Die zweite Bedeutung von Berufskriminalität, nämlich die Kriminalität von Berufskriminellen, also Straftätern, die aus dem Verbrechen einen Beruf machen, spielt in diesem Zusammenhang natürlich keine Rolle; Middendorff Grundfragen der Wirtschaftskriminalität 1963, 59 (51 ff.); siehe hierzu auch Kaiser Kriminologie, S. 845 ff.; Schneider Handwörterbuch der Kriminologie, S. 659. Anders Schneider NStZ 2007, 555 (556 ff.), der „occuptional criminality“ ausdrücklich zum Bezugspunkt zur Wirtschaftskriminalität macht.
Sack/König Kriminalsoziologie, S. 189 ff.
Vgl. hierzu Liebl Kriminologisches Bulletin 1982, 21 (36 f. m. w. N.).
Siehe oben Rn. 104.
Schließlich sind – so ein Ausspruch von Edelhertz in Kaiser Kriminologie, S. 847 – auch white collar-Delikte „demokratisch“ und stehen somit Bankdirektoren wie Bankangestellten offen.
d) Fortführung und Abkehr von Sutherlands Konzept
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Die Weiterentwicklung von Sutherlands Konzept scheint wesentlich Terstegen geschuldet, der unmittelbar an ihn anknüpfte und ihm insofern zustimmte, dass Reichtum und Ansehen schützen, jedoch diesen Umstand nicht als markantestes Kriterium der white collar-Täter ansah.[1] Es schien ihm insgesamt vorzugswürdig, die Besonderheit der white collar-Kriminalität in der besonderen Vorgehensweise des Täters und weniger in der Persönlichkeit desselben zu suchen. Er betonte, dass die Begehung dieser „ökonomisch besonders ergiebigen Verbrechen“[2] nur einem sehr kleinen Teil der Bevölkerung möglich ist, weswegen die Frage der Täterpersönlichkeit trotz allem zentral bleiben würde.
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Kennzeichen der white collar-Delikte, und zugleich Unterscheidungsmerkmal zu den „Unterweltverbrechen“, ist nach Terstegen die „violation of trust“, der Bruch und darüber hinaus die Zerstörung von Vertrauen.[3] Allerdings begründet nicht jede Verletzung von Vertrauen ein white collar-Delikt. Entscheidend ist, dass es sich hierbei um gesellschaftlich gebotenes Vertrauen handelt und nicht um den Missbrauch von freiwillig gespendeter Vertrauensseligkeit. Anknüpfungspunkt für diese Überlegung ist das immer komplizierter verlaufende Leben in der Gesellschaft, in der gewisse Vorgänge ohne dieses gesellschaftlich gebotene Vertrauen nicht realisierbar wären.[4] Grundsätzliche Funktionsvoraussetzung der freien Wirtschaft sei, dass jeder die Leistungen erbringt, zu welchen er verpflichtet ist und keine Leistung für sich in Anspruch nimmt, auf die er keinen Anspruch hat. Von diesen Pflichten schlössen sich die Wirtschaftskriminellen aber aus. Zwar ziehe nicht jeder solche Ausschluss eine Verletzung von Vertrauen nach sich, jedoch sei dies dann der Fall, wenn die an den Wirtschaftsabläufen Teilnehmenden die Verletzung des Vertrauens zunächst nicht erkennen können. Wenn dann später erkannt würde, dass es möglich ist, sich „mehr oder weniger offen und ungestraft über die Gesetze hinwegzusetzen, dann kommt sich der Gesetzestreue als der Dumme vor“. Es tritt dann die schlimmste Form der Korruption ein, denn die Gesetze werden nicht mehr als verbindlich betrachtet. Eine Erschütterung des Vertrauens in der Gesellschaft ist die Folge, welches sich darin äußert, dass