Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht?. Charlotte Schmitt-Leonardy

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Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht? - Charlotte Schmitt-Leonardy Schriften zum Wirtschaftsstrafrecht

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stehen, denn in diesem Fall wären Diebstahl von Betriebseigentum oder Unterschlagungsdelikte auch erfasst.[15] Auch die besondere, den Zugang zur Tat erleichternde Position kann nicht alleine als Abgrenzungskriterium fungieren, weil auch die meisten Angestellten von Unternehmen einen anderen „Zugang“ zu Betriebseigentum haben als Kunden. Solche Delikte sind vorliegend aber nicht gemeint. Vielmehr beschreibt Wirtschaftskriminalität Verhaltensweisen, die in funktionellem Zusammenhang zum Wirtschaftssystem stehen, wie ihn Opp etablierte. Das Merkmal des funktionellen Zusammenhangs beschreibt also die Handlung eines Täters – dieser selbst Teil des Wirtschaftssystems –, die aus der Systemstruktur heraus erfolgt. Die Handlung wird verständlich, weil sich der Täter innerhalb des Systems „halten“ bzw. seine Position absichern oder verbessern will. Dies kann jedoch nur der Rahmen sein, anhand dessen der Begriff Wirtschaftskriminalität weiter eingegrenzt wird. Nimmt man als weiteres Abgrenzungskriterium die Angriffsrichtung der devianten Handlungen oder, mit der überwiegenden Ansicht, die tangierten Rechtsgüter, ergeben sich leicht Friktionen. Dies nicht nur aufgrund der zwangsläufigen Vagheit von kollektiven Rechtsgütern,[16] auf die bereits eingegangen wurde. Denn pauschal die „Wirtschaft“ bzw. ihre „Funktionsfähigkeit“ als Rechtsgut zu schützen, ist so abstrakt, dass zu fürchten ist, derart weite strafrechtliche Anwendungsfelder könnten freies wirtschaftliches Handeln unmöglich machen.[17] Wird verstärkt auf das Kriterium der Beeinträchtigung der Marktwirtschaft oder ihrer konstitutiven Elemente abgestellt,[18] läuft dies darauf hinaus, dass nur wirtschaftlich potente Akteure – sprich Unternehmen – als Wirtschaftskriminelle in Frage kommen, da nur sie in der Lage sind, das Wirtschaftsleben tatsächlich zu gefährden. Eine solche Sichtweise würde letztlich auf die Gleichstellung von Wirtschaftskriminalität und Unternehmenskriminalität hinauslaufen, was beispielsweise in der obigen Studie Wirtschaftskriminalität und die Privatisierung der DDR-Betriebe auch explizit vertreten wird.[19] Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass auch individuelle und nur auf den eigenen Vorteil bezogene Handlungen vorstellbar sind, die gleichwohl zur Wirtschaftskriminalität zu zählen sind. Dies insbesondere im genannten Fall des Scalpings, also einer öffentlichen Empfehlung eines zuvor auf eigene Rechnung gekauften Wertpapiers mit anschließendem Gewinn bringenden Verkauf zu einem infolge der Empfehlung gestiegenen Kurs. Hier kann der Täter beispielsweise ein Börsenjournalist sein oder aus einer ähnlichen, durch notwendiges Vertrauen ausgezeichneten, Position heraus handeln. Schon dieses Beispiel[20] zeigt, dass es für die Definition der Wirtschaftskriminalität zweckmäßiger ist, den Unternehmensbezug nicht schon hier herzustellen.[21] Es ist leicht vorstellbar, dass die „organisierte Form der Wirtschaftskriminalität“ in Form der Unternehmenskriminalität dominiert, jedoch sollte letztere dann als Teil- oder Schnittmenge betrachtet werden und eine Abgrenzung anhand genauer Kriterien vorgenommen werden. Dies trägt m. E. dem Umstand Rechnung, dass Definitionen im Sinne von Nominaldefinitionen nicht das Wesen von Dingen beschreiben, sondern vielmehr Konventionen über die Kennzeichnung gewisser realer Phänomene sind. Sie orientieren sich also nicht an den Parametern „wahr“ oder „unwahr“, sondern sollen geeignet, zweckmäßig und möglichst genau zur Konturierung eines Phänomens beitragen.[22]

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      Anmerkungen

       [1]

      Kaiser Kriminologie, S. 856.

       [2]

      Vgl. Kunz in: FS f. Schmid, S. 87 (88), der Sutherland jedoch auch nicht darauf reduzieren will und die Neubestimmung des kriminologischen Gegenstands als „Wirtschaftskriminalität“ für „farblos“ hält; vgl. S. 89.

       [3]

      Darunter sollen die oben genannten unmoralischen oder unethischen Verhaltensweisen verstanden werden, die jedoch noch keine Strafrechtsverletzung darstellen. Vgl. hierzu auch Opp Soziologie der Wirtschaftskriminalität, S. 47.

       [4]

      Unter dem Aspekt der Kumulation wirtschaftsdevianter Verhaltensweisen zu einer letztendlichen Rechtsgutsverletzung vgl. den Fall der „Herald of Free Enterprise“ unter Rn. 255.

       [5]

      Vgl. zur Beschreibung dieser Phänomene Kapitalmarktstrafrecht-Zieschang 2. Aufl. Kapitel 1, T1 Rn. 10 und Kapitel 3, T1 Rn. 76 m. w. N.

       [6]

      Jung Die Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität als Prüfstein des Strafrechtssystems, S. 24.

       [7]

      Vgl. hierzu Opp Abweichendes Verhalten und Gesellschaftsstruktur, S. 9 ff., 52 ff.; Jung Kriminalsoziologie, S. 13; Kaiser Kriminologie, S. 317 ff.

       [8]

      Für die spätere strafrechtliche Bewertung wird also der Bezugsrahmen neu definiert werden müssen, da dieser sich an normativen Kategorien zu orientieren hat. Der Terminus „Kriminalität“ impliziert dort, dass der Gegenstand der Untersuchung ein Verhalten ist, welches das geltende Recht tatbestandsmäßig umschrieben und ausdrücklich mit Strafe bedroht hat. Danach müsste alles Verhalten aus der Darstellung ausgeschlossen bleiben, das zwar strafwürdig, aber noch nicht strafbar ist. Diesen engen Bezugsrahmen bereits hier im phänomenologischen Teil anzulegen wäre jedoch aus den erwähnten Gründen nicht förderlich. Wie angedeutet besteht bisweilen eine inhaltliche Diskrepanz, wenn nicht ein normativer Konflikt zwischen alltags- und wissenschaftssprachlicher Verwendung des Kriminalitäts- und Verbrechensbegriffs. Ein derartiger gesellschaftlicher Dissens ist zumindest in jenen Bereichen, in denen es um die „Kriminalität der Mächtigen“ geht, eher der Normalfall als die Ausnahme. Im Unterschied dazu werden etwa Straßenkriminalität oder Gewaltdelinquenz – als sichtbare und als bedrohlich empfundene Verhaltensweisen – weitgehend übereinstimmend als „Verbrechen“ definiert, was mitunter den unbeabsichtigten Nebeneffekt hat, dass man „die Großen“ laufen lassen muss, „die Kleinen“ aber hängt. Vgl. in diesem Sinne schon die frühen Beobachtungen von Kaiser Kriminologie, S. 423. Vgl. zu dem von Sutherland

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