Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht?. Charlotte Schmitt-Leonardy
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht? - Charlotte Schmitt-Leonardy страница 47
121
Eingedenk dessen ist zu folgern: Die Beziehung der Tat zur Wirtschaft ist als funktionaler Zusammenhang zum Wirtschaftssystem fruchtbar zu machen. „Die Wirtschaft“ bezieht sich nämlich nicht entscheidend auf Personen – wie Sutherlands Ansatz herausstellt – und stellt nicht in erster Linie ein Rechtsgut dar – wie strafrechtswissenschaftliche Ansätze herausstellen –, sondern stellt einen strukturellen Kontext[23] dar, der die Relevanz bestimmter Handlungen für das „Überleben“ in diesem System vorgibt. Rechtsverletzungen, die in der Absicht geschehen, in diesem System zu bestehen bzw. die Stellung innerhalb dieses Systems zu verbessern, müssen daher als Wirtschaftskriminalität bezeichnet werden. Als Eingrenzungskriterien sind diesem Begriff kumulativ (1) die, mit gesellschaftlich gebotenem Vertrauen verbundene, herausgehobene Position der Täter,[24] (2) das wirtschaftsdeviante Verhalten[25] und (3) die im kriminaltaktischen Konzept vorgeschlagene Angriffsrichtung[26] immanent. Unter Wirtschaftskriminalität sind also strafwürdige, sozialschädliche Verhaltensweisen zu verstehen, die von Personen in besonderen – nämlich gesellschaftlich gebotenes Vertrauen voraussetzenden – Positionen heraus begangen werden und dabei in einem funktionalen Zusammenhang zum Wirtschaftssystem stehen.[27]
Anmerkungen
Kaiser Kriminologie, S. 856.
Vgl. Kunz in: FS f. Schmid, S. 87 (88), der Sutherland jedoch auch nicht darauf reduzieren will und die Neubestimmung des kriminologischen Gegenstands als „Wirtschaftskriminalität“ für „farblos“ hält; vgl. S. 89.
Darunter sollen die oben genannten unmoralischen oder unethischen Verhaltensweisen verstanden werden, die jedoch noch keine Strafrechtsverletzung darstellen. Vgl. hierzu auch Opp Soziologie der Wirtschaftskriminalität, S. 47.
Unter dem Aspekt der Kumulation wirtschaftsdevianter Verhaltensweisen zu einer letztendlichen Rechtsgutsverletzung vgl. den Fall der „Herald of Free Enterprise“ unter Rn. 255.
Vgl. zur Beschreibung dieser Phänomene Kapitalmarktstrafrecht-Zieschang 2. Aufl. Kapitel 1, T1 Rn. 10 und Kapitel 3, T1 Rn. 76 m. w. N.
Jung Die Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität als Prüfstein des Strafrechtssystems, S. 24.
Vgl. hierzu Opp Abweichendes Verhalten und Gesellschaftsstruktur, S. 9 ff., 52 ff.; Jung Kriminalsoziologie, S. 13; Kaiser Kriminologie, S. 317 ff.
Für die spätere strafrechtliche Bewertung wird also der Bezugsrahmen neu definiert werden müssen, da dieser sich an normativen Kategorien zu orientieren hat. Der Terminus „Kriminalität“ impliziert dort, dass der Gegenstand der Untersuchung ein Verhalten ist, welches das geltende Recht tatbestandsmäßig umschrieben und ausdrücklich mit Strafe bedroht hat. Danach müsste alles Verhalten aus der Darstellung ausgeschlossen bleiben, das zwar strafwürdig, aber noch nicht strafbar ist. Diesen engen Bezugsrahmen bereits hier im phänomenologischen Teil anzulegen wäre jedoch aus den erwähnten Gründen nicht förderlich. Wie angedeutet besteht bisweilen eine inhaltliche Diskrepanz, wenn nicht ein normativer Konflikt zwischen alltags- und wissenschaftssprachlicher Verwendung des Kriminalitäts- und Verbrechensbegriffs. Ein derartiger gesellschaftlicher Dissens ist zumindest in jenen Bereichen, in denen es um die „Kriminalität der Mächtigen“ geht, eher der Normalfall als die Ausnahme. Im Unterschied dazu werden etwa Straßenkriminalität oder Gewaltdelinquenz – als sichtbare und als bedrohlich empfundene Verhaltensweisen – weitgehend übereinstimmend als „Verbrechen“ definiert, was mitunter den unbeabsichtigten Nebeneffekt hat, dass man „die Großen“ laufen lassen muss, „die Kleinen“ aber hängt. Vgl. in diesem Sinne schon die frühen Beobachtungen von Kaiser Kriminologie, S. 423. Vgl. zu dem von Sutherland