Die moderne Erlebnispädagogik. Rainald Baig-Schneider
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Gairing hat darauf hingewiesen, dass Deweys rigoroses Entwicklungsparadigma die Plattform für die moderne Organisationsentwicklung geschaffen hat. Ob bei Caritas, Jugendherbergs werk oder der Deutschen Bank: Die aktuellen OE-Prozesse sind ohne Dewey kaum zu denken. Auch die in den meisten Unternehmen vollzogene Kehrtwende in der Erstausbildung antizipierte Dewey schon 1916: die einzige Form der Ausbildung für den Beruf ist durch den Beruf. (…) Deweys Ansatz ist verblüffend radikal, indem er die Erfahrung als den „Lernort“ seiner Pädagogik positioniert.115
Daneben erscheint „Learning by doing“ als Schlagwort auf den ersten Blick als leicht einzulösendes Konzept und übte sicher zusätzlich einen starken Reiz auf Praktiker / -innen aus. Hier zeigt sich die auch heute in der modernen erlebnispädagogischen Literatur oft angesprochene Diskrepanz zwischen Theoretikern / -innen und Praktikern / -innen:
Deweys Pragmatismus wirkte auf den ersten Blick technokratisch und theoriefeindlich: Ein Gramm Erfahrung ist besser als eine Tonne Theorie, einfach deswegen, weil jede Theorie nur in der Erfahrung lebendige und in der Nachprüfung zugängliche Bedeutung hat.116
Dieser Theorie Praxis Gap ist sozusagen ein Urproblem der Pädagogik als Wissenschaft.
2.2.2 Exkurs: Dewey, Hahn und Thoreau: Veränderung durch Erziehung
Während Dewey durch die Projektmethode und die reflexive Ausrichtung in Form des Erfahrungslernens einen großen Einfluss auf die didaktische Gestaltung des Schulunterrichts ausübte117, steht ein zweiter nordamerikanischer „Pädagoge“, Thoreau, der ebenfalls zu den „Urvätern“ der Erlebnispädagogik gezählt wird, für das „Prinzip der Unmittelbarkeit“:
Während eine europäische Erziehungsgeschichte ohne Rousseau, eine amerikanische Philosophiegeschichte ohne Thoreau unvollständig bleibt, ist das Thoreausche Gedankengut im europäischen Kulturraum einer seltsamen Vergessenheit preisgegeben. Nur gelegentlich leuchtet die Persönlichkeit dieses Propheten und Poeten, Philosophen und Pädagogen im Pantheon der Unsterblichen auf. So vor 25 Jahren, als Thoreau als Prophet der 68er Generation herhalten musste, oder als bekannt wurde, dass Mahatma Ghandi Thoreaus Buch „Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat“ fast immer im Reisegepäck hatte. (…) Die Natur ist die große Erzieherin und Lehrmeisterin. Während Rousseau im „Emile“ die Erziehung durch die Natur, die Dinge und den Menschen sozusagen am Reißbrett entwirft, liefert Thoreau ein praktisches Beispiel der Lebenskunst. Am 4. Juli 1845, dem amerikanischen Unabhängigkeitstag, zieht er in eine selbst gebaute Hütte am Walden-See in der Nähe seiner Heimatstadt Concord. Das Evangelium der Einfachheit und Einsamkeit ist aber kein romantischer Rückzug in die Natur, sondern baut auf einem durchaus komplexen Gedankengebäude auf, das zu einem nicht geringen Teil durch die besondere historische und persönliche Situation von Thoreau zu erklären ist. Zweieinhalb Jahre später beendet Thoreau sein Walden-Experiment und verdingt sich als Hilfskraft im Hause des Philosophen Ralph Waldo Emerson.118
Thoreau, Dewey und Hahn strebten alle drei eine gesellschaftliche Veränderung durch die Erziehung an: Dewey durch die Erziehung zur Demokratie, Hahn durch die Erziehung zur Verantwortung und Thoreau durch die Erziehung zur „Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat“.119 Diese Entwürfe zur gesellschaftlichen Veränderung sind in der „modernen Erlebnispädagogik“ nur mehr sehr rudimentär nachzuspüren, während der „methodischtechnische“ Anteil stark zugenommen hat. Allerdings ist das Fehlen solcher Entwürfe einZeichen der heutigen „postmodernen Gesellschaft“, in der der Entwurf einer „einheitlichen (Gesellschafts-)Theorie“ nicht so richtig gelingen mag (man denke da nur an die Wertediskussionen zum Thema Familie). Vielleicht macht ja gerade dies den Reiz einer Methode oder Teildisziplin einer Wissenschaft aus, in der das Schlagwort der „Ganzheitlichkeit“ von großer Bedeutung ist.
Alle drei Personen und der Pragmatiker William James stellen wesentliche Protagonisten für die Ideengeschichte der Erlebnispädagogik dar:
Letzten Endes bleiben vier Männer übrig, die mit ihren Wegen, Werken und Gedanken die geistigen Grundlagen der modernen Erlebnispädagogik wesentlich beinflusst haben: Kurt Hahn, Henry D. Thoreau, William James und John Dewey. Besonders der Letzte zählt als bedeutender Vertreter der Philosophie des Pragmatismus zu den geistigen Vordenkern einer handlungsorientierten Pädagogik, mit dessen Intentionen sich die meisten Outdoor-Pädagogen identifizieren können. (…) Nach Dewey hat Philosophie ihren Ursprung nicht in intellektuellem, sondern in sozialem und emotionalem Material. Er bezieht sich auf den Nonkonformisten William James, der auch zu Hahns geistigen Vätern gehört, dass „Philosophie Vision“ sei und ihre Hauptaufgaben darin bestehen, den menschlichen Geist von Voreingenommenheit und Vorurteil zu befreien. Dies ist der Schnittpunkt, in dem sich James, Hahn und Dewey treffen und der Outward Bound-Bewegung, der Erlebnispädagogik (Experiental Education) und der handlungsorientierten Pädagogik ihre philosophische Grundlage geben – wo sich das „Visionäre“ mit dem „Social Engineering“ verbindet.120
42 Allison (1999), S. 99.
43 dtv – Wörterbuch Pädagogik (2004), S. 544.
44 Müller (2000), S. 25.
45 vgl. dazu Ziegenspeck (2000), S. 239 – 242. Hier wird das Konzept von Hahn überblicksartig vorgestellt.
46 vgl. Definition nach Müller, Wolfgang.
47 vgl. Schwarz (1968), S. 38.
48 Schwarz (1968), S. 44.
49 Zur Krankheitsmetapher siehe Abschnitt 3.1.1.
50 Dieses Axiom über die Wirkung des Erlebnisses geht auf den „Pragmatiker“ William James zurück.
51 Hahn zitiert nach Bauer (2001), S. 31.
52 Dabei muss allerdings erwähnt werden, dass gerade in den USA die Behavioristische Psychologie sehr stark präsent ist und dementsprechend die Grenze zwischen „Erziehung“ und „Therapie“ wieder etwas verwischt. Vgl. dazu auch z. B. die therapeutischen Ansätze des Adventure Based Councelling, entstanden aus Project Adventure, dargestellt z.B. in Nasser (1993).
53 Eckern, Schad (1998), S. 180.
54 Schlich (1994), S. 14.