Die moderne Erlebnispädagogik. Rainald Baig-Schneider
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„Erleben“ und „Erlebnis“ unterscheiden sich also wesentlich in einigen Punkten. Dabei ist die Unmittelbarkeit des „Erlebnisses“ und die hohe „Intensität“ ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal. Bei Dilthey ist diese Differenzierung so noch nicht vorgenommen, aber die von Schott durchgeführte Unterscheidung spricht einen wesentlichen Aspekt der modernen Erlebnispädagogik an. Der Begriff des „Erlebens“ weist eher in die Handlungssphäre des „handlungsorientierten Ansatzes“ und des „erfahrungsorientierten Lernens“, bestimmt durch eine hohe Prozesshaftigkeit und einen reflexiven Charakter. Hier wird didaktisch auch oft mit so genannten „(Lern)Schleifen“ gearbeitet, in denen immer wieder gleiche Übungen durchlaufen und anschließend besprochen werden. Im Gegensatz dazu stehen die „Erlebnisse“, die „besonderen Erfahrungen“, die nicht „erzwingbar“ sind. Sie haben eine wesentlich höhere „emotionale Wirkung“ und dadurch ein wesentlich höheres (mögliches) Wirkpotential, sind aber methodisch nicht zu erzeugen. Diesem (methodischen) Problem wird in der erlebnispädagogischen Praxis dadurch begegnet, indem „Settings“ geschaffen werden, die eine „hohe Erlebniswahrscheinlichkeit“ haben (z.B. Hochseilgärten) bzw. der Ort der Handlung in die „unberührte Natur“ verlegt wird. Eine Raftingfahrt auf einem Wildbach, ein Abseilen aus zehn Meter Höhe oder eine Übernachtung ganz alleine im Wald haben sicher ein relativ hohes „Erlebnispotential“. Trotzdem stellen sich folgende, vor allem hinsichtlich des Nachweises und der Legitimität, methodische Probleme:
Erzeugt das Setting ein Erlebnis?
Hat das Erlebnis überhaupt einen Bezug zu Ziel und Intention?
Ist das Erlebnis im Sinne der Ziele nutzbar zu machen?
Ist es überhaupt „rational“, reflektier- und besprechbar oder in seiner emotionalen Wirkung „übermächtig“?
Wie geht man mit einer hohen negativen Emotionalität, einem negativen Erlebnis um?
Warum aber „das Erlebnis“ als Kategorie der Erlebnispädagogik nicht verschwunden ist, liegt eben in seiner großen Intensität und dem damit verbundenen erhofften „Wirkpotential“. Dahinter steht die Hoffnung, diese „Energien“ für den pädagogischen Prozess nutzbar machen zu können und dadurch viel mehr „Wirkung“ erzielen zu können. Manchmal kann man fast von einer Hoffnung auf ein „Erweckungserlebnis“ sprechen (dies schwingt ja bei der Bezeichnung „finaler Rettungsanker“ in der Erziehungshilfe mit). Aber Schott hat meiner Meinung nach sehr gut herausgearbeitet, dass Erlebnisse keinesfalls „pädagogische Erfindungen“, sondern sehr wohl auch begrifflich fassbar sind. Neben dieser wissenschaftlichen Aufarbeitung kommt eine Unzahl von biographischen „Beweisen“ solcher „wirkmächtiger Erlebnisse“. Aus meiner Sicht ist es vor allem die Diskrepanz zwischen der subjektiven Wirkung und der (wissenschaftlichen) Beweisbarkeit bzw. der methodischen Planbarkeit, die sich hier zeigt. Im Rahmen eines professionellen Konzeptes ist es schwierig, mit einer derartig „sperrigen Kategorie“ zu argumentieren. Diese Diskussion wird in der modernen (professionalisierten) Erlebnispädagogik vor allem über Begriffe wie „Wirksamkeit“, „Nachhaltigkeit“, „Transfer“ und „Wirkungsnachweis“ geführt. Abschließend möchte ich noch einmal darauf hinweisen, dass die Begriffe „Erleben“ und „Erlebnis“ auch auf zwei unterschiedliche, in der aktuellen Diskussion oft vermischte „Ansätze“ verweisen. Wie erwähnt stehen beim Begriff des Erlebens die Prozesshaftigkeit und die Reflexion im Vordergrund. Somit verweist der Begriff des Erlebens auf den handlungsorientierten Ansatz. Beim Begriff des Erlebnisses steht die hohe „Intensität“ und die damit verbundene „Wirkmächtigkeit“ im Vordergrund und verweist daher auf die (Hahnsche) Erlebnispädagogik mit ihren wirkmächtigen Erlebnissen (siehe 2.1.) Wie gesagt sind beide Begriffe noch immer in der modernen Erlebnispädagogik anzutreffen, wenn auch in der wissenschaftlichen Diskussion der erste zur Zeit überwiegt. Dies aus meiner Sicht deshalb, weil ersterer konzeptionell planbar und methodisch-didaktisch umsetzbar und auch empirisch leichter erfassbar ist. Dadurch sind solche Programme auch Geldgebern / -innen gegenüber leichter argumentierbar. Aber in letzter Zeit ist, vor allem in den rituell-kreativen Ansätzen, der Ansatz des „wirkmächtigen Erlebnisses“ wieder zu erkennen. Manchmal werden diese Ansätze auch als „europäischer Sonderweg“ im Gegensatz zu den „behavioristisch-amerikanischen“ Projektkonzepten gedeutet.92
2.2 Ansatz II: Die Handlungs-Pädagogik (John Dewey)
Handlung: Handlung ist eine menschliche Tätigkeit, bei der als wesentliche Momente das Subjekt und Objekt der Handlung, der Vollzug und die Intention unterschieden werden. Die Handlungstheorie als philosophische Forschungseinrichtung sucht u.a. durch die Aufnahme der aristotelischen Unterscheidung von „praxis“ und „poisis“ und durch die Methoden der Sprachanalyse Strukturen und Voraussetzungen von Handlungen zu klären. Die Handlungstheorie kann so Pädagogik als handlungsorientierte und -orientierende Wissenschaft über die Bedingungen pädagogischen Handelns aufklären, unter denen sich weiterhin ein Erziehungs- als spezielles Handlungsziel anstreben lässt; von Bedeutung ist dabei die handlungstheoretische Frage nach Freiheit, d.h. nach der Begründung von Handeln durch die selbstbestimmte Intention der Person, die erst Erziehung zur Mündigkeit und Handlungskompetenz erlaubt.93
Es zeigt sich, dass die inhaltlich divergierenden Unterscheidungen von Handeln und Verhalten, Praxis und Poisis, Interaktion und Arbeit, Kommunikation und Diskurs weniger Themen als vielmehr wie auch immer wichtige Nebenprodukte eines Klärungsversuchs der primär normativen Frage sind: „Was ist (rationales, richtiges, vernünftiges…) Handeln? Insofern gilt: „Der Handlungsbegriff ist selbst in einem ursprünglichen Sinn ein Wertbegriff“, Pädagogik als Handlungsreflexion daher eine „praktische“ Disziplin.94
Neben der Bezeichnung „Erlebnispädagogik“ wird für die moderne Erlebnispädagogik auch oft die Bezeichnung „handlungsorientierter Ansatz“ verwendet. Im Rahmen dieser Arbeit ist es nicht einmal annähernd möglich den Begriff des „Handelns“ zu klären. Wie allerdings schon bei der Generierung des Wortschatzes zu erkennen ist, steht der Begriff der „Handlung“ (fast) gleichberechtigt neben dem Begriff „Erlebnis“. In der erlebnispädagogischen Literatur wird mit diesem Ansatz besonders eine Person in Verbindung gebracht und rezipiert: John Dewey. Dieser gilt in den USA und Kanada als Vater des „handlungs- und erfahrungsorientierten Lernens“95 und ihm wird auch das in der erlebnispädagogischen Literatur oft rezipierte Theorem: „Learning by doing“96 zugeschrieben.
John Dewey ist also neben Kurt Hahn sicher eine wichtige Persönlichkeit in der Geschichte der Erlebnispädagogik. Seine „Projektmethode“97 wird in Form des „Projekts“, wenn auch wahrscheinlich im Umweg über Kerschensteiner, zu einem konstitutiven Element der Hahnschen Erlebnistherapie:
Im Projekt-Lernen geht es (Hahn) um geistige, handwerkliche oder technische, wissenschaftliche, kunsthandwerkliche, musische und soziale Aufgaben und Felder der Bearbeitung (und Bewährung); (…). Die einschlägigen Vorbilder für Hahn, die (amerikanische) Projektmethode und der Arbeitsunterricht Kerschensteiners haben dabei vor allem die Selbständigkeit