Die moderne Erlebnispädagogik. Rainald Baig-Schneider
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Diese Zusammenhänge klar darzustellen würde den Umfang dieser Arbeit bei weitem sprengen, aber einige Hinweise seien gegeben. So setzte sich Fritz Perls, der Wegbereiter der Gestalttherapie, intensiv mit Wilhelm Dilthey und Bergson auseinander; zwei Persönlichkeiten die sich sehr mit dem Begriff des Erlebnisses“ beschäftigten und auch für die Erlebnispädagogik von großer Bedeutung sind.60 Jakob Moreno, dem Begründer des Psychodramas, wird die Aussage: „Handeln ist heilender als Reden“ zugeschrieben61 und dementsprechend wird auch von „handlungsorientierten Therapieformen“ gesprochen.62 Als Methoden der Gestalttherapie werden Rollen- und Interaktionsspiele genannt, Methoden, die in der Erlebnispädagogik ebenso präsent sind.63
Die Sammelbezeichnung Erlebnistherapie für die „humanistisch-psychologischen Therapieformen“ setzte sich nicht durch, zeigt aber die offensichtliche nahe Verwandtschaft dieser beiden Begriffe. Allerdings, wie Ruth Cohn so treffend formulierte, setzt die Pädagogik vor der Therapie an und handelt in einem anderen Setting. Die vier wesentlichsten Unterscheidungsmerkmale zwischen Therapie und Pädagogik sind aus meiner Sicht:
(Individual-)Therapie vs. Erziehung
Die humanistischen Psychotherapien verstehen sich, von der Psychoanalyse herkommend, genuin als Individualtherapien, wohingegen Hahns Erlebnistherapie eine bestimmte Sozietiät im Auge hatte: die Jugend. Hahns Erlebnistherapie war immer eine Erlebnispädagogik64.
Krank vs. Gesund
Psychotherapie (griech. psyche Seele, therpapeia Pflege, Heilung): Seelenheilkunde, insbesondere zur Behandlung von Neurosen und psychosomatischen Erkrankungen (…).65 Dagegen ist der Krankheitsbegriff bei Hahn als Metapher zu verstehen.
Unterschiedliches Setting
Neben dieser Gemeinsamkeit (…) besteht die Differenz im Setting, das kennzeichnend ist für die Unterscheidung zwischen Therapie und Pädagogik.66
Unterschiedlichkeit in der Profession
Ein weiteres Unterscheidungsmerkmal wäre die unterschiedliche Profession der im Feld Handelnden. Auf der einen Seite Pädagogen/-innen, Sozialarbeiter/-innen und Trainer/-innen und auf der anderen Seite die – anderen speziellen Zulassungsrichtlinien unterworfene – Berufsgruppe der Therapeutinnen und Therapeuten:
In jedem Falle bedarf es einer speziellen Qualifikation und Zulassung des Therapeuten.67
Allerdings beginnt in der modernen Erlebnispädagogik gerade durch die vielen differenzierenden Professionalisierungen manchmal, sozusagen über die Hintertür, wieder der Schritt hin zur „Erlebnistherapie“. Die „moderne“ Pädagogik zeichnet sich durch ihre so genannten „interdisziplinären Teams“ aus. Diese Überschneidungen führen dazu, dass Therapie/Pädagogik/Sozialarbeit in der Fallarbeit näher zusammenrücken, so z.B. in der Bewährungshilfe. Da gelangt, wenn notwendig, Psychotherapie auf der persönlichen Ebene zum Einsatz, Sozialpädagogik (oder eben Erlebnispädagogik) auf der Ebene der sozialen Defizite und die Sozialarbeit für die Bewältigung praktischer Probleme. Diese Verschränkung kann man z.B. bei Günter Amesbergers Untersuchung eines Erlebnispädagogischen Projektes im Rahmen der Bewährungshilfe erkennen.68 Die daraus entnommene Definition nach Günter Amesberger verweist daher folgerichtig auf die zur Anwendung gelangenden „Methoden der Sozialarbeit“ und „Methoden der Psychotherapie“. Zu Überschneidungen kommt es oft durch die Mehrfachqualifikationen der betreuenden Personen. So gibt es vielleicht unterschiedliche Settings, die darin agierenden Personen können aber durchaus ident sein. Es ist ja nicht selten, dass gerade Personen die im pädagogischen Bereich arbeiten, über diverse Zusatzqualifikationen verfügen: pädagogische Grundausbildung und Therapieausbildungen sind eine oft anzutreffende Kombination. Natürlich ist die Grenze des Settings, zumindest bei einer professionellen Arbeitsweise, vorhanden, aus der Außenperspektive ist dies dann oft nicht mehr zu erkennen. Katrin Leibner stellt in ihrer 2004 erstellten Arbeit fest: „Bezüglich des ursprünglich erlernten Berufes heben sich pädagogisch oder psychologisch orientierte Ausbildungen mit 71,4% deutlich ab.“69 Hinzu kommt, dass in unterschiedlichen Settings oft idente Methoden zum Einsatz gelangen.
Es ist daher aus meiner Sicht durchaus zulässig, auch von einer „Erlebnistherapie“ zu reden. Dies aber nur dann, wenn entweder „erlebnispädagogische Methoden“ durch eine therapeutisch ausgebildete Person im Rahmen einer Therapie zum Einsatz kommen bzw. wenn die „erlebnispädagogischen Methoden“ in einem interdisziplinären Therapiekonzept zum Einsatz kommen, wobei die die Methode betreuende Person kein / -e Therapeut / -in sein muss. An dieser Stelle möchte ich auch noch einmal auf die Unterscheidung von „Methode“ und „Teildisziplin der Pädagogik“ hinweisen. Denn während pädagogische Konzepte per se schon eben dem Bereich der Pädagogik zuzuordnen sind, kann eine Methode, eine Verfahrensweise, in den unterschiedlichsten Bereichen zum Einsatz kommen. Der Unterschied liegt dann eben weniger im Verfahren als im Fokus, im so genannten „erkenntnisleitenden Interesse“. Hier liegt auch die Möglichkeit eines möglichen Abgrenzungsmerkmals für den „professionellen Erlebnis-Handwerker“ als „Experte für das Verfahren“ (wie z.B. Aufbau eines Seilelements, Sicherheitsregeln etc.) in einem multiprofessionellen Team. Allerdings trifft eine derartige „Degradierung“ wohl nicht auf viel Freude in der „Community“ (wenn auch im Bereich von Trainings von so genannten „Trainings-Tools“, also von Werkzeugen, gesprochen wird). Auf diese Frage der Professionalisierung wird in Kapitel 11 noch genauer eingegangen werden.
Eine ganz genaue Beschreibung des Zusammenhanges zwischen Erlebnispädagogik/Erlebnistherapie/Psychotherapie sprengt – wie erwähnt – den Umfang dieses Buches, ich verweise daher auf die sehr eingehende Darstellung der theoretischen Überschneidungen von Rüdiger Gilsdorf70 und andere Darstellungen allgemeinerer Art.71 In dieser Arbeit wird im Kapitel 7.3 noch einmal daraufnäher eingegangen.
2.1.2 (schulische) Erlebnis-Pädagogik (Waltraud Neubert)
Pädagogik (Syn. Erziehungswissenschaft: griech. pais Knabe, Kind, agein führen, paidagogike techne Knabenführungskunst; engl. pedagogy, educational theory). (…) Die Wissenschaft der Erziehung bearbeitet im Wesentlichen vier Aufgaben.
1. Beschreibung von Erziehungs-, Unterrichts- und Ausbildungsprozessen.
2. Interpretation der Programme für und der Theorie über Erziehung im Feld ihrer weltanschaulichen, wissenschaftlichen, politischen und sozialen Bedingungen. Verständlich gemacht werden sollen die Werte, Normen und Interessen, von denen her die Ziele, Formen, Maßnahmen und Methoden der Erziehung entwickelt und begründet werden bzw. worden sind.
3. Erklärung der organisatorischen und der zwischenmenschlichen Gestaltung von Erziehungsprozessen und der beobachtbaren Wirkungen von Erziehung. Gewonnen