Die moderne Erlebnispädagogik. Rainald Baig-Schneider
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Die moderne Erlebnispädagogik - Rainald Baig-Schneider страница 16
Prozess
Reflexion
Den Zusammenhang beschreibt Dewey wie folgt:
Er ging von der Annahme aus, dass Handeln die erste und ursprüngliche Form der Erfahrungsbildung darstellt und das durch Handeln gewonnene Wissen das erste und ursprüngliche Wissen des Menschen ausmacht. (…) Das Wiederentdecken von Denken, Erfahrung und Handlung kann als zentrales Kennzeichen der Pädagogik Deweys gelten. Neben Rousseau kann somit auch Deweys Ansatz als erziehungstheoretische Grundlage für erfahrungsorientiertes Lernen und das Lernen durch Erlebnisse herangezogen werden.108
2.2.1 Erlebnispädagogischer und handlungsorientierter Ansatz
Mit Hahn und Dewey bzw. mit dem Begriff „Erlebnis“ auf der einen Seite und den Begriffen „Erfahrung“ und „Handlung“ auf der anderen Seite sind die zwei unterschiedlichen Argumentationsstränge der erlebnispädagogischen Theorie eingeführt. Im (wissenschaftlichen) Diskurs der modernen Erlebnispädagogik werden allerdings oft beide „miteinander“ diskutiert. Ebenso werden die Begriffe „Erlebnis“ und „Erleben“ synonym verwendet, was dementsprechend zu argumentativen Verwirrungen führt, denn im Prinzip handelt es sich um zwei unterschiedliche Ansätze mit unterschiedlichen Traditionen und Leitbegriffen:
Der „erlebnispädagogische Ansatz“ mit dem zentralen Leitbegriff des „Erlebnisses“, auf Hahn, Neubert und Dilthey beruhend.
„der handlungs- und erfahrungsorientierte“ Ansatz mit den Leitbegriffen „Handlung“, „Erfahrung“ bzw. „Erleben“, beruhend auf Dewey und die Pragmatiker.
Zur Differenzierung dieser beiden Ansätze verweise ich noch einmal auf die in Abschnitt 2.1.5 vorgenommene Unterscheidung von „Erleben“ und „Erlebnis“. Werden diese beiden Begriffe, wie schon oft erwähnt, häufig synonym verwendet, handelt es sich doch, wie Schott eindrucksvoll dargestellt hat, um zwei in ihrem Wesen unterschiedliche Begriffe:
Erleben
Das Erleben ist Bedingung dafür, dass Gefühle kultiviert und Prinzipien in Handlungen umgesetzt werden können. Es ermöglicht ein „Learning by doing“ 109
Erleben ist das subjektive Innewerden von Vorgängen, die als bedeutsam empfunden werden. Die Erfahrung stellt dann die Summe von Erlebnisanteilen dar, Erfahrung ist das durch das eigene Erleben und eigene Anschauung erworbene Wissen. Und aus Erfahrungen erwachsen schließlich Erkenntnisse, aus diesen können möglicherweise Einsichten resultieren, die als die höchste Stufe menschlicher Weisheit zu bezeichnen sind. Erlebnis, Erfahrung, Erkenntnis und Einsichten sind also wichtige Begriffe in der und für die Erlebnispädagogik 110
Erlebnis
Das Erlebnis hingegen zeichnet sich gegenüber „dem Erleben“ dadurch aus, dass
Leidenschaft und Lust mit Überlegung und Einsicht einhergehen
sich strukturelle Grenzen aufheben (Zeit vergeht wie im Flug)
es einen verstärkten Drang zu Ausdruck und Handlung zeigt
es durch den gesteigerten Manifestationsdrang eine höhere „Auseinandersetzungswahrscheinlichkeit“ gibt
Grenzen der Kommunikation schwinden (z. B. Ohmacht und Allmacht zugleich)
es Resultatscharakter aufweist (Einheit von Denken-Fühlen-Wollen)
es ein autokinetisches System darstellt; es ist nicht erzeugbar und nicht erzwingbar111
Aus meiner Sicht handelt es sich hierbei um eine sehr wichtige Unterscheidung, um Programme der Erlebnispädagogik genauer untersuchen zu können. So sind eben die „heilsamen Erinnerungsbilder“112 von Kurt Hahn nur durch ihre verdichtete Intensität und dementsprechende Wirkmächtigkeit, also durch die Kategorie des Erlebnisses erklärbar. Auf der anderen Seite ist das „Erfahrungslernen“ ohne den Begriff des „Erlebens“ und der daraus resultierenden Erfahrung nicht zu erklären. Diese Unterscheidung ist vor allem auf praktischer, konzeptioneller Seite von Bedeutung, erfordert sie doch eine vollkommen andere Vorgangsweise. Im Ansatz der „Erlebnispädagogik“ mit dem zentralen Augenmerk auf den Begriff des Erlebnisses ist von zentraler Bedeutung, eben solche Erlebnisse durch Settings/Medien etc. möglich zu machen. Auf der Seite des „Erfahrungslernens“ liegt der Fokus mehr auf der Prozessebene, auf der Reflexion des Handelns und dementsprechend auf der „Umsetzung“ der Handlung in (nutzbare) Erfahrung. Dabei bedarf es natürlich einer gewissen „Qualität des Erlebens“, um die Handlung als solche sozusagen für das Individuum erkennbar zu machen (siehe oben), allerdings in weit geringerer Intensität. Daher ist in der Praxis des handlungsorientierten Ansatzes die Reflexion von so zentraler Bedeutung, da das Erlebte von sich aus nicht wirkmächtig ist und dementsprechend (meist) erst über den Umweg der reflexiven Aufarbeitung des Erlebten von (Lern)Erfahrungen gesprochen werden kann. Dabei handelt es sich um einen bedeutsamen Unterschied (vgl. Abschnitt 9.3). Dilthey, Neubert und Hahn haben, da sie sich jeweils in ihrem Wissenschaftskonstrukt bewegten, keine strengen Abgrenzungen zu jeweils anderen Konstrukten vorgenommen (was diesen Pionieren wohl auch schwer gefallen wäre). Dementsprechend überschneiden sich die Ansätze in ihren Argumentationen. Diese Unterscheidung ist auch hinsichtlich des „Erfahrungslernens“ nicht unbedingt notwendig, denn natürlich kann man die „Wirksamkeit“ von Erlebnissen auch aus der Sicht des „Erfahrungslernen“ erklären:
Etwas sehr Ähnliches wie Dewey hat 1906 auch Wilhelm Dilthey in Bezug auf die Erlebnispädagogische Kernmetapher, das Erlebnis, deutlich gemacht: „Da Erlebnisse völlig individuelle und daher auch nicht manipulierbare, irrationale, emotionale Ereignisse sind, ein inneres Bewegt- und Ergriffensein, genau deshalb benötigen Erlebnisse ihrer rationalen Durchdringung, wenn eine Einheit von Denken und Fühlen, von Erlebnis und Erfahrung hergestellt werden soll.“ 113
Interessanterweise wird Dilthey dementsprechend auch als Vertreter „der Psychologie des ERLEBENS“ eingeordnet.114 Auch Erlebnisse müssen also „rational durchdrungen“ (Dilthey) werden. Der wesentliche Unterschied liegt in der Argumentation der „Wirksamkeit“ und der daraus folgenden didaktischen Umsetzung.
Für die „moderne Erlebnispädagogik“ ist, wie schon oben erwähnt, sicher der Ansatz von Dewey spürbarer und relevanter als der von Dilthey und auch, auf Seite der Theorie, von Hahn. Dies mag einerseits auf den starken Einfluss von Dewey und Thoreau auf die amerikanische Pädagogik und damit auf die „amerikanische Outward Bound Schools“ zurückzuführen sein, andererseits aber sicher auch auf den breiteren Ansatz von Dewey, der praktisch-methodisch-didaktisch leichter umsetzbar, eben pragmatisch, erscheint. Denn im Gegensatz zur aufwändigen, unsicheren Erzeugung wirkmächtiger Erlebnisse scheint bei einer didaktischen Gestaltung im Sinne von Dewey schon die Berücksichtigung der „Reflexion von Handlungen“ in der Planung ausreichend. Dementsprechend ist der handlungsorientierte Ansatz vor allem im Bereich