Die moderne Erlebnispädagogik. Rainald Baig-Schneider
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Dewey übte und übt einen nachhaltigen Einfluss auf die Entwicklung der Pädagogik in den USA aus. Seine Ideen bzw. sein pragmatischer Ansatz hatten darüber hinaus auch maßgeblichen Einfluss auf die Ausformung der Erlebnispädagogik in Nordamerika. Wie später noch gezeigt wird, ist der Beginn der Kurzschulen bzw. der Outward Bound Schulen und damit der Beginn der „modernen Erlebnispädagogik“ in Großbritannien zu verorten. Von dort ausgehend expandierte vor allem die „Outward Bound Bewegung“ in die USA und verband sich mit der „amerikanischen Pädagogik“. Eine Vielzahl der heutigen Bezeichnungen und Methoden haben hier ihren Ursprung und wurden schließlich über die intensive Rezeption dieser „amerikanischen“, von Dewey stark beeinflussten Erlebnispädagogik, in den 80er und 90er Jahren nach Deutschland „reimportiert“ bzw. bestand schon ab den 70er Jahren ein weltweites Netzwerk von „Outward Bound“, in dem natürlich auch inhaltlich diskutiert wurde. Deweys Ansätze übten damit zeitversetzt einen weiteren großen Einfluss auf die europäische moderne Erlebnispädagogik aus. Dies bedeutet, viele Begriffe der modernen Erlebnispädagogik gelangten über die Vereinigten Staaten (wieder) in die in den 90er Jahren einsetzende wissenschaftliche Diskussion. Die pädagogische Praxis, und damit die Begrifflichkeit, in der nordamerikanischen Erlebnispädagogik ist aber oft von einer behavioristischen Tradition geprägt. Als Beispiel sei hier auf den Begriff des „Outdoortrainings“ hingewiesen (siehe Abschnitt 7.5 und Abschnitt 9.2.3).
Die „moderne Erlebnispädagogik“ ist sehr massiv von Deweys Ansatz beeinflusst, worauf der Terminus „Handlungsorientierter Ansatz“ hinweist. Mit dieser Bezeichnung erfolgt eine begriffliche und inhaltliche Ausweitung: während die Begriffe Erlebnistherapie und Erlebnispädagogik definitorisch durch den Leitbegriff „Erlebnis“ eingeschränkt sind oder zumindest begrifflich determiniert sind, eröffnet der Handlungsbegriff ein ungleich größeres Handlungsfeld. Sarkastisch kann man sagen, schon allein das TUN im pädagogischen Feld reicht, um dieses Tun als pädagogisch zu bezeichnen. Noch größer ist diese Ausweitung mit dem Zusatz „orientiert“. Es muss also nicht einmal gehandelt werden, es reicht die „Orientierung“ dahin. Dies ist natürlich eine sarkastische Betrachtungsweise, aber spiegelt durchaus das „uneinheitliche“ Bild der „modernen Erlebnispädagogik“.99 Im Gegensatz zum Begriff „handlungsorientierter Ansatz“ scheint der Begriff „Erlebnispädagogik“ für die „moderne Erlebnispädagogik“ zu einschränkend. Erst mit dem Überbegriff „Handlungspädagogik“ lassen sich die heterogenen Ansätze der modernen Erlebnispädagogik zumindest annähernd beschreiben. Dementsprechend verwundert es nicht, dass die wichtigste Fachzeitschrift im deutschsprachigen Raum den Untertitel „Zeitschrift für handlungsorientiertes Lernen“ trägt.100
Dewey ist also mit seinem „handlungs- und erfahrungsorientierten“ Ansatz ein wesentlicher „Theoretiker“ der modernen Erlebnispädagogik. Damit kann man aber die moderne Erlebnispädagogik in die Nähe des so genannten „Pragmatismus“ rücken:101
Pragmatismus: (griech. pragma Handeln, Tatsache, Wirklichkeit; engl. pragmatism). Von dem amerikanischen Philosophen und Mathematiker C.S. Peirce am Ende des 19. Jahrhunderts begründete, handlungstheoretische Auffassung von Wissenschaft, die danach fragt, was wissenschaftliche Theorien für praktische, sachbezogene, soziale und sprachliche Handlungsprozesse in konkreten geschichtlichen Erfahrungsfeldern bedeuten. Darauf begründete J. Dewey in Amerika seine Pädagogik des Pragmatismus, die von der Bedeutung des Handelns und der Erfahrung ausgeht. Demokratie ist für Dewey gemeinschaftliches Leben und Schule soll als Modell den Grund dafür legen. Erziehung und Unterricht bewirken seiner Ansicht nach in den Interaktionsprozessen und in der handelnden Auseinandersetzung mit Natur, Gesellschaft und Kultur beim Schüler einen kontinuierlichen Erfahrungsaufbau, der im Verlauf der Erziehungsprozesse zur Ich-Identität hinführt. Die Theorie des Projektunterrichts von J. Dewey und W.H. Patrick zeigt die pädagogische Umsetzung der Philosophie des Pragmatismus.102
Für die deutschsprachige Rezeption sei allerdings darauf hingewiesen, dass dieser Einfluss von Dewey auf die moderne Erlebnispädagogik oft nicht explizit erwähnt oder erkannt wird, sondern sozusagen „mitschwingt“. So wird Hahn mit seiner „Erlebnistherapie“ definitiv (und aus meiner Sicht auf Grund seiner enormen organisatorischen Leistung auch zu Recht) als „Urvater“ der Erlebnispädagogik bezeichnet und Deweys Einfluss, vor allem auf die moderne Erlebnispädagogik, meist nicht genau gekennzeichnet:
Im deutschsprachigen Raum war Dewey bis heute kaum im pädagogischen Blickfeld, da sein pädagogischer Pragmatismus wenig Anknüpfungspunkte zur deutschen, traditionellen idealistischen Erziehungsauffassung fand, doch sein Theorem „Learning by doing“ erlangte Bekanntheitsgrad weit über Wissenschafts- oder Wirtschaftsgemeinschaften hinaus. Bedeutsame Spuren des Wirkens von Dewey finden sich heute aber noch in anderen Bereichen wieder, sind jedoch nicht immer so deutlich zu erkennen wie jene, die Deweys Überlegungen in der amerikanischen „Outdoor-Szene“ hinterlassen haben.103
Deweys pädagogischer Pragmatismus hatte in der deutschen, idealistisch geprägten Erziehungswissenschaft seit jeher einen schweren Stand. Schon 1915 polemisierte Eduard Spaner in einem Brief an Kerschensteiner über Deweys „Küchen- und Handwerksutilitarismus“. Der Münchener Stadtschulrat und spätere Universitätsprofessor Kerschensteiner schuf in dieser Zeit sein Modell der „Arbeitsschule“ und ließ sich als einer der wenigen deutschen Reformpädagogen von Dewey inspirieren (Anmerkung des Verf.: Kerscheinsteiner wiederum hatte Einfluss auf Hahn!).104
Die große Bedeutung von Dewey für die moderne Erlebnispädagogik resultiert aus seinen Überlegungen zum „Erfahrungslernen“. Wie schon erwähnt, ergibt sich damit ein zweiter Argumentationsstrang in der erlebnispädagogischen Theorie. An Stelle des zentralen „Erlebnisbegriffs“ treten die Begriffe „Handlung“, „Erleben“ und „Erfahrung“. Deweys „Learning by doing“ ist als eine „Methode der denkenden Erfahrung“105 zu verstehen. Das bezieht sich auf die doppelte Rolle von Erfahrung:
zum einen erwirbt man Erfahrung um zu Handeln
zum anderen erwirbt man Erfahrung durch Handlungen
Neben diesen zentralen gegenseitigen Verweischarakter der neuen Begriffe „Handlung“ und „Erfahrung“ treten als weitere wesentliche Leitbegriffe „Prozess“ und „Reflexion“. Dewey stellt dazu fest:
Durch Erfahrung lernen heißt, das was wir den Dingen tun, und das was wir von ihnen erleiden, nach rückwärts und vorwärts miteinander in Verbindung bringen.106
Gerade dieses Vorwärts und Rückwärts drückt das Prozesshafte und Reflexive aus. Dies bedeutet:
dass aus einer Handlung offenbar nur mit Hilfe einer bewussten, denkerischen Durchdringung eine Erfahrung gewonnen werden kann - durch Reflexion also.
dass dieses Vorwärts und Rückwärts immer prozesshaft ist, d.h. Prozessdenken statt „Ereignis- oder Erfolgsfixierung“.107
In seiner „Theory of Inquiry“ lassen sich fünf Phasen festhalten:
Somit