Winzige Gefährten. Ed Yong

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Winzige Gefährten - Ed Yong

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zusammenstellen, wissen wir, wer alles dazugehört. Eine Liste aller Gene in diesen Mikroorganismen zeigt, wozu sie in der Lage sind.28 Zählt man aber alle Substanzen auf, die von den Mikroorganismen produziert werden – ihre Stoffwechselprodukte –, können wir daraus ablesen, was diese Arten tatsächlich tun. Eine Reihe solcher Substanzen haben wir bereits kennengelernt, so den Symbiosefaktor PSA und die beiden von McFall-Ngai nachgewiesenen MAMPs, die Einfluss auf Tintenfische haben. Es gibt aber noch Hunderttausende weitere, und mit der Beantwortung der Frage, was sie alle tun, stehen wir erst ganz am Anfang.29 Diese Substanzen sind das Mittel, durch das Tiere mit ihren Symbionten in Austausch treten. Viele Wissenschaftler bemühen sich heute darum, bei diesem Austausch mitzuhören – und nicht nur sie. Die von Mikroorganismen produzierten Moleküle können den Körper ihres Wirtes auch verlassen, durch die Luft treiben und Nachrichten über größere Entfernungen transportieren. Solche Verlautbarungen kann man riechen, wenn man sich in die Savannen Afrikas aufmacht.

      Unter allen großen Raubtieren Afrikas sind die Tüpfelhyänen die geselligsten. Zu einem Löwenrudel können bis zu einem Dutzend Individuen gehören, in einer Hyänensippe sind es vierzig bis achtzig. Nicht alle halten sich ständig am selben Ort auf: Im Laufe des Tages bilden sich immer wieder kleine Untergruppen, die sich später auflösen. Wegen dieser Dynamik sind die Hyänen großartige Forschungsobjekte für angehende Freilandbiologen. »Man kann auch Löwen im Freiland beobachten, aber sie liegen nur herum. Oder man arbeitet jahrelang mit Wölfen und sieht immer nur ihre Exkremente oder hört sie heulen«, sagt der hyänenbegeisterte Kevin Theis. »Aber bei den Hyänen … da gibt es Begrüßung, Rückkehr, Signale für Dominanz oder Unterwerfung. Jungtiere bemühen sich darum, ihren Platz in der Sippe zu finden, zugewanderte Männchen verschaffen sich einen Überblick darüber, wer alles dazugehört. Ihr Sozialleben ist um ein Vielfaches komplizierter.«

      Diese Komplexität meistern die Hyänen mit einem breiten Repertoire verschiedener Signale, und manche davon sind chemischer Natur. Eine Tüpfelhyäne stellt sich beispielsweise breitbeinig über einen Grashalm und fährt an der Hinterseite eine Duftdrüse aus. Sie zieht die Drüse über den Grashalm und hinterlässt eine dünne Paste. Deren Farbe schwankt zwischen schwarz und orange, die Konsistenz von pulverig bis flüssig. Und der Geruch? »Für mich riecht es wie gärender Mulch, andere riechen auch Cheddarkäse oder billige Seife«, sagt Theis.

      Er hatte sich schon seit einigen Jahren mit der Paste beschäftigt, da fragte ihn ein Kollege, ob Bakterien zu ihrem Geruch beitragen könnten. Theis war wie vor den Kopf geschlagen. Dann stellte er fest, dass andere Wissenschaftler schon in den 1970er-Jahren auf die gleiche Idee gekommen waren: Sie vertraten die Ansicht, dass Bakterien in den Duftdrüsen vieler Säugetiere vorhanden sind, wo sie Fette oder Proteine vergären und dabei Geruchsmoleküle an die Luft abgeben. Unterschiedliche Mikroorganismen seien möglicherweise die Erklärung dafür, warum verschiedene Tierarten ihren eigenen, charakteristischen Duft verströmen – wir erinnern uns an den Binturong aus dem Zoo von San Diego mit seinem Popcornduft.30 Möglicherweise dienten sie auch als Erkennungszeichen – sie geben Informationen über die Gesundheit oder die Stellung ihres Wirtes preis. Und wenn die Tiere spielen, sich drängeln und paaren, tauschen sie möglicherweise Mikroben aus, die ihnen einen charakteristischen Gruppengeruch verleihen.

      Die Hypothese war plausibel, aber sie zu belegen, erwies sich als schwierig. Das Problem hatte Theis, dem nun genetische Hilfsmittel zur Verfügung standen, einige Jahrzehnte später nicht mehr. In Kenia sammelte er Proben der Paste aus den Drüsen von dreiundsiebzig betäubten Hyänen. Als er die DNA der darin enthaltenen Mikroorganismen sequenzierte, fand er mehr Bakterienarten als in allen bisherigen Übersichtsuntersuchungen zusammen. Außerdem zeigte er, dass die Bakterien und die von ihnen produzierten Substanzen sich bei Tüpfel- und Streifenhyänen unterscheiden, aber auch bei Hyänen aus verschiedenen Sippen, zwischen Männchen und Weibchen sowie zwischen fruchtbaren und unfruchtbaren Tieren.31 Aufgrund dieser Unterschiede kann die Paste als eine Art chemisches Graffiti dienen: Sie zeigt, wer sie hinterlassen hat, zu welcher Art er gehört, wie alt er ist und ob er zur Paarung zur Verfügung steht. Indem die Hyänen ihre duftenden Mikroorganismen auf Grashalmen hinterlassen, verbreiten sie ihre persönlichen Tags und Markierungen in der ganzen Savanne.

      Das alles sind bislang noch Hypothesen. »Wir müssen das Duft-Mikrobiom abwandeln und herausfinden, ob sich dann auch das Duftprofil verändert«, sagt Theis. »Anschließend müssen wir nachweisen, dass die Hyänen auf eine solche Duftveränderung aufmerksam werden und darauf reagieren.« Mittlerweile haben andere Wissenschaftler ähnliche Muster auch in den Duftdrüsen und im Urin weiterer Säugetiere gefunden, so bei Elefanten, Erdmännchen, Dachsen, Mäusen und Fledermäusen. Der Duft eines alten Erdmännchens unterscheidet sich vom Eau de Jungchen. Der Gestank eines Elefantenmännchens ist anders als der eines Weibchens.

      Und dann sind da noch wir. Die Achselhöhle eines Menschen ist der Duftdrüse einer Hyäne nicht unähnlich – warm, feucht und reich an Bakterien. Jede Mikrobenspezies schafft ihre eigenen Duftnoten. Corynebacterium erzeugt aus Schweiß eine Substanz, die wie Zwiebeln riecht, und die Produkte, die es aus Testosteron herstellt, duften je nach den Genen dessen, der daran schnuppert, nach Vanille, Urin oder gar nichts. Sind diese Düfte nützliche Signale? Ganz offensichtlich! Das Mikrobiom der Achselhöhle ist erstaunlich stabil – und die Gerüche unserer Achselhöhle auch. Jeder Mensch hat seine eigene, charakteristische Duftnote, und in mehreren Experimenten konnten Freiwillige verschiedene Menschen am Geruch ihrer T-Shirts unterscheiden. Es gelang ihnen sogar, eineiige Zwillinge anhand ihres Geruchs also solche zu erkennen. Vielleicht beziehen auch wir wie die Hyänen manche Informationen über andere Menschen, indem wir die Nachrichten erschnuppern, die von unseren Mikroorganismen ausgesandt werden. Und das gibt es nicht nur bei Säugetieren. Die Darmbakterien der Wüstenheuschrecken produzieren Teile des »Versammlungspheromons«, das die ansonsten allein lebenden Insekten zur Bildung von Schwärmen veranlasst, die den Himmel verdunkeln können. Deutsche Schaben werden von ihren Darmbakterien dazu veranlasst, sich auf ekelerregende Weise um die Exkremente ihrer Artgenossen zu versammeln. Und die großen Insekten der Spezies Thasus californicus, die im Südwesten Nordamerikas zu Hause ist, verlassen sich auf ein von ihren Symbionten hergestelltes Alarm-Pheromon, mit dem sie sich gegenseitig vor Gefahren warnen.32

      Warum lassen Tiere solche chemischen Signale von Mikroorganismen produzieren? Theis nennt dafür den gleichen Grund wie Rawls, King und Hadfield: Es ist unvermeidlich. Alle Oberflächen sind von Mikroben bevölkert, die flüchtige Substanzen abgeben. Wenn sich in solchen chemischen Hinweisen eine Eigenschaft widerspiegelt, die zu kennen nützlich ist – wie beispielsweise das Geschlecht, die Kraft oder die Fruchtbarkeit –, entwickeln sich bei dem Wirtstier unter Umständen Duftorgane, die diese besonderen Mikroorganismen ernähren und beherbergen. Irgendwann verwandeln sich dann die unwillkürlichen Hinweise in vollständig ausgeprägte Signale. Wenn Mikroorganismen solche Nachrichten produzieren, die durch die Luft weitergegeben werden, können sie also das Verhalten von Tieren beeinflussen, die weit von ihrem eigentlichen Wirt entfernt sind. Und wenn das stimmt, sollte es uns nicht verwundern zu hören, dass sie auch auf kürzere Entfernung das Tierverhalten bestimmen können.

      Im Jahr 2001 spritzte der Neurowissenschaftler Paul Patterson trächtigen Mäusen eine Substanz, die eine Virusinfektion nachahmt und eine Immunantwort auslöst. Die Mäuse brachten gesunde Jungtiere zur Welt, aber als die Kleinen zu ausgewachsenen Tieren heranwuchsen, bemerkte Patterson in ihrem Verhalten interessante Besonderheiten. Mäuse betreten von Natur aus nur widerwillig offene Flächen, bei diesen Mäusen aber war diese Tendenz besonders stark ausgeprägt. Außerdem ließen sie sich leicht durch laute Geräusche verwirren. Sie kraulten sich immer wieder selbst oder bemühten sich wiederholt, einen Kieselstein zu vergraben. Sie waren weniger kommunikativ als ihresgleichen und mieden soziale Kontakte. Ängstlichkeit, Bewegungswiederholungen, soziale Probleme: Patterson erkannte bei den Mäusen einen Anklang an zwei Gesundheitsstörungen des Menschen, nämlich Autismus und Schizophrenie. Die Ähnlichkeiten kamen nicht ganz unerwartet. Patterson hatte gelesen, dass schwangere Frauen, die an schweren Infektionen wie Grippe oder Masern leiden, häufiger Kinder mit Autismus und Schizophrenie zur Welt bringen. Deshalb kam ihm der Gedanke, dass die Immunantwort der

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