Winzige Gefährten. Ed Yong
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Der Tintenfisch mag von unten unsichtbar sein, aber von oben kann man ihn leicht ausmachen. Man braucht nur nach Hawaii zu fliegen, bis zum Einbruch der Dunkelheit zu warten und dann mit Stirnlampe und Netz durch knietiefes Wasser zu waten. Mit guten Reflexen kann man bis zum Sonnenaufgang ein halbes Dutzend von ihnen schnappen. Und wenn man sie einmal gefangen hat, lassen sie sich ebenso einfach halten, füttern und züchten. »Wenn sie mitten in Wisconsin leben können, können sie überall leben«, sagt die Zoologin Margaret McFall-Ngai, die dieses Labor leitet. Die selbstbewusste, elegante und extrovertierte McFall-Ngai erforscht schon seit fast dreißig Jahren die Tintenfische und ihre Leuchtbakterien. Sie hat die Tiere zu einem Musterbeispiel für Symbiose gemacht und ist dabei auch selbst zum Musterbeispiel geworden. Ihre Kollegen preisen sie als freimütige Bilderstürmerin, die erstaunlicherweise auch begeistert Skateboard fährt und sich schon zu einer Zeit, als »Mikrobiom« noch kein angesagtes Schlagwort war, unermüdlich für Mikroorganismen einsetzte. »Sie spricht von der ›Neuen Biologie‹, und wenn Margaret das sagt, hört es sich an wie in Großbuchstaben geschrieben«, erzählte mir ein Biologe. So hat sie nicht immer gedacht. Erst der Tintenfisch sorgte dafür, dass sie ihre Meinung änderte.2
Als Doktorandin beschäftigte sich McFall-Ngai mit einer Spezies von Fischen, die ebenfalls Leuchtbakterien in sich tragen. Sie war davon fasziniert, aber auch frustriert. Es erwies sich als unmöglich, die Fische im Labor zu züchten, das heißt, jedes einzelne Exemplar, mit dem sie arbeitete, stammte aus freier Wildbahn und war bereits von Bakterien besiedelt. Deshalb konnte sie die Fragen, für die sie sich eigentlich interessierte, nicht beantworten. Was geschieht, wenn die Partner zum ersten Mal aufeinandertreffen? Wie stellen sie ihre Verbindung her? Was hält andere Mikroorganismen davon ab, den Wirt zu besiedeln? Dann sagte ein Kollege zu ihr: »Sag mal, hast du schon von diesem Tintenfisch gehört?«
Die Tintenfischspezies Euprymna scolopes (auf Englisch heißt sie auch Hawaiian bobtail squid) war Embryologen gut bekannt, und ihre Leuchtbakterien waren Mikrobiologen ein Begriff, aber die Partnerschaft zwischen beiden hatte man bis dahin vollkommen außer Acht gelassen – und genau für diese Partnerschaft interessierte sich McFall-Ngai. Um sie genauer zu studieren, brauchte sie auch selbst einen Partner, jemanden, der etwas von den Bakterien verstand und ihre zoologischen Fachkenntnisse ergänzen konnte. Diese Person war Ned Ruby. »Ich glaube, ich war der dritte Mikrobiologe, den sie gefragt hat, und der erste, der einverstanden war«, sagt er. Die beiden gingen eine berufliche Beziehung ein, aus der wenig später auch eine Liebesbeziehung wurde. Rubys lässiges Surfer-Yin ergänzte McFall-Ngais konzentriertes, staatsfrauliches Yang. Wie einer ihrer Freunde mir erzählte, bildeten sie »eine echte Symbiose«. Heute leiten sie nebeneinanderliegende Labore und teilen sich die Tintenfische.
Die Tiere leben in Aquarien, die einen engen Korridor säumen. Insgesamt ist für vierundzwanzig von ihnen gleichzeitig Platz. Wenn eine neue Ladung eintrifft, sucht Bekiares, der Labormanager, einen Buchstaben aus und lässt dann die Studierenden die Tiere entsprechend taufen. Das Weibchen, dem ich begegnet bin, heißt Yoshi. In den Aquarien nebenan wohnen Yahoo, Ysolde, Yardley, Yara, Yves, Yusuf, Yokel und (Mr.) Yuk. Für die Weibchen ist alle zwei Wochen »Rendezvous-Abend«. Nach der Paarung werden sie in einem »Kinderzimmer« allein gelassen und legen dort in Tanks voller Kunststoffröhren jeweils Hunderte von Eiern. Bis daraus der Nachwuchs schlüpft, vergehen einige Wochen. Als wir das Kinderzimmer besichtigen, steht auf einem Regal ein Plastikbecher, in dem ein paar Dutzend Tintenfischbabys, jedes nur wenige Millimeter lang, herumzappeln. Zehn Tintenfischweibchen können pro Jahr bis zu 60.000 Jungtiere hervorbringen – das ist einer der Gründe, warum sie so ausgezeichnete Labortiere sind. Ein weiterer: Die Jungen sind beim Schlüpfen keimfrei. In freier Wildbahn werden sie innerhalb weniger Stunden von V. fischeri besiedelt. Im Labor können McFall-Ngai und Ruby den Kontakt der geschlüpften Tiere mit Symbionten genau kontrollieren. Sie können Zellen von V. fischeri mit leuchtenden Proteinen markieren und sie dann auf ihrem Weg in die Leuchtorgane des Tintenfisches verfolgen. So können sie zusehen, wie die Partnerschaft beginnt.
Am Anfang steht Physik. Die Oberfläche des Leuchtorgans ist von Schleim und Abschnitten mit beweglichen Haaren bedeckt, auch Cilien genannt. Diese erzeugen eine turbulente Strömung, die Teilchen mit der Größe von Bakterien anzieht, größere aber nicht. Die Mikroorganismen, unter ihnen auch V. fischeri, häufen sich also in dem Schleim an. Jetzt macht die Physik der Chemie Platz. Wenn nur eine Zelle von V. fischeri den Tintenfisch berührt, geschieht noch nichts. Bei zwei Zellen: immer noch nichts. Sobald aber fünf Zellen den Kontakt herstellen, schalten sie im Tintenfisch eine ganze Reihe von Genen ein. Einige davon produzieren einen Cocktail aus mikrobenhemmenden Wirkstoffen, die V. fischeri unbehelligt lassen, für andere Mikroorganismen aber eine unwirtliche Umgebung schaffen. Andere schütten Enzyme aus, die den Schleim des Tintenfisches abbauen und eine Substanz produzieren, die noch mehr Zellen von V. fischeri anlockt. Solche Vorgänge sind die Erklärung dafür, warum V. fischeri in der Schleimschicht schon bald die Oberhand gewinnt, obwohl sie anfangs gegenüber anderen Bakterien zahlenmäßig im Verhältnis 1 zu 1000 unterlegen sind. Nur diese Bakterienart, und nur sie allein, ist in der Lage, die Oberfläche des Tintenfisches in eine Landschaft zu verwandeln, die mehr von ihresgleichen anlockt und Konkurrenten abschreckt. Das Ganze erinnert an die Protagonisten von Science-Fic tion-Geschichten, die unwirtliche Planeten in eine angenehme Heimat terraformieren – nur mit dem Unterschied, dass hier ein Tier terraformiert wird.
Nachdem V. fischeri die Außenseite des Tintenfisches verändert hat, wandert es nach innen. Es schlüpft durch eine von wenigen Poren, wandert durch einen langen Gang, quetscht sich durch eine Engstelle und erreicht schließlich mehrere Krypten, Nischen ohne Ausgang. Dort angekommen, verändert das Bakterium den Tintenfisch weiter. Die Nischen sind mit säulenförmigen Zellen ausgekleidet, die nun größer und dichter werden und die neu eingetroffenen Mikroorganismen in enger Umarmung aufnehmen. Während die Bakterien sich an das umgestaltete Innere gewöhnen, schließen sich die Türen hinter ihnen. Der Zugang zu den Nischen verengt sich, die Gänge ziehen sich zusammen, die Abschnitte mit den Cilien lösen sich auf. Jetzt erreicht das Leuchtorgan seine ausgereifte Form. Nachdem es von den richtigen Bakterien besiedelt wurde – und auch hier ist V. fischeri der einzige Mikroorganismus, der jemals die Reise antritt –, findet keine weitere Besiedlung mehr statt.
Nun ja, na und? Das Ganze hört sich an wie abgelegenes Detailwissen über das Leben eines eigenartigen Tieres. Aber die Eigenschaften der Tintenfische bergen eine weitreichende Folgerung, und die begriff McFall-Ngai sofort. Im Jahr 1994, nachdem ihre erste Versuchsreihe mit den Tintenfischen abgeschlossen war, schrieb sie: »Die Ergebnisse dieser Studien sind die ersten experimentellen Daten, mit denen nachgewiesen wird, dass ein bestimmter bakterieller Symbiont in der Entwicklung von Tieren eine Auslösefunktion haben kann.«
Mit anderen Worten: Mikroorganismen formen den Körper von Tieren.
Aber wie machen sie das? Wie McFall-Ngais Arbeitsgruppe 2004 nachweisen konnte, hat die Veränderungsfähigkeit ihre Ursache in zwei Substanzen auf der Oberfläche von V. fischeri: Peptidoglycan (PGN) und Lipopolysaccharid (LPS). Das war eine Überraschung. Die beiden Verbindungen waren zu jener Zeit ausschließlich im Zusammenhang mit Krankheiten bekannt. Man bezeichnete sie als pathogen-assoziierte Molekülmuster (pathogen-associated molecular patterns oder kurz PAMPs); sie waren charakteristische Substanzen, die das Immunsystem von Tieren auf heraufziehende Infektionen aufmerksam machen. Aber V. fischeri ist kein Krankheitserreger. Es ist mit dem Bakterium verwandt, das beim Menschen die Cholera verursacht, schädigt aber den Tintenfisch überhaupt