Winzige Gefährten. Ed Yong

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Winzige Gefährten - Ed Yong

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Sind zu wenig Symbionten vorhanden, stirbt es. Was das bedeutet, widerspricht der Intuition: Der einzige Teil des Plattwurms, der sich nicht regenerieren kann, ist der bakterienfreie Kopf. Am Schwanz wächst ein neues Gehirn, aber das Gehirn allein bringt keinen Schwanz hervor.

      Die Partnerschaft von Paracatenula mit den Mikroorganismen ist typisch für das gesamte Tierreich, Sie und mich eingeschlossen. Wir mögen nicht über die wundersamen Selbstheilungskräfte des Plattwurms verfügen, aber auch wir beherbergen Mikroorganismen im Inneren unseres Körpers und stehen während unseres gesamten Lebens mit ihnen in Wechselbeziehung. Anders als Hadfields Röhrenwürmer, deren Körperbau sich durch Bakterien aus der Umwelt zu einem bestimmten Zeitpunkt in ihrem Leben verändert, wird unser Körper durch die Bakterien in uns ständig neu aufgebaut und umgeformt. Unsere Beziehung zu ihnen ist kein einmaliger Austausch, sondern ein ständiges Aushandeln.

      Wie wir bereits erfahren haben, wirken sich Mikroorganismen auf die Entwicklung des Darms und anderer Organe aus, aber auch nachdem diese Aufgabe erledigt ist, kommen sie nicht zur Ruhe. Den Körper eines Tieres in Gang zu halten, erfordert Arbeit. Oder, mit den Worten von Oliver Sacks: »Nichts ist für das Überleben und die Unabhängigkeit von Lebewesen – seien es nun Elefanten oder Protozoen – von größerer Bedeutung als die Aufrechterhaltung einer gleichbleibenden inneren Umwelt.«19 Und dafür sind Mikroorganismen unentbehrlich. Sie wirken sich auf die Fettspeicherung aus. Sie tragen dazu bei, dass die innere Auskleidung des Darms und die Hautoberfläche sich erneuern können, indem geschädigte und abgestorbene Zellen durch neue ersetzt werden. Sie sorgen für die Unversehrtheit der Blut-Hirn-Schranke, eines Geflechts aus dicht gedrängten Zellen, das Nährstoffe und kleine Moleküle vom Blut ins Gehirn passieren lässt, größeren Molekülen und lebenden Zellen aber den Weg versperrt. Und sie beeinflussen sogar den unaufhörlichen Umbau des Skeletts, in dessen Verlauf frische Knochenmasse eingelagert und altes Material resorbiert wird.20

      Nirgendwo ist dieser ständige Einfluss deutlicher zu erkennen als im Immunsystem, den Zellen und Molekülen, die gemeinsam unseren Organismus vor Infektionen und anderen Gefahren schützen. Dieses System ist höllisch kompliziert. Man kann sich eine riesige Wundermaschine à la Rube Goldberg vorstellen, die aus einer scheinbar endlosen Anordnung von Bestandteilen besteht, und diese Bestandteile erzeugen einander, lösen einander aus und geben sich gegenseitig Signale. Nun stellen wir uns die gleiche Maschine als knarrendes, halb fertiges Chaos vor, in dem jedes Einzelteil nur halb ausgebildet, in zu geringer Zahl vorhanden oder falsch verdrahtet ist. So sieht das Immunsystem eines keimfreien Tieres aus. Das ist der Grund, warum ein solches Tier »für Infektionen aller Art anfällig [ist] … das Tier verharrt in einem infantilen Unreifestadium und ist den Gefahren der Welt nicht gewachsen«, wie Theodor Rosebury es formulierte.21

      Wie wir daran ablesen können, stellt das Genom eines Tieres nicht alles bereit, das dafür notwendig ist, dass ein ausgereiftes Immunsystem entstehen kann. Es bedarf auch des Beitrag eines Mikrobioms.22 In Hunderten von Fachartikeln wurde an ganz unterschiedlichen biologischen Arten – beispielsweise Mäusen, Tsetsefliegen und Zebrafischen – gezeigt, dass Mikroben in irgendeiner Form dazu beitragen, das Immunsystem zu formen. Sie haben Einfluss auf die Entstehung ganzer Klassen von Immunzellen und auf die Entwicklung von Organen, die solche Zellen herstellen und speichern. Besonders wichtig sind sie im Frühstadium des Lebens, wenn der Immunapparat zum ersten Mal aufgebaut wird und sich auf die große, böse Welt einstellt. Und auch wenn die Maschine erst einmal läuft, stimmen Mikroorganismen ihre Reaktionen weiterhin auf Gefahren ab.23

      Ein gutes Beispiel sind Entzündungen: Bei diesen Abwehrreaktionen eilen Immunzellen an den Ort einer Verletzung oder Infektion, was zu Schwellungen, Rötungen und Wärmeentwicklung führt. Sie tragen entscheidend dazu bei, den Körper vor Gefahren zu schützen; ohne Entzündungen wären wir von Infektionen durchsetzt. Zum Problem wird eine Entzündung, wenn sie sich im ganzen Körper ausbreitet, zu lange andauert oder schon bei der geringsten Provokation in Gang kommt: Dann führt sie zu Asthma, Arthritis und anderen entzündlichen Erkrankungen oder Autoimmunkrankheiten. Eine Entzündung muss also zum richtigen Zeitpunkt ausgelöst und angemessen gesteuert werden. Ihre Unterdrückung ist ebenso wichtig wie ihre Aktivierung. Für beides sorgen Mikroorganismen. Manche Arten regen die Produktion kämpferischer, entzündungsfördernder Immunzellen an, andere lassen besänftigende, entzündungshemmende Zellen entstehen.24 Gemeinsam versetzen sie uns in die Lage, auf Gefahren zu reagieren, ohne aber die Reaktion zu weit zu treiben. Ohne sie geht dieses Gleichgewicht verloren; das ist der Grund, warum keimfreie Mäuse sowohl für Infektionen als auch für Autoimmunkrankheiten anfällig sind: Sie können weder eine angemessene Immunantwort aufbauen, wenn sie notwendig ist, noch in ruhigeren Zeiten eine unangemessene Antwort abwehren.

      Halten wir hier einmal inne und überlegen wir, wie seltsam das alles ist. Die traditionelle Sicht auf das Immunsystem steckt voller militärischer Metaphern und feindseliger Formulierungen. Wir halten es für eine Abwehrstreitmacht, die das Selbst (unsere eigenen Zellen) vom Nichtselbst (Mikroorganismen und allem anderen) unterscheidet und Letzteres ausrottet. Und jetzt erfahren wir, dass Mikroorganismen unser Immunsystem überhaupt erst zusammenbauen und abstimmen!

      Betrachten wir als Beispiel einmal das verbreitete Darmbakterium mit dem Namen Bacteroides fragilis oder »B-frag«. Wie Sarkis Mazmanian im Jahr 2002 zeigen konnte, beseitigt gerade dieser Mikroorganismus in keimfreien Mäusen einige Störungen des Immunsystems. Insbesondere stellt er eine ausgewogene Menge an T-Helferzellen wieder her, einer unentbehrlichen Klasse von Immunzellen, die den ganzen übrigen Apparat antreiben und koordinieren.25 Um das herauszufinden, brauchte Mazmanian nicht einmal den vollständigen Mikroorganismus. Er wies nach, dass eine einzige Zuckerverbindung auf seiner Außenhaut, das Polysaccharid A (PSA), ganz allein die Anzahl der T-Helferzellen erhöhen konnte. Damit hatte zum ersten Mal jemand gezeigt, dass ein einziger Mikroorganismus – nein, ein einziger von diesem Mikroorganismus produzierter Molekültyp – eine bestimmte Immunstörung beseitigen kann. Später wies Mazmanians Arbeitsgruppe nach, dass PSA zumindest bei Mäusen auch entzündliche Krankheiten wie Colitis (Darmentzündungen) und Multiple Sklerose (die Nervenzellen schädigt) verhindern und heilen kann.26 Diese Krankheiten sind auf eine Überreaktion des Immunsystems zurückzuführen; PSA sorgt für Ruhe und damit für Gesundheit.

      Aber denken wir daran: PSA ist ein Bakterienmolekül, und damit gehört es zu den Substanzen, die das Immunsystem der herkömmlichen Weisheit zufolge als Gefahr einstufen sollte. PSA sollte Entzündungen auslösen. In Wirklichkeit tut es das Gegenteil: Es dämpft Entzündungen und beruhigt das Immunsystem. Mazmanian bezeichnet es als »Symbiosefaktor« – es ist eine chemische Nachricht des Mikroorganismus an den Wirt, und sie besagt: Ich komme in friedlicher Absicht.27 Damit ist eindeutig gezeigt, dass das Immunsystem nicht aufgrund einer angeborenen festen Verdrahtung den Unterschied zwischen harmlosen Symbionten und bedrohlichen Krankheitserregern kennt. In diesem Fall macht erst der Mikroorganismus die Unterscheidung möglich.

      Wie können wir da das Immunsystem noch als Armee zerstörerischer Truppen betrachten, die kriegslüstern darauf aus sind, Mikroorganismen zu vernichten? Ganz offensichtlich ist die Sache komplizierter. Das System kann im eigenen Körper auf katastrophale Weise hochkochen, beispielsweise bei Autoimmunkrankheiten wie Diabetes des Typs 1 oder Multipler Sklerose. Andererseits köchelt es in Gegenwart unzähliger einheimischer Mikroorganismen wie B-frag sanft vor sich hin. Es ist also meines Erachtens zutreffender, das Immunsystem als eine Gruppe von Rangern zu sehen, als Ökosystem-Manager in einem Nationalpark. Sie müssen die Zahl der dort ansässigen Arten genau kontrollieren und problematische Eindringlinge vertreiben.

      Aber die Sache hat noch einen weiteren Dreh: Die Bewohner des Parks haben die Ranger überhaupt erst eingestellt. Sie haben ihren Wärtern gesagt, für welche Arten sie sorgen und welche sie vertreiben sollen. Außerdem produzieren sie ständig Substanzen wie PSA, die mit darüber bestimmen, wie aufmerksam und reaktionsfähig die Wärter sind. Das Immunsystem ist nicht nur ein Mittel, um Mikroorganismen unter Kontrolle zu halten. Es wird zumindest teilweise auch von Mikroorganismen kontrolliert. Damit ist es schlicht ein weiterer Weg, auf dem unsere Vielheiten

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