Reportagen 1+2. Niklaus Meienberg

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Reportagen 1+2 - Niklaus Meienberg

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es auch noch. Der Strom für das Radio, aus dem Sie Informationen beziehen, wird von einer Autobatterie geliefert, und die Kollegen durchstreifen die Stadt auf der Suche nach Dieselöl, mit welchem der elektrische Generator betrieben werden kann. Die Journalisten sind polyvalent, sammeln Informationen, redigieren, drucken, verteilen die Zeitung. Geschlafen wird am Arbeitsplatz.

      Technisch nicht auf dem neuesten Stand, wird man wohl sagen dürfen. Und doch erlauben Sie sich den Luxus der Unabhängigkeit. Von den Inserenten haben Sie keinen Druck zu befürchten, es gibt nichts mehr zu inserieren ausser Todesanzeigen. Aber die Politiker hofften, Euch zu gängeln, dem bosnischen Präsidenten Alija Izetbegovic gefiel die Unabhängigkeit der einzigen Zeitung Sarajevos nicht, er wollte «Oslobodjenje» subventionieren und somit kontrollieren. Die Redaktion hat das, obwohl die materielle Lage verzweifelt ist, abgelehnt und die Zeitung «vergesellschaftet», wenn man so sagen darf, also verkauft und einen Teil der Aktien den Lesern angeboten.

      Ein urdemokratisches Zeitungsmodell, mitten in der Katastrophe realisiert. Und ich bezweifle, ob unsere grossen Zeitungen in Zürich, falls wir auch einmal Krieg haben, sich derart radikal gegen die Zensur auflehnen würden. Wer weiss.

      Aber wir werden hier nie Krieg haben (glaubt man in Zürich). Der letzte Weltkrieg hat an unseren Grenzen haltgemacht. Trotzdem wurde damals die staatliche Zensur in den Redaktionen akzeptiert.

      Euren Politikern behagt es nicht, dass «Oslobodjenje» von Serben, Kroaten, Muslims gemacht wird und Informationen, nicht Propaganda liefert. Sie hätten wohl gern eine ethnisch gesäuberte Zeitung in Sarajevo, während Ihr mit Eurer gemischten Belegschaft beweist, dass die unterschiedlichsten Völkerschaften sehr wohl miteinander leben können; sogar in einer Redaktion, wo auch im Frieden bekanntlich die Meinungen hart aufeinanderprallen.

      Lieber Zlatko Dizdarevic, warum gelingt Euch der Frieden mitten im Gemetzel und warum den andern nicht? Wie haltet Ihr das aus, die Granaten aus den serbischen Kanonen und den Druck der «eigenen» Regierung? Euer Reporter Alco Hondo wurde getötet, als er die Warteschlange vor einem Brunnen fotografierte. Kjasi Smajlovic, Korrespondent in Zvornik, wurde von den Tschetniks hingerichtet, nachdem sie die Stadt erobert hatten, und es gibt keine Chauffeure mehr, welche Eure Zeitung zu den Lesern bringen. Wo treibt Ihr immer wieder Papier auf? Eine Ladung, von der französischen Regierung gespendet, liegt in Split fest: «Manchmal ist die Zeitung wichtiger als Brot», hat einer von Euch kürzlich gesagt. Aber ich nehme an: Ihr hängt am Leben, Todesmystik ist Euch fremd. Eure Berichte und Reportagen machen einen kontrollierten, nüchternen Eindruck, keine Spur von Abenteurertum, kein Hemingway-Gefühl. Ihr wollt nur den Krieg stören, deshalb wurde Eure Redaktion seit einem Jahr zerstört, systematisch, und das Gebäude eingeebnet.

      Wie lange könnt Ihr durchhalten? Was passiert mit Euch, wenn die Frontlinie, die jetzt schon fünfzig Meter hinter Eurem Maulwurfsbau verläuft, näher rückt, ganz Sarajevo den Kriegsgurgeln in die Hände fällt? Wer fliehen kann, der ist geflohen. Und Ihr macht jeden Tag, so pünktlich wie irgendeine Redaktion in Zürich, Eure Zeitung für die übriggebliebenen Bewohner der Ruinenstadt. Die serbischen Ruinenbaumeister werden sich rächen.

      In Ihrem «Kriegstagebuch» haben Sie geschrieben: «Das schlimmste ist, dass wir hassen lernen. Wir verdächtigen jeden und vertrauen niemandem. Hoffen können wir nicht mehr: wir verachten, sind zynisch geworden. Jemand hat kürzlich gesagt, in Bosnien sei ein Zustand jenseits des Hasses erreicht … Manchmal hat man die Nase voll, man würde gern aufgeben und abhauen, wenn man nur könnte – aber es bleibt uns die Hartnäckigkeit, der Trotz oder, um uns besser zu charakterisieren, die Dummheit. Die befiehlt uns, hier auszuharren, und wird uns vermutlich das Leben kosten. Aber was soll das Leben, wenn seine Grenzen von jenen Idioten gezogen werden, die von den Hügeln herab schiessen.»

      Lieber Zlatko Dizdarevic, auf Ratschläge aus Zürich werden Sie verzichten können. Zürich kann vielleicht mitreden, wenn seine Bevölkerung von 400'000 auf 50'000 geschmolzen ist, wie die von Sarajevo. Das Leben hier ist völlig unberührt vom Tod in Ihrer Stadt, obwohl sie näher bei Zürich liegt als Kuwait City. Schicken können wir Ihnen vorläufig nichts, ausser unserer Bewunderung. Dadurch wird Ihre Lage nicht anders, und etwas Ähnliches wie der Preis der Journalistenorganisation «Reporters sans Frontières», den Sie kürzlich erhalten haben, ist in Zürich nicht zu holen. Der «Zürcher Journalistenpreis» wurde bisher nicht für todesmutige Reportagen verliehen. Hier kann man mit Schreiben höchstens eine Stelle, nicht das Leben riskieren. Aber etwas wäre doch denkbar: Falls und wenn der Krieg zu Ende geht, wollt Ihr Euer zerstörtes Zeitungsgebäude wieder aufbauen, und dafür wird jetzt schon, optimistisch, Geld gesammelt.

      Gefühle beim Öffnen der täglichen Post und Hinweis auf das «Interstellar Gas Experiment»

      (Ein Tagebuch)

      Da ist wieder viel Post in den Briefkasten geknarrt, geknallt, geknattert, und oft von Leuten, denen ich nie geschrieben habe und die sich doch angesprochen fühlen. Lebhaftestens! Andere Sendungen kommen leise angeflattert, sanft herbeigerauscht. Das ist eine ewige Sauna, kalt/heiss, heiss/kalt, und man wird dann mit der Zeit doch abgehärtet. (Liäbs Büsi/Bösi Chatz). Zwei, drei Briefe pro Tag, bei feierlichen Gelegenheiten, Dreizack-Manöver oder Bundesratwechsel, sind es auch mehr. Die feierlichen Gelegenheiten häufen sich in letzter Zeit.

      Herr Niklaus Meienberg.

      Sie, nur Sie sind die grauenhafte Maus. Sie wollen geschult, ein Schurnalischt sein, und beweisen, dass Sie auf den Rollschuhen durch die Kinderstube sausten, d.h. keine Erziehung genossen und keinen Funken Anstand haben.

      Warum bleiben Sie denn in der Schweiz, wo eine so miese Regierung regiert? Warum melden Sie sich nicht selber als Bundesrat, da Sie es doch viel, viel besser machen könnten? Geben Sie doch das Schweizerbillet ab und verschwinden Sie irgendwohin ins Ausland, Sie Hetzbruder.

      Das war ein guter Tip, und ist der Adressat dann nach Weihnachten auch wirklich ins Ausland verschwunden; konnte aber genau deshalb sein Schweizerbillet nicht abgeben, weil ohne: kein Grenzübertritt. Daran hat Frau P. nun wieder nicht gedacht. Und wie stellt sie sich die Zustände in der Meienbergschen Kinderstube vor? Ich war ein verträumter Bub, viel zu ruhig, die Mutter machte sich Sorgen, wär' ich doch nur auf Rollschuhen in der Stube herumgesaust, aber Rollschuhfahren wollte der Zweitjüngste nicht mal auf der Strasse. Frau P., Sie haben abenteuerliche Fantasmagorien, und Ihr Name ist etwas kurz geraten. Wie lautet Ihr voller Name? Purtschikofer? Postillon? Pizza? Piazza? Pestalozzi? Frau Punktum?

      Nach dem P. haben Sie einen Punkt gemacht, Unterschrift: Frau P. (Poststempel Lenzburg). Vielleicht sind Sie aber auch ein Herr, der letzte Satz deutet auf physische Kraft und Männlichkeit: «Euch gehörte der Kopf umgedreht.» Aber vielleicht bedeutet er Ohnmacht? Ich stelle mir vor, wie das knirscht im Genick, wenn der Kopf gehörig umgedreht wird.

      Am nächsten Tag ist ein Paketchen im Milchkasten, das hätte dem Empfänger beinahe den Kopf verdreht. Zuoberst ein Brief auf rosarotem Papier:

      Lieber Niklaus Meienberg! Ich bin 13jährig und habe ein etwas seltsames Hobby. Mein Götti hat mir vor mehr als einem Jahr ein Fotoapparat geschenkt, mit dem ich nicht nur Familienbildchen knipsen möchte.

      Ich sammle nämlich Fotos von schweizerischen Persönlichkeiten, die ich verehre. Zuerst schrieb ich Herrn Nationalrat Jaeger und prompt schrieb er zurück und die Filme ergaben tollste Fotos von ihm, und das mit meinem Föteler geknipst! Ich bin «an Sie geraten», weil mein Papa ein Buch von Ihnen las. Ich schnupperte ein wenig darin und geriet an «Herr Engel in Seengen …». Diese Geschichte gefällt mir sehr, nicht zuletzt darum, weil ich in der Nähe wohne. Ich bin viel mit Ihnen gleicher Meinung nur nicht bei der Abschaffung des Militärs. Mit einem ein klein wenig schlechten Gewissen schicke ich Ihnen nun meinen Föteler und hoffe, dass Sie ein wenig Zeit finden, um ein paarmal abzudrücken (damit Sie gut drauf sind, roter Punkt vorne = Selbstauslöser, den Rest müssen Sie in der

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