Internationales Strafrecht. Robert Esser
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![Internationales Strafrecht - Robert Esser Internationales Strafrecht - Robert Esser Praxis der Strafverteidigung](/cover_pre1066561.jpg)
b) Gescheiterter Vergleich und einseitige Erklärungen (unilateral declarations)
376
Kommt zwischen den Parteien keine gütliche Einigung zustande („gescheiterter Vergleich“), so kann der Gerichtshof gleichwohl den Vorschlag des Vertragsstaats aufgreifen, den Rechtsstreit für erledigt i.S.v. Art. 37 Abs. 1 lit. c EMRK zu erklären, von einer weiteren Prüfung der Beschwerde absehen und deren Streichung im Register anordnen – auch dann, wenn der Bf. die Fortsetzung der Prüfung wünscht (Rule 62A Abs. 1 lit. a i.V.m. Abs. 3).[75] Voraussetzung ist, dass der Vertragsstaat den geltend gemachten Konventionsverstoß anerkannt hat, zudem muss er ein angemessenes Vergleichsangebot unterbreitet und ggf. erklärt haben, die erforderlichen Maßnahmen zur Wiedergutmachung zu ergreifen (sog. unilateral declaration), vgl. Rule 62A Abs. 1 lit. b. Die Abgabe einer solchen einseitigen Erklärung unterliegt (anders als eine gütliche Einigung) nicht der Vertraulichkeit (Rule 62A Abs. 1 lit. c).
377
Bei der Überprüfung der Angemessenheit des (staatlichen) „Einigungs-/Vergleichsangebots“ berücksichtigt der Gerichtshof die Kriterien, die er zu der betreffenden Frage in seiner Rechtsprechung entwickelt hat. Die Streichung der Beschwerde aus dem Register kommt nur in Betracht, wenn die Umstände des Falles sowie eine eindeutige (und umfangreiche) Rechtsprechung zu den speziell aufgeworfenen Fragen eine weitere Prüfung der Begründetheit der Beschwerde nicht (mehr) erfordern.[76]
378
Beschließt der Gerichtshof aufgrund eines „gescheiterten Vergleichs“ die Streichung der Beschwerde aus dem Register, so stellt sich die Frage, ob der Vertragsstaat an sein bzw. das vom Gerichtshof übernommene und zugesagte Vergleichsangebot gebunden ist. Eine Überprüfung durch das Ministerkomitee erscheint regelmäßig nicht möglich, da die Streichung in der Regel in der Form einer Entscheidung ergeht, die dem Ministerkomitee grundsätzlich nicht weitergeleitet wird; eine Sonderregel wie für den Vergleich (Art. 39 Abs. 4 EMRK), wonach das Ministerkomitee ausnahmsweise auch die Durchführung des Vergleichs überwachen soll, fehlt zudem (vgl. Rn. 355, 372). Der Bf. kann aber, wenn ein einseitiges Angebot nicht in dem zugesagten Umfang erfüllt wird, beantragen, dass der Gerichtshof die Beschwerde wieder in sein Register aufnimmt (Art. 37 Abs. 2 EMRK).[77] Eine Regelung, die dem Ministerkomitee die Überwachung der Umsetzungen einseitiger Erklärungen ermöglicht, ist im Gespräch.[78]
379
Die Streichung der Beschwerde aus dem Register nach Art. 37 Abs. 1 lit. c EMRK nimmt dem Bf. nicht das Recht, weitergehende mit dem Konventionsverstoß verbundene oder sich später erst realisierende Rechtsverletzungen geltend zu machen (wichtig etwa bei der Verfahrensverzögerung in einem anschließenden Stadium, das nicht Gegenstand der Beschwerde war).
c) Gütliche Einigung nach Feststellung der Konventionsverletzung (Follow-up Friendly Settlements)
380
Eine gütliche Einigung ist auch dann noch möglich, wenn eine Verletzung durch den Gerichtshof bereits festgestellt wurde, wenn nämlich die Kosten und die Höhe der Entschädigung nicht im selben Urteil festgesetzt werden konnten. In diesem Fall wird die Beschwerde in Form eines Urteils aus dem Register gestrichen (Rule 75 Abs. 4).
d) Durchsetzung der Zusagen einer gütlichen Einigung/einseitigen Erklärung
381
Zahlt der Vertragsstaat die zugesagte Summe nicht, so kann nicht unmittelbar aus der Entscheidung des EGMR über die Streichung aus dem Register, in dem die Einigung enthalten ist, vollstreckt werden; sie stellt keinen Titel dar. Aus einer Entscheidung folgt zudem keine völkerrechtliche Pflicht, diese zu befolgen, anders als beim Urteil (siehe dazu noch Rn. 463 ff.). Der Bf. kann aber einen Amtshaftungsanspruch anhängig machen (siehe dazu Rn. 520). Es bleibt dem Bf. nur die Möglichkeit, die Wiedereintragung in das Register zu beantragen; dasselbe gilt für die Nichterfüllung von Zusagen im Rahmen einer einseitigen Erklärung.
3. Gewährung einer Verfahrenshilfe
382
Für die anwaltliche Beratung vor bzw. bei der Erhebung einer Individualbeschwerde zum EGMR ist die Gewährung einer Verfahrenshilfe (VH) im deutschen Recht nicht vorgesehen. Auch der Gerichtshof selbst wird in diesem vorprozessualen Stadium keine finanzielle Unterstützung (legal aid) bewilligen.[79] Der Präsident der mit der Beschwerde befassten Kammer kann dem Bf. auf dessen Antrag oder von Amts wegen eine finanzielle Unterstützung (VH) erst bewilligen,
• | sobald die Beschwerde dem Vertragsstaat zur Stellungnahme weitergeleitet worden ist (Rule 54 Abs. 2 lit. b) und dieser sich zur Zulässigkeit geäußert oder die ihm zur Stellungnahme gesetzte Frist hat verstreichen lassen, |
• | die Bewilligung dieser Hilfe für die ordnungsgemäße Prüfung der Rechtssache vor der Kammer notwendig ist und |
• | der Bf. nicht über ausreichende finanzielle Mittel verfügt, um die anfallenden Kosten ganz oder teilweise zu begleichen (Rules 100 ff.). |
383
Zur Feststellung seiner Mittellosigkeit wird der Bf. aufgefordert, ein ihm bei der Kanzlei anzuforderndes Erklärungsformular (form of declaration) auszufüllen, aus dem sein Einkommen, sein Kapitalvermögen und seine finanziellen Verpflichtungen hervorgehen, insbesondere solche gegenüber Unterhaltsberechtigten (Rule 102 Abs. 1 Satz 1).
384
Diese Erklärung und die in ihr enthaltenen Vermögenspositionen sollten von der oder den jeweils zuständigen nationalen Stellen bestätigt sein (Rule 102 Abs. 1 Satz 2).[80] Zu dieser Erklärung des Bf. kann der betroffene Vertragsstaat Stellung nehmen (Rule 102 Abs. 2). Erst dann trifft der Kammerpräsident eine Entscheidung über die Gewährung der VH (Rule 102 Abs. 3 Satz 1).
385
Die VH umfasst die Honorare[81] für einen oder mehrere Verfahrensbevollmächtigte nach Rule 36 Abs. 4[82], die Fahrt- und Aufenthaltskosten sowie andere notwendige Auslagen, die dem Bf. oder der zu seinem Vertreter bestellten Person entstehen (Rule 103). Derzeit besteht die durch den Gerichtshof gewährte Verfahrenshilfe aus einer Pauschale in Höhe von 850 € für das gesamte schriftliche Verfahren nach der Zustellung.[83]
386
Die Bewilligung der VH für das Verfahren vor der Kammer gilt auch im Verfahren vor der Großen Kammer, wenn die Voraussetzungen ihrer Bewilligung auch zu diesem Zeitpunkt noch vorliegen. Die VH wird aus dem Budget des Gerichtshofs finanziert (siehe Art. 50 EMRK) und an den Bf. ausgezahlt. Eine