Mann meiner Träume. Nicole Knoblauch

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Mann meiner Träume - Nicole Knoblauch

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Dieser Kuss war real.

      Seine Lippen lösten sich von meinem Mund und begannen langsam, meine Kehle hinabzuwandern. Mein Hals reckte sich ihm entgegen und meine Hände suchten sich ihren Weg unter seine Weste und sein Hemd. Als sie nackte Haut berührten, zitterte sein Körper. Ich wollte mehr und zerrte am Hemd. Er stoppte mich und flüsterte: „Das ist es? Du bist eine ...?“

      WAS? Ein Eimer kaltes Wasser hätte nicht so eine Wirkung haben können!

      Dann dämmerte es mir – und ich wäre vor Scham am liebsten im Boden versunken! Natürlich musste er das von mir denken. 1789 ließ sich kein Mädchen von einem wildfremden Mann küssen – egal aus welchem Anlass!

      Zu meiner Überraschung lächelte er mich an. „Ich habe nichts gegen deinen Beruf. Du wärst nicht die erste.“

      Nein, nein, nein, nein! Napoléon Bonaparte hielt mich für eine Hure! Das hatte ich ja toll hingekriegt.

      „Ich bin keine Prostituierte.“ Meine Stimme überschlug sich fast. Der Versuch, mein Kleid zu richten, scheiterte kläglich. Als er nichts sagte, fügte ich trotzig hinzu: „Ich bin Gouvernante.“ Nun, das kam der Wahrheit zumindest nahe.

      „Was willst du von mir?“

      Sein Blick schnürte mir die Kehle zu.

      „Was machst du hier? Versuchst du, einen Mann zu finden?“

      Die Spur Schärfe, die seine Stimme gewonnen hatte, löste meine Erstarrung. Die ganze Sache begann mir zu entgleiten und fühlte sich gar nicht mehr wie ein guter Traum an.

      „Du siehst das falsch!“ Verflucht, warum musste ich mich jetzt räuspern und warum klang meine Stimme wie die eines kleinen Mädchens? „Wieso sollte ich ausgerechnet hierher kommen, um mir einen Mann zu suchen? Und warum sollte ich mir dich aussuchen?“ Langsam kam ich in Fahrt und erkannt meine Stimme wieder als meine eigene. „Es gibt viele Männer, die nicht nur besser aussehen als du, sondern auch mehr Geld und Macht haben.“ Wie verletzend das klang, wusste ich, aber ich wollte ihn verletzen.

      Seine Antwort kam schnell: „Wenn ich deinen Worten glauben kann, wird bald niemand mehr über mir stehen.“ Das nahm mir den Wind aus den Segeln.

      „Das glaubst du mir?“

      Er zuckte mit den Schultern. „Das mit der Revolution stimmte.“

      „Wenn du mir das glaubst“, fuhr ich selbstbewusster fort, „musst du mir auch glauben, dass ich eine anständige Frau bin. Ich bin weder käuflich noch auf der Suche nach einem Ehemann.“

      Seine Wangenmuskeln zuckten, die normalerweise vollen Lippen bildeten eine schmale Linie. Doch nichts spiegelte seine Stimmung so deutlich wider wie seine Augen. Kurz vor dem Kuss hatten sie dunkel geglänzt. Jetzt ruhten sie in einem stählernen Grau auf mir. Nach wenigen Sekunden veränderte sich ihre Farbe erneut und sie leuchteten in einem strahlenden Hellblau. Ein Grinsen zeigte sich auf seinem Gesicht und ließ es weicher wirken. „Ich kann das nicht erklären. Obwohl ich dich kaum kenne, vertraue ich dir.“

      „Danke.“ Für einen Moment schloss ich die Lieder. Sanfte Finger berührten meine Wangen und strichen leicht daran entlang. Sacht berührten seine Lippen meine. Noch einmal und noch einmal. Mit jedem Mal wurde der Druck ein wenig stärker und die Abstände kürzer.

      Knackende Äste brachen den Zauber. Wir schreckten auseinander. Ein Eichhörnchen blickte uns neugierig entgegen und ging seiner Wege.

      Napoleone (das klingt viel besser als Napoléon) rückte einige Zentimeter von mir ab und ließ Sand durch seine Finger rieseln. Er begann erneut, Fragen zu stellen. „Du kannst die Zukunft sehen?“

      „Vielleicht.“ Mein Atem ging schnell. Aus Angst, dass er das leichte Zittern sehen könnte, verbarg ich die Finger in der Schürze. Beruhige dich Marie. Das ist ein Traum und hat nichts zu bedeuten.

      Napoleone klatschte in die Hände und Sand stob in alle Richtungen. „Du musst mir erklären, wie ich Korsika befreien kann!“

      Korsika, natürlich. Das hier war der junge Napoléon, voller Ideale und besessen von der Idee, ein freies Korsika zu schaffen. Wie sagt man einem jungen Menschen, dass seine Träume nichts anderes sind als das: Träume. Immerhin brachte mich dieses Thema auf andere Gedanken.

      „Kannst du nicht. Korsika wird nicht frei sein. Ich habe es dir bereits gesagt: Du wirst es versuchen, aber ...“ Meine Schultern hoben und senkten sich.

      „Nein!“ Seine Hand schlug energisch auf den Boden. „Korsika wird frei sein und Frankreich wird sich zurückziehen!“

      Patriot durch und durch. Ich sagte ihm besser nicht, dass er Korsika eines Tages für Frankreich erobern würde.

      „Kämpfe. Ich weiß, dass deine Gedanken um nichts anderes kreisen. Vielleicht hilft dir das: Paoli wird zurückkommen.“

      „Paoli kommt aus dem Exil zurück?“ Die Aussicht auf Rückkehr des korsischen Freiheitskämpfers entlockte ihm einen Triumphschrei. „Dann wird alles gut. Unsere Leute werden wie früher eng zusammenarbeiten. Ich werde meine Familie in die höchsten Kreise des neuen Korsikas bringen und meinem Land zu Größe verhelfen.“

      Die Schwärmereien über 'sein' Korsika und seine Pläne an der Seite Paolis machten es mir unmöglich, ihn mit der Wahrheit zu konfrontieren. Ich wollte ihm nicht sagen, dass Paoli kein Freund seiner Familie mehr war; dass er sie vielmehr für Verräter hielt, weil sie Korsika nicht verlassen hatten, während er ins Exil gegangen war. Carlo Buonaparte hatte die Zukunft seiner Kinder in Frankreich gesehen und sie dort unterrichten lassen.

      Mein Blick ruhte auf Napoleone. Er redete weiter über sein Korsika und ich bekam eine Ahnung von dem Mann, der er einmal werden würde.

      „Diese Revolution muss zu Korsikas Befreiung führen“, sagte er gerade. „Sie ist eine Chance für das ganze Land und war längst überfällig.“ Sein Gesicht glühte vor Begeisterung. „Auch wenn ich die Art, wie es geschieht, nicht für gelungen halte. Zu viele Ausschreitungen, zu viel Gewalt, zu viele Tote.“

      Er nahm meine Hand und hauchte einen Kuss darauf. Ein wohliger Schauer wanderte meinen Arm hinauf.

      „Das, was eben in der Stadt geschehen ist, ist ein wunderbares Beispiel dafür, was ich meine! Auf den Straßen herrscht Gewalt. Aber Gewalt führt immer zu noch mehr Gewalt. So gewinnt man eine Schlacht, aber niemals den Krieg! Und nur dort gehören Kämpfe hin: Auf ein Schlachtfeld, auf dem sich zwei Armeen gegenüberstehen. Nicht auf die Straße mit aufgehetztem Pöbel auf einer Seite.“ Er fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. „Aber wenn nötig, werde ich alles, was gerade geschieht, unterstützen, da ich es für gut und richtig halte! Ich muss nicht damit einverstanden sein, wie es geschieht.“

      „Du wirst also kämpfen?“

      „Nur wenn ich muss“, stieß er grimmig hervor. „Das ist nicht mein Kampf. Sollen die Franzosen sich doch gegenseitig abschlachten. Wenn es nach mir geht, halte ich mich raus.“

      Kaum zu glauben, dass er Frankreich später einmal als seine einzig wahre Geliebte bezeichnen sollte.

      „Was meinst du, wie der Rest Europas auf die Ereignisse der letzten Wochen reagieren wird?“

      Er dachte kurz nach, bevor er antwortete. „Sie werden gegen Frankreich in den Krieg ziehen und darin liegt meine Chance.

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