Anna Q und das Geheimnis des Haselbusches. Norbert Wibben
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»Wie ich heute Morgen sagte, hatte ich gerade Wichtiges entdeckt, das sich um ein Buch dreht. Genauer gesagt geht es darum, was ich in einem alten Wälzer gelesen habe. Darin ist die Geschichte »Das Geheimnis des Haselbusches« aufgeführt, die ein offenes Ende hat. Das ist für Erzählungen der damaligen Zeit ungewöhnlich. Deshalb reagierte ich auch so impulsiv, als Anna mich mit fast den gleichen Worten ansprach. – Schon seit alten Zeiten werden verschiedene Bäume und Büsche mit Magie in Verbindung gebracht.« »Das ist richtig«, unterbricht Professor Raven sie. »Der Haselstrauch unterstützt demnach die reisenden Schamanen auf der Suche nach Weisheit in den jenseitigen Welten. Das kann bedeuten, dass entsprechend begabte Zauberkundige mit seiner Hilfe zwischen den Welten wechseln können.«
»Wenn dieser Seid Greif aus unserer Welt stammt, muss er das einmal gelesen haben. Wir müssen dringend mehr über ihn und sein mögliches Verhältnis zu Augustus Back herausfinden.«
Anreise zum Turnier
Alle Mitglieder des Schachteams sind aufgeregt. Sie haben in den letzten Tagen bis gestern spät abends Schach gespielt, wobei die Spielpaarungen mit jeder neuen Partie wechselten. Der vor zwei Wochen angekündigte Vergleichswettkampf findet zu Beginn der Herbstferien am Freitag, Samstag und Sonntag statt. Die Anreise mit der Eisenbahn erfolgt deshalb am Donnerstagnachmittag. Der Schulleiter Iain Raven lässt es sich nicht nehmen und verabschiedet die Vertreter seiner Schule am Bahnsteig.
»Ich bin überzeugt, ihr werdet euer Bestes geben, um eurer schulischen Heimat, dem Internat Cinnt Caisteal, Ehre zu machen. Ich freue mich, dass ihr dafür sogar den ersten Ferientag opfert.« Sein Blick wandert über die Gruppe und ruht kurz auf Anna, wobei er ihr unbemerkt zuzwinkert. Schließlich schaut er die Teamleiterin an. »Morwenna. Innocent Green wird alles versuchen, damit ihre Schützlinge gewinnen. Ob sie dazu notfalls psychologische Tricks nutzen wird, weiß ich nicht, erwarte aber, dass ihr keine derartigen Kniffe anwendet. Ich drücke euch die Daumen. – Denk an den Wahlspruch unseres Internats: »Scientia potestas est.« Nutze die Zeit dort klug.« Professor Mulham nickt anstelle einer Antwort, dreht sich zu den Schülern und fordert sie auf, in den wartenden Zug zu steigen. Als sich diese im Wagon auf die Sitze verteilt haben, fragt Anna Robin:
»Was sagte Iain Raven zu Morwenna? Ich habe erst seit wenigen Wochen Latein. Kannst du es übersetzen?«
»Es bedeutet: Wissen ist Macht. Will er sie damit auf die notwendigen Recherchen hinweisen?«
»Das könnte der Grund sein«, stimmt sie ihm zu. »Morwenna muss er aber sicher nicht daran erinnern, da sie weiß, wie wichtig ihre Aufgabe ist. Trotzdem wird unsere Teamleiterin vielleicht durch mögliche, fiese Tricks dieser Innocent Green davon abgelenkt werden. Wenn ich daran denke, wie aufgebracht sie noch im Nachhinein auf deren hochmütige Art reagierte, könnte das eine letzte Ermahnung Professor Ravens sein.« Beide erinnern sich an den verkniffenen Gesichtsausdruck Morwennas, als diese von der Begegnung mit der anderen Teamleiterin berichtete.
Die Zugfahrt dauert etwa drei Stunden und wird verschieden genutzt, um sich mental auf die kommende Aufgabe vorzubereiten. Einige Schüler schauen aus dem Fenster und lassen die vorbeifliegende Landschaft auf sich wirken, andere halten die Augen geschlossen und gehen in Gedanken mögliche Eröffnungsvarianten für die kommenden Tage durch. Morwenna betrachtet ihre Schützlinge mit wohlwollendem Lächeln. Sie haben nur wenig Gepäck dabei, das ordentlich in den Ablagen über ihnen verstaut ist. Das sind entweder kleine Koffer oder einfach nur Rucksäcke. Für drei Übernachtungen benötigen sie nicht viel, zumal ihnen in den Gästezimmern des Internats alle benötigten Dinge zur Verfügung gestellt werden. Deshalb müssen sie lediglich Wäsche zum Wechseln und persönliche Dinge mitbringen.
Die Professorin bereitet sich auf das erneute Zusammentreffen mit Innocent Green vor. Sie ruft sich die überheblichen und herablassenden Blicke ihrer ehemaligen Studienkollegin vor Augen, um sich dagegen zu wappnen. Sie möchte dadurch erreichen, die Spiele objektiv verfolgen und bewerten zu können. So wird es möglich sein, daraus Verbesserungsansätze für ihre Schützlinge zu gewinnen. Aber auch die notwendige Recherche nach Augustus Back kann nur mit ruhigem Blut zum Erfolg führen. Ihr Blick richtet sich nach draußen in die Landschaft. In der Spätnachmittagssonne glitzern unzählige Insekten in der Luft. Noch besitzen viele der Bäume, die scheinbar am Zug vorbeiziehen, ihre bunten Blätter. Sie leuchten in warmem Rot, Braun oder Gelb. Das Sonnenlicht fällt ebenso auf das bereits am Boden liegende Laub, das vom nahenden Winter kündet. Obwohl das jetzt kaum vorstellbar ist, wird in einigen Wochen morgens weißer Raureif Blätter und Gräser überziehen.
Da die Ankunftszeit des Schachteams bekannt ist, wartet Innocent Green am Bahnsteig. Beide Frauen begrüßen sich. Es liegt lediglich ein kurzer Fußmarsch vor ihnen, bevor sie mit einem Bus der öffentlichen Verkehrsmittel zum Internat in den Norden des Ortes fahren. Die Schüler des CC sind zum ersten Mal in dieser Stadt, die für ihre Ausbildungsstätten im Land berühmt ist. Es ist daher nicht verwunderlich, dass ihre Blicke zu den Gebäuden aus hellgrauem oder gelblichem Stein gezogen werden. Sprossenfenster, Türme, Statuen auf Gesimsen und Verzierungen geben dem Ort ein ehrwürdiges Aussehen. Anna sitzt neben Robin und hinter Morwenna. Die dreht sich zu ihnen um und deutet auf ein imposantes Gebäude.
»Das ist das Queens College, das für seine Bibliothek berühmt ist, zu der mir Innocent Green den Zutritt ermöglicht.«
Die Schüler betrachten staunend den Eingang zum Inneren des Gebäudes. Von dem Gehweg an der Straße führen ausladende Stufen hinauf zu einer verzierten, zweiflügeligen, breiten Eichentür. Die Fassade wirkt fast tempelartig, da sie auf beiden Seiten des Tores mit jeweils zwei Säulen geschmückt ist. Dieser Eindruck wird noch verstärkt, da sich darüber eine von mehreren Doppelsäulen getragene Kuppel als Torhüter befindet, unter der eine große Statue in wallendem Umhang steht. Der Bus muss kurzzeitig langsamer fahren, deshalb erhaschen sie einen kurzen Blick ins Innere. Nach Durchschreiten des Eingangs gelangt man in einen rechteckigen Innenhof, durch dessen grüne Rasenfläche mittig ein Weg verläuft.
Die Schüler haben kaum Zeit, die vielen Eindrücke auf sich wirken zu lassen, da die Fahrt zum Internat schneller vergeht, als ihnen lieb ist. Das imposante Gebäude ist aus rotem Backstein errichtet und besitzt eine beeindruckende Anzahl kleiner und großer Giebel. Sofort nach der Ankunft werden sie zügig durch eine Tür ins Innere des Gebäudes, durch verwinkelte Gänge und eine Treppe in einen Raum geführt, der als kleiner Speisesaal genutzt wird. Dort ist für sie ein Abendessen als Büffet vorbereitet. Innocent Green fordert alle auf, sich zu setzen. Sie begrüßt das Schachteam und insbesondere ihre liebe Freundin und ehemalige Studienkollegin erneut und heißt sie willkommen. Sie beendet die darauffolgende, kleine Ansprache mit den Worten:
»Ich wünsche uns allen ein spannendes Wochenende und faire Kämpfe.« Dann fügt sie mit hochgezogenen Augenbrauen hinzu: »Falls es für keinen deiner Schützlinge zu einem Sieg reicht, liebste Morwenna, dann hattet ihr wenigstens einen schönen Ausflug in unsere berühmte Stadt. Aber gebt deshalb nicht auf. Dein Team besteht erst seit wenigen Wochen, da liegt noch ein weiter Weg vor euch, bis ihr bei landesweiten Wettkämpfen erfolgreich sein werdet. Und nun greift zu.« Mit süffisantem Lächeln fordert sie alle auf, jetzt mit dem Essen