Anna Q und das Geheimnis des Haselbusches. Norbert Wibben
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»Danke, Innocent. Wir kommen gern auf dein Angebot zurück, dass wir bei dir einige Übungsstunden bekommen werden. – FALLS es denn notwendig sein sollte. Aber jetzt wollen wir wirklich essen.« Anna hatte sich, genau wie die anderen Schüler, vor Empörung nicht zu bewegen gewagt. Alle schauen zu den ungleichen Professorinnen. Ihre Teamleiterin hält die hagere Gestalt gerade aufgerichtet. Sie wappnet sich offensichtlich für eine mögliche, neue Äußerung, die jedoch ausbleibt. Die fülligere Innocent Green nickt nur kurz. Ihr ist die gegen sie gerichtete, feine Spitze offenbar entgangen.
»Stimmt, das hatte ich versprochen. Aber jetzt lasst uns wirklich essen. Der Fußweg zum Bahnhof und die Fahrt im Bus waren doch anstrengender, als ich gedacht hätte.« Sie erhebt sich erneut, zieht verstohlen eine Brille aus ihrem wallenden Umhang und blickt kurz zu der Tafel mit den vorbereiteten Speisen. Sie nickt, steckt die Sehhilfe schnell zurück und steuert auf den Stapel Teller zu. Zusammen mit Morwenna Mulham erheben sich alle und reihen sich hintereinander auf, um sich zu bedienen.
Im Anschluss an das Essen führt Innocent Green alle in den Clubraum des Schachteams. Er ist sehr großzügig ausgestattet. In großen Vitrinen sind die gewonnenen Pokale ausgestellt. Die Anzahl ist beeindruckend groß! Hier warten die Spieler, gegen die sie antreten werden. Abschätzende Blicke fliegen hin und her. Anders als Professor Green wirken die Jungen und Mädchen nicht überheblich. Sie zeigen den Gästen aber voller Stolz die vielen Siegerpokale. An den Wänden gibt es Tafeln mit berühmten Namen, die demnach Mitglieder in diesem Club waren. Auf einem Messingschild steht das Gründungsjahr vermerkt: 1869! Da scheint es ein bisschen verständlich, dass die Professorin auf ihren Schachclub stolz ist, obwohl das herablassende Gebaren eine völlig falsche Einstellung offenbart. Während erste, zögerliche Gespräche zwischen den Schülern stattfinden, erklingt ein überraschter Ruf: »Britta, was machst du denn hier?« Die helle Stimme passt zu dem Jungen, der sich durch die verschiedenen Gruppen der Schüler zu dem Mädchen drängt.
»Ich gehöre zum Schachteam unseres Internats. Ich wusste gar nicht, dass du dieses Spiel derart gut beherrschst, Ciaran.« Da er bei dem Treffen anwesend ist, liegt das auf der Hand. Die beiden sondern sich von den herumgehenden Grüppchen ab und setzen sich an einen der Tische. Sie unterhalten sich angeregt, während Anna und Robin die Widmungen auf den Pokalen von einem rothaarigen Jungen erklärt bekommen.
Schachwettkampf
In der Nacht träumt Anna, dass ihre Teamkollegen mit Magenkrämpfen in ihren Betten liegen. Der Vergleichswettkampf findet trotzdem statt, weshalb sie alle Spiele für ihr Internat bestreitet. Die gegnerischen Schachfiguren erwachen plötzlich zu Leben und bedrohen sie. Sie wehrt sich verzweifelt, verliert jedoch alle Partien. Als sie die enttäuschten Blicke von ihren Mitschülern sieht, erwacht sie schweißgebadet.
Das Frühstück nehmen die Schachspieler beider Internate gemeinsam ein, wobei sie sich getrennt zueinander setzen und in zwei Gruppen teilen. Der Speisesaal ist auf der Seite seltsam ruhig, wo die Schüler des CC sitzen. Es ist ihr erster Vergleichswettkampf und dementsprechend aufgeregt und unsicher sind sie. Ihr Appetit scheint nicht besonders groß zu sein, lediglich der zwölfjährige Finn langt kräftig zu.
»Warum sollte ich keinen Hunger haben? Ich muss noch wachsen und habe außerdem vor, mein Spiel zu gewinnen. Wenn mir mein Bauch dazwischenredet, kann ich mich nicht genügend konzentrieren. Möglicherweise läuft es so wie gegen Alexander.«
Auf der anderen Seite des Raumes sitzen ihre Gegner. Sie tuscheln miteinander, grinsen sich an oder lachen über Witze, die nicht zu Anna und ihre Kameraden herüberdringen. Innocent und Morwenna frühstücken wiederum an einem separaten Tisch, wobei sie sich gedämpft und angeregt unterhalten. Ihr Gespräch dreht sich um die Regeln für den Wettkampf, aber auch um die anstehenden Recherchen und wie sie vorgehen wollen. Um neun Uhr wird das Essen beendet. Die Schüler drängen in den Flur und folgen Professor Green, die sie durch Flure und über Treppen in den Clubraum führt. Morwenna bildet den Abschluss.
Anna wundert sich, warum es hier im Internat so ruhig ist. Müssten ihnen nicht andere Schüler entgegenkommen oder überholt werden? Dann fällt ihr wieder ein, dass heute der erste Ferientag ist und die Jungen und Mädchen bei ihren Familien sind. Ihre Gedanken schweifen kurz zu ihrem Vater. Sie wird leider im Schülerheim bleiben müssen, da sie ihn nicht am Südpol besuchen kann. Anna weiß, etwa acht Schüler verbringen die Ferien im Internat, die aus verschiedenen Gründen nicht nach Hause können. Wie diese zwei Wochen wohl sein werden, voller Langeweile, trotz gemeinsamer Unternehmungen? Schachspiele fallen in der Zeit jedenfalls aus, da ihr keiner aus ihrem Team bekannt ist, der ebenfalls im Internat bleiben wird.
Ein feines Kribbeln entsteht in ihrem Bauch, als sie im Clubraum die Tische erblickt, die für die Schachpartien vorbereitet sind. Die Tür wird geschlossen und alle setzen sich. Erneut grenzen sich die Teams gegeneinander ab. Es wirkt so, als ob sie sich in der Gemeinschaft unter Bekannten sicherer fühlen. Es ist aber auch der Ausdruck dafür, dass sie ab jetzt zwei gegnerische Mannschaften sind. Ein leises Raunen geht durch beide Gruppen, bis Innocent Green Ruhe fordert. Gemeinsam mit Morwenna Mulham erläutert sie den geplanten Ablauf des Wettkampfes.
»Anders als sonst bei Schachturnieren, wird nicht gegen die Zeit gespielt.« Ein Raunen und Murmeln entsteht. Das Team des CC scheint erleichtert, während das heimische Team erstaunt zu seiner Leiterin blickt. Die liefert sofort die Erklärung. »Unsere Gäste haben bisher keinerlei Turniererfahrung. Da wirkt der zusätzliche Zeitdruck als Stressfaktor, den wir ihnen ersparen wollen. Sie sollen nicht den Eindruck haben, wir würden das als psychologischen Trick nutzen«, und nickt Morwenna zu.
»Aber wir haben sogar Erfahrung mit Schnellschach. Wir müssen eine Art zeitlicher Begrenzung festlegen, damit wir die geplanten Spiele an diesem Wochenende realisieren können.« Das Raunen beider Seiten verstummt. Etwas irritiert über den Einwand denkt Innocent Green nach.
»Einverstanden, dann nutzen wir die Schachuhren und lassen für jeden Spieler für vierzig Züge zwei Stunden, und für weitere zwanzig Züge zusätzliche sechzig Minuten als Bedenkzeit zu. Das ist eine übliche Vorgabe bei Wettkämpfen. Eine Spielpaarung kann dadurch maximal sechs Stunden dauern.«
Die Zeitangabe erscheint Anna, Robin und den anderen enorm lang, da sie in ihren Übungen Schnellschach mit einer Zeitvorgabe von insgesamt dreißig Minuten gespielt haben. Diese Vorgabe wird sie keinesfalls unter Druck setzen. Trotzdem sind sie unsicher, ob das klug von ihrer Teamleiterin war. Anna vermutet zu Recht, dass dies eine Reaktion auf die gewährte Erleichterung ist.
»Diese Bedingungen nehmen wir an. Sei versichert, dass meine Spieler damit klarkommen.« Ihre soeben noch angespannten Gesichtszüge glätten sich und ein Lächeln erscheint.
»Gut, dann ist das geklärt. Morwenna und ich werden als gleichberechtigte Schiedsrichter die Partien verfolgen. Für jedes gewonnene Spiel bekommt das jeweilige Team einen Punkt, für ein Remis einen halben. Die Mannschaft, die am Ende des Wettkampfes die meisten Punkte erspielt hat, gewinnt.« Sie lächelt ihrem Team zu. Ganz offensichtlich steht für sie schon fest, wer das sein wird. Morwenna fährt fort.
»In den sechs Altersgruppen von elf bis sechszehn Jahren tragen wir jeweils zwei Spielpaarungen aus, deren Teilnehmer vorher festgelegt werden. Gibt es mehrere Kandidaten einer Altersklasse, entscheidet das Los, wer spielt. Wir haben noch nicht definiert, wie wir vorgehen,