Seefahrt 1956-58 – Asienreisen vor dem Mast – Nautischer Wachoffizier. Klaus Perschke
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In welcher verdammten Ecke Chinas liegt eigentlich die Hafenstadt Tsingtao? Der verehrte Schüler muss jetzt mitarbeiten, also den Atlas auf den Tisch legen und China aufschlagen. Ich vermute, die geographischen Kenntnisse meiner Leser sind nicht sehr berauschend. Keine große Lust auf Erdkunde in der Schule gehabt? Langweilig, was? Ich früher auch nicht. Dagegen gibt es ein Rezept: Erdkunde muss man praktisch und hautnah erleben. Die Erde ist eben keine Scheibe, bei der man nicht über den Tellerrand hinaussehen kann. Die Erde ist eine um sich selbst drehende Kugel. Und der große Chef, der sich das alles ausgedacht hat, war bestimmt schlauer als alle Päpste, die seit 2000 Jahren ihr heiliges Unwesen treiben.
In meinem „Lloyd’s Maritime Atlas of world ports and shipping places“ wird Tsingtau in English „Qingdao“ geschrieben. Und seine Position liegt auf 36°04’ Nord und 120°19’ Ost.
Nach dem Studium der deutschen Kolonialgeschichte bin ich mir heute sicher, dass schon damals die großen Kolonialmächte das deutsche Kaiserreich 1914 mit voller Absicht in den Ersten Weltkrieg hineinmanövrieren wollten. Die Gründung von deutschen Kolonien war den damaligen Kolonialmächten ein Dorn im Auge. Das gilt nicht nur für die afrikanischen Erwerbungen, z. B. Deutsch-Südwestafrika mit seinen Diamantenfeldern, deren Gewinne das Budget der damaligen Reichsregierung gewaltig ins Plus anschwellen ließ, sondern auch für die Südseeinseln und ganz besonders für die chinesische Erwerbung Kiautschou. Tsingtau war das kleine Berlin in China.
Das große Land China lag ohnmächtig am Boden, als die Alliierten, Großbritannien, Frankreich, Amerika, Russland und Japan in das wehrlose Reich des Drachen einfielen und sich die Sahnestückchen aus dem großen Kuchen herauspickten. Besonders verrufen war hierbei der Opiumkrieg, den die Briten 1839–1842 den Chinesen aufzwangen und dabei ganze Provinzen durch das Teufelszeug lahmgelegt wurden. „Dem chinesischen Dauerverlierer blieb der uneingeschränkte Handel mit Opium aufgezwungen. Opium, Brei des Glücks und Tod für Chinas Nerven.“ (siehe Seite 276) Die Wut der chinesischen Bevölkerung auf die Langnasen war groß. Es war daher keine große Heldentat, als Deutschlands Seestreitkräfte am 14. November 1897 mit den beiden Kreuzern 1. und 2. Klasse „KAISER“ und „PRINZ WILHELM“ vor Tsingtaus Küste auftauchten und plötzlich säbelrasselnd an dem Strand landeten. Hilfe, die Teutonen waren da!
Was sollten die unterbewaffneten chinesischen Streitkräfte ihnen denn entgegensetzen? „Bis zum Eintreffen eines kriegsstarken Seebataillons und der Matrosenartillerie blieben die Mannschaften des Ostasien-Geschwaders zur Verteidigung an Land.“ (siehe Seite 279).
Tsingtau, 27. Januar 1898:
Parade des Landungskorps des 1. Klasse Kreuzers „KAISER“ und 2. Klasse Kreuzers „PRINZ WILHELM“ vor Vizeadmiral Otto von Diederichs.
Quelle: Bernd G. Längli, Die deutschen Kolonien, Schauplätze und Schicksale 1884-1918, Mittler Verlag, Hamburg, 2005,S.278
Bereits 1750 gab es an der Haipo-Mündung die Gründung einer „Handlungscompagnie von Emden auf China“. Also außer den Missionaren waren bereits vorher die ersten ostfriesischen Kaufleute aufgetaucht und hatten ihre Geschäfte mit den Chinesen abgewickelt. Diese kleine Kaufmannskolonie musste „rund hundert Jahre hilflos mit ansehen, wie imperialistische Großmächte das Land in Einflusssphären aufteilten“ (siehe Seite 269). Als in der Heimat des Konfuzius chinesische Aufständische zwei Missionare des Steyler Mutterhauses töteten, führte das zu einem Aufschrei in Deutschland unter allen katholischen Christen. Und Wilhelm der Große schrie am lautesten. Deutsche Seestreitkräfte marsch, marsch! Diesen Schlitzaugen muss man eine Lektion erteilen! Mal zeigen was Kruppstahl ist! Natürlich waren Chinas Kaiser Guang Zu und die einflussreiche Kaiserwitwe Cixi in Peking mit diesen Drohungen und Einschüchterungen nicht einverstanden. Doch sie hatten keine andere Wahl. Ihre Regierung war machtlos wie ein Papiertiger. „Das schwache China hatte keine andere Wahl, als den „berechtigten Wunsch des von Gott gesandten deutschen Kaisers nach einem Platz an der chinesischen Ostküste zu erfüllen.“ (siehe Seite 282) Nun waren also auch noch die deutschen Langnasen ins Reich der Drachensöhne gekommen und machten gleich Nägel mit Köpfen, sprich, einen Pachtvertrag auf 99 Jahre. Der Vertrag sicherte dem deutschen Imperator sowohl ein deutsches Pachtgebiet als auch ein neutrales, unter deutscher Kontrolle stehendes Gebiet dazu. Offiziell wurde die Reichskriegsflagge am 21. Februar 1898 aufgezogen. Der Vertrag wurde aber erst im März 1898 ratifiziert. Das Pachtgebiet war kaum größer als Hamburg.
Unter dem Schutz der kaiserlichen deutschen Reichskriegsmarine wurde rangeklotzt, entstand nach den Plänen eines Berliner Städteplaners eine deutsche Vorzeigestadt. Im Januar 1898 trafen das in Cuxhaven neu aufgestellte III. See-Bataillon und die Matrosenartillerie, in Zukunft die „Tsingtauer“ genannt, in der Kiautschou-Bucht ein und wurden an Land vorerst in den ehemaligen Lehmunterkünften der chinesischen Garnison untergebracht. In der Regel blieben die Marinesoldaten zwei Jahre vor Ort, ehe sie aus der Heimat abgelöst wurden. Aus Deutschland brachten Handelschiffe kaiserliche Beamte, Architekten, Ingenieure und Facharbeiter, dazu Maschinen, Werkzeuge, Laboratorien und so genannte Tropenhäuser ins Land. Unter dem Schutz der „Tsingtauer“ wurden die Stadt- und die Hafenanlagen mit Volldampf vermessen und nach den modernsten Bebauungsplänen und Vorstellungen der Städe- und Hafenplaner errichtet. Es wurde für die damalige Zeit eine der modernsten Trinkwasseranlagen und Abwasserentsorgung für alle drei geplanten Stadtteile gebaut. Bereits im ersten Jahr gab es eine deutsche Schule, 1899 wurde nach der Gründung der Schantung-Bergbau- und der Schantung-Eisenbahngesellschaft mit dem Bau der Eisenbahnlinie Tsingtau–Kiautschou begonnen und die Verbindung zu den Kohlefeldern und Seidendistrikten hergestellt“ (siehe Seite 284). „Eine moderne Landordnung verhinderte Grundstückspekulationen, was dem geregelten Aufbau und einer nach Funktionen gegliederten Raumstruktur entgegenkam. Der Bebauungsplan sah mit dem Europäer-, Geschäfts- und Chinesenviertel drei klar zu unterscheidende Stadtteile vor. Der Ausbruch einer Seuche erzwang den Abriss weiterer chinesischer Dörfer in der Nähe der Reißbrettstadt (siehe Seite 285) In der Aguste-Viktoria-Bucht entstand die Europäerstadt, in der Chinesen Land kaufen und vermieten, aber vorerst noch nicht wohnen durften. Das ausradierte Dorf Tsingtau an der Tsingtaubucht wurde durch eine Geschäftsstadt ersetzt. Nordwestlich der Geschäftsstadt, zur Kiautschoubucht hin, wurde das bereits bestehende Dorf Tapautau zur Chinesenstadt mit Handwerker- und Händlervierteln ausgebaut. Auch Nichtchinesen konnten sich dort niederlassen. Das war die Situation um 1900. „Der Baumboom war kaum zu übertreffen: Die Iltiskaserne, das große Lazarett und Hotel Prinz Heinrich ab 1899, das Europäergefängnis und das Bahnhofsgebäude 1900, das Seemannshaus 1901, das Gouvernementsgebäude und die Bismarckkaserne 1903, die Polizeistation 1904, „...um Wohnraum für die vom Bauboom angezogenen Chinesen zu schaffen, wurden in einiger Entfernung die Arbeitersiedlungen Taitungtschen und Taihsittschen angelegt“ (siehe Seite 285). „Anfangs gab es eine Rassentrennung aus kolonialhygienischer Sicht. Erst durch den Sturz der Mandschu-Dynastie, welche den vornehmen Mandschu-Adel und wohlhabende Sympathisanten der Monarchie in das Gebiet von Tsingtau spülte, wurde auch das vornehme Europäerviertel multikulturell aufgemischt“. Die chinesische Oberschicht fühlte sich sichtlich wohl unter den Fittichen des deutschen Kaisers. Fünf Jahre nach Inbesitznahme von Kiautschou wurde durch den deutschen Gouverneur Truppel und Konteradmiral Henning von Holtzendorff die große Anlegemole 1 im Hafen von Tsingtau dem internationalen Schiffsverkehr übergeben. Aus Tsingtau, der Stadt aus dem Nichts, waren inzwischen eine „Haupt-, Handels-, Hafen- und Garnisonstadt“, weiterhin ein Flottenstütz- und ein Kulturmittelpunkt am Osteingang der Kiautschou-Bucht geworden (siehe Seite 291). Ich überspringe den Auslöser des Boxeraufstands und konzentriere mich nur auf „Klein Deutschland in Übersee“. „Wahrzeichen der Stadt ist nicht nur der „Einhundertfünfzig-Tonnen-Kran“ des Hafens, sondern die 1910 östlich der Bismarckstraße geweihte evangelische Christuskirche der zivilen Gemeinde, die der Architekt und Bauherr, Curt Rothkegel, in Anlehnung an die Schwesternkirchen