Seefahrt 1956-58 – Asienreisen vor dem Mast – Nautischer Wachoffizier. Klaus Perschke
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Ja, ich hatte mein Herz in Yokohama verloren! Und jetzt möchten Sie, verehrter Leser, wissen, wie die Geschichte noch ausging? Ich muss Sie enttäuschen. Das ist mein kleines, persönliches Geheimnis, das ich nur für mich behalte. Dieses Rumprotzen mancher Kollegen, wie sie es mit wem getrieben haben, liegt mir nicht. Ich bin bei diesem Thema eher ein Romantiker. Diese Typen gibt es auch unter den Seeleuten. Und diese Stunden in Japan waren hochromantisch. Wie gesagt, ich hatte echt mein Herz in Yokohama verloren. Das soll tatsächlich noch vorkommen in der so genannten christlichen Seefahrt. Auch Seeleute sind nur Menschen.
Aber meine Eindrücke über das Apartment, wie es ausgestattet war, die hatte ich am nächsten Morgen, kurz bevor wir die Stätte Amors verließen, noch schnell in einem kleinen Skizzenblock verewigt. Und diese Skizzen kann ich dem verehrten Leser hier noch zeigen. Wie bereits erwähnt, so hätte ich mir meine Junggesellenbude in Deutschland eingerichtet, wenn ich die Goldstücke oder D-Märkerchen auf meinem Sparbuch gehabt hätte. Das Leben ist doch manchmal ungerecht. Die einen zünden sich aus lauter Langeweile mit einem Fünfziger eine Zigarre an, die anderen müssen ihre Märker zusammenkratzen und sparen, damit sie während der Schulzeit über die Runden kommen. Bafög gab es 1957 für Seefahrtsschüler noch nicht. Auf solche Ideen kamen die so genannten christlichen Finanzminister der Adenauer-Regierung nicht.
Keiko Fujinaka hieß also mein kleines Butterfly. Und offenbar empfand sie Sympathie für ihren Verehrer aus Deutschland, der so verschossen in sie war.
Am nächsten Morgen, nachdem ich ihr noch diskret ein kleines Extra-Dankeschön gegeben und sie mir ihre private Adresse gegen meine Schiffsanschrift ausgetauscht hatte, brachte sie mich zum nächsten Taxistand. Zum Abschied hatte ich sie mit meinem schlesischen Temperament noch einmal ganz doll gedrückt und geküsst, dann ging es solo zurück. Sogar ein bisschen traurig war ich. Seemann, wo ist deine Heimat, dachte ich. Mich hatte es arg erwischt damals.
Gerade noch rechtzeitig zum Umziehen und Auftauchen zum Frühstück in der Mannschaftsmesse, kam ich an Bord zurück. Und Bootsmann Tietjen zählte die Häupter seiner Lieben ganz genau an diesem Morgen, besonders derer mit den Lolliaugen. Und da saßen doch etliche mehr, als ich dachte. Yokohama war ein Rausch! Man schwebte immer noch wie auf Wolken über Deck. Damit wir etwas außer Sicht der Obrigkeit blieben, mussten wir in die Zwischendecks abtauchen und Stauholz zu Hieven zusammenstapeln. Ich war immer noch ein wenig durcheinander von dem Kulturschock, den ich erlebt hatte. Meine Gedanken eilten mir voraus. Was wäre, wenn sie mit nach Deutschland kommen würde? Hah, mein Vater, der Obermufti des Perschke-Clans, würde schon dafür sorgen, dass diese Art Halluzination ganz, ganz schnell geheilt werden würde, wenn ich wieder zuhause sein würde. Dafür verwette ich meinen Arm.
Ich glaube, drei Tage blieben wir noch in Yokohama. Unser Auslauftag war vermutlich der 9. März 1956. Ob wir bereits Ladung für die Heimreise mitgenommen hatten, daran kann ich mich heute nicht mehr erinnern. Mit solchen Lolliaugen sind die Gedanken woanders. Aber ich weiß, dass Nagoya, die alte japanische Kaiserstadt, unser nächste Hafen war. Dort lagen wir allerdings auch nur einen Tag. Kein Landgang für die gesamte Besatzung, außer dem Arzt. Von Nagoya fuhren wir weiter nach Kobe. Und in Kobe marschierte dann die andere Hälfte der Deckscrew an Land zum „Heißbaden“! Ohne Krankenschein, alles privat bezahlt. Der Japanaufenthalt hatte etwas Heilendes für die entzugsgeschädigte Psyche der Besatzung. Alle waren sie wieder ausgeglichen, zufrieden, tolerant, nach dem Motto: „Seid nett zu einander, wir sind doch alle Brüder“. Und am meisten zufrieden war der Bootsmann mit seiner Sportgang, denn eine zufriedene Crew bedeutet immer: kein Zoff, kein Aufkeimen von Differenzen. Keine Diplom-Psychologin hätte das so gut hinbekommen wie unser Scheich. Der Laden von Kurt Tietjen lief gut. Natürlich war durch die unverhoffte Geldaufnahme für den Landgang bei jedem das persönliche Budget für den Rest der Rückreise ziemlich geschrumpft. Also keine kleinen Geschenke für die Lieben zu Hause, z. B. ein Kimono aus Seide für die Schwester oder das Teeservice für die Eltern. Nicht auf dieser Reise. Jetzt war sparen angesagt. Für alle. Besonders schmerzlich war es für die Kollegen, die im kommenden Jahr zur Seefahrtsschule gehen wollten, also auch für mich.
Nach unserer Hafenliegezeit in Kobe führte die kommende Heimreise zuerst ins chinesische Arbeiterparadies. Und das hieß und heißt heute noch: Volksrepublik China.
Kiautschou zu Kolonialzeiten
Kiautschou, das preußische Hongkong
des deutschen Kaisers Wilhelm II
Tsingtau war unser erster Hafen in China. Tsingtau war auch die einzige Hafen- und Garnisonsstadt der ehemaligen deutschen Kolonie Kiautschou, die sich der große Imperator Kaiser Wilhelm II mit Hilfe des katholischen Steyler Missionswerks am Niederrhein eingesackt hatte. Papst Leo XIII gab damals sogar seinen Segen dazu, als die katholischen Missionare in das Land einfielen und sich dort breit machten. Und für die kaiserlichen Militärs in Berlin war es ein reines Sandkastenspiel, diesen abgelegenen Landstrich an der Küste im Paradeschritt zu erobern.
Die „völlig überraschte chinesische Garnison mit 1.700 Mann des Küstenschutzes unter General Chang Kao Yang missverstand das Manöver des Landungskorps (107 Offiziere, Unteroffiziere und 610 Mann unter der Führung von Kapitän zur See Zeye) und stellte, anstatt sich zu wehren, zu dessen Begrüßung eine Ehrenkompanie auf. Von Vizeadmiral Otto von Diederichs zum Abzug („verpisst euch ihr Hurensöhne“) innerhalb von drei Stunden aufgefordert, packten die Söhne des Himmels ihre Sachen ein und verschwanden (siehe Bernd G. Längin: Die deutschen Kolonien, Schauplätze und Schicksale 1884 –1918, Kiautschau – das Hongkong der Deutschen, Seite 278, Verlag E. S. Mittler & Sohn GmbH, Hamburg – Berlin – Bonn, 2005)
Hierzu wieder einmal ein kleiner Exkurs in die Vergangenheit - Mit einer didaktischen Überleitung. Schon mal etwas von Tsingtao-Bier gehört, lieber Leser? Ich hör schon: „Ein Deutscher trinkt kein Tsingtao-Bier!“ Vielleicht sogar schon einmal dieses Bier in einem der gängigen Getränkemärkte in unserem geliebten deutschen Vaterland gekauft? Nein? Aber das gibt es heute schon wieder! Und es ist ein hervorragendes Bier, es schmeckt besser als Beck’s-Bier! Ich hab nichts gegen die Bremer Brauerei. Aber das Tsingtao-Bier ist ein Produkt der ehemaligen Germania-Brauerei. Und die ersten chinesischen Bierbrauer wurden alle in München ausgebildet. Da staunt der Leser! „Das Helle wurde nach Pilsener, das Dunkle nach Münchener Art analog dem bayrischen Braugesetz hergestellt.“ (siehe Seite 297).
Die ehemalige Germania-Brauerei von 1903, heute Tsingtao Brauerei im Jahre 2008 –
Aufgenommen von dem in Hamburg bekannten maritimen Fotografen und Inhaber der Bildagentur Foto-Dock, Herrn Eberhard Petzold. Mein Dank für die Überlassung dieser Aufnahme.
Nachdem die kaiserlich japanischen Streitkräfte, die 1914 ganz böse auf die damalige Reichsregierung in Berlin zu sprechen waren, das deutsche Pachtgebiet Kiautschou überfielen, platt gemacht und die deutschen Staatsangehörigen in Gefangenschaft verschleppt oder vertrieben hatten, wurden viele, viele Jahre später 1947 Teile des zerstörten Tsingtao wieder nach alten deutschen Plänen aufgebaut, unter anderem auch die Germania-Brauerei. Heute im Jahre