Lebensweisheiten eines ordentlichen Trinkers. Helge Hanerth

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Lebensweisheiten eines ordentlichen Trinkers - Helge Hanerth страница 10

Автор:
Серия:
Издательство:
Lebensweisheiten eines ordentlichen Trinkers - Helge Hanerth

Скачать книгу

ist ein amtliches Gutachten. Man will einfach glauben, dass die ihren Job ordentlich machen. Das gehört doch so zu einer verantwortlichen Aufgabe. Auch ist eine Leistung schwer anfechtbar, wenn der Entscheidungsprozess mit den Lücken im Protokoll sich nicht exakt rekapitulieren lässt. Mein Fehler war, dass ich nicht weiter intervenierte, weil ich Bedenken hatte, das alles noch schlimmer kommt, wenn ich weiter auf Fakten poche. Die Exploration war schon längst auf eine emotionale Bahn gekommen. Oder war mein Fehler, dass ich überhaupt widersprochen hatte? So genau weiß ich es nicht. Intuitionen sind mein Metier nicht. Geholfen hatte der Gutachter meines Vertrauens jedenfalls nicht - nicht mal zum Sachverständnis. Dieses Versagen hatte ich als empirisch arbeitender Wissenschaftler noch nicht verwunden.

      Beruhigend wirkte da immerhin die Lektüre einschlägiger Literatur. Danach hatten bereits viele Wissenschaftler die Qualität prognostischer Untersuchungen beurteilt. Allein Prof. Ph. Tetlock (Vgl. Tetlock, Philip: “How Accurate Are Your Pet Pundits?“, Project Syndicate/ Institute for Human Sciences 2006) von der Berkeley University hat über 80.000 Prognosen untersucht. Die Ergebnisse zeigten, dass Prognosen in der Regel nicht signifikant vom statistischen Durchschnitt abwichen. Die meisten Untersuchungen betreffen Aussagen zu politischen Entwicklungen und Wirtschaftsaussichten. Die Datengrundlage ist einfacher zu bearbeiten. Psychologische Prognosen haben eine weitaus diffusere Datenlage, die erheblich schwerer akkurat zu messen ist. Die logische Konsequenz müsste sein, dass die Ergebnisse psychologischer Prognosen mit intuitivem Bemessungsspielraum noch schlechter abschneiden. Wenn ich bedenke, was bei meinen Explorationen nicht gefragt wurde, oder weggelassen wurde, oder mit einer einzigen nonverbalen Geste abgetan wurde, dann habe ich den Eindruck, das ein wissenschaftliches Ergebnis zu Gunsten gefühlter Erfahrung, das den Untersuchungsrahmen eingrenzte, verhindert wurde. Die Gutachter unterstrichen immer wieder, dass sie zu frieden waren mit einem Ergebnis im Rahmen ihrer abgesteckten Erwartungen. Darauf wurde auslegend hingewirkt. Grundlage waren ihre persönlichen, unevaluierten Erfahrungen. Ein Gutachter hatte auf meine Frage sogar eine Regressionsanalyse seiner Erfahrung als ungenügend abgelehnt, weil sie die Difizilität seiner geistigen Gabe ignoriere. Wie kommt man ohne gemeinsamen Nenner zu einem Ergebnis, das man gemeinsam tragen kann?

      Trotz eines bestimmenden Gutachtens mit juristischer Konsequenz, gab es bei mir weiter erhebliche Zweifel, die auch noch von Sachverständigen geschaffen worden waren, in dem sie sich weigerten mir ihr Ergebnisse offenzulegen. Ich kann annehmen was ich verstehe. Diese Chance wurde vertan.

      So erfand ich das Trinkprojekt. Es sollte mir helfen mit der nicht weichen wollenden Betroffenheit umzugehen. Schließlich hatte man mit dem Urteil einem Kontrollfreak sein heiliges Pflichtbedürfnis abgesprochen. Was für einen Magersüchtigen der Hunger ist, ist mir doch in ähnlicher Weise der Vollzug von Kontrollmaßnahmen.

      Daneben gab es politische Bedenken. Was für eine Diktatur in Ordnung war, konnte ich schon durch mein politisches Engagement für Rechtsstaatlichkeit in einer Hilfsorganisation für politische Gefangene, nicht akzeptieren. Dafür war ich auch durch meine aktivistischen Tätigkeiten als Schüler und Student zu stark geprägt worden, die mich bis zum Erntehelfer nach Nicaragua getrieben hatten. Solche metaphysischen, den Lebenssinn bestimmenden Rechts- und Wahrheitsbedürfnisse verhindern jeden zügellosen Trinkdruck. Das gilt besonders, wenn die Bedürfnisse eine existenzialistisch, extremistische Gewichtung finden. Deswegen lässt sich die Verletzung solcher Lebensgrundsätze auch nicht mit Gewalt oder exzessivem Trinken lösen. Trinken ändert nichts, nicht einmal das Bewusstsein um Wahrheit. Nur Handeln kann entschärfen und das braucht Handlungshoheit, die es mit Alkohol nicht gibt.

      Ich hatte also eine Menge Gründe mich den Gutachten zu widersetzen. Trotzdem erlaubte erst die Kombination aus Gründen und einem beweisführenden Projekt das Trinken in einem Rahmen. Ein klassischer Rückfall musste ausgeschlossen sein. Bevor die Studienidee konkret wurde, musste ich weitere grundlegende Gedanken wälzen. Durfte ich glauben, dass bei mir alles anders war? Wollte ich nicht sehen, was für Psychologen offenkundig war? Was unterschied mich vom statistischen Mittel? Was war bei mir anders gelaufen? ich wollte es herausfinden und durchleuchtete mein Leben zwei Tage lang jedes Mal vor Trinkbeginn. So lange mussten die Flaschen vom letzten Einkauf unberührt bleiben. Mir war das wichtig! Es ging immerhin um mein Selbstverständnis, das mir abgesprochen worden war. Die Vergewaltigung der Wahrheit durch Experten war mit ihrem Fachwissen untermauert worden. Trotzdem entschied keine wissenschaftlich, korrekte Rationale ihr Urteil, sondern die gefühlte Erfahrung. In meiner Ohnmacht gegen gutachterliche Gefühle sah ich mich allmählich berechtigt zu allen möglichen Vergehen, um das Verbrechen an mir zu kompensieren. Auf meinem Rücken wurde ein Exempel der Plausibilität und nicht des Wissens statuiert. Ihr Pochen auf ihre Autorität war ein Zeichen einer Arroganz zu einer Macht, die glaubt, es nicht nötig zu haben genauer hinzuschauen.

      Ich bin wie jeder Mensch ein Kind der Umwelt, in die ich hineingeboren wurde. Im Laufe meiner Entwicklung habe ich versucht zu lernen mit den Gegebenheiten umzugehen, die mich umgeben. Die Erfahrungen, die mir gefielen, übernahm ich. Andere Erfahrungen, die mir nicht gefielen, versuchte ich in meinem Sinne zu beeinflussen. Die notwendigen Techniken habe ich lange erprobt. Dazu hatte ich viel Zeit, denn wir Menschen haben unter den Lebewesen die längste Entwicklungszeit. Da das menschliche Hirn über Areale wie den Neocortex verfügt, die die Erfahrungen der Entwicklungszeit verarbeiten, kann auch ich davon ausgehen, dass meine Erfahrungen mich geprägt haben. Von besonderer Bedeutung sind hierbei die präpubertäre Phase als Kleinkind und Kind, die Pubertät als Jugendlicher und die finale Adoleszenz als juristisch bereits junger Erwachsener. Alle diese Phasen waren bei mir von Leistungssport und Musikunterricht geprägt. Meine Sozialisation blieb als Einzelgänger eher bescheiden. Fast jeden Wochentag und viele Wochenenden gab es ein Programm aus Training oder Wettkampf und Musikunterricht oder Konzert. Dabei haben sich Eigenschaften ausgebildet, die durch Prägung noch heute mein Leben bestimmen.

      Das ist normal. Eigentlich ist das von der Evolution auch so vorgesehen. Die Fähigkeit Umwelteinflüsse aufzunehmen und in das eigene Verhaltensrepertoire zu integrieren, ist der Schlüssel, um sich auf eine sich wandelnde Welt einzustellen. Das ist der Grund, warum der Mensch so erfolgreich war, alle Habitate auf diesem Planeten zu besetzen. Deswegen findet der Mensch immer wieder neue Rezepte für neue Herausforderungen. Deswegen benutzen wir heute Energiesparlampen statt Glühbirnen. Deswegen werden unsere Autos in hundert Jahren nicht mehr mit fossilen Brennstoffen angetrieben werden. Es ist diese Anpassungsfähigkeit, die Menschen so erfolgreich macht.

      Beim Sport entwickelte ich Ehrgeiz. Ich musste lernen mich zu quälen. Nur mit Fleiß, Ausdauer, Leidensfähigkeit, Hartnäckigkeit, Sturheit und anderen Eigenschaften, die alle zu entwickeln waren, kam ich mit meinem Training bis zu den Deutschen Meisterschaften. Durchhalten viel mir zunehmend leichter, je mehr Erfolg ich hatte. Der Erfolg war eine höchst befriedigende Belohnung für meinen manchmal bedingungslosen Einsatz. Der Genuss des Erfolgs war so intensiv, das selbst die Aussicht auf einen Erfolg euphorisierte. So wurde auch die Quälerei selbst zum Genuss und der Weg zum Ziel. Ich liebte die Spannung auf dem Weg zu einem Ziel. Die Ungewissheit ein Ziel wirklich zu erreichen, trieb mich an, immer neue Pläne zu entwerfen. Ich wollte Sicherheit. Bereits mein Aktionismus gab mir einen süßen Vorgeschmack auf die Bedeutung, die da durch mein engagiertes Handeln entstehen konnte.

      Bestärkt nie aufzugeben, wurde ich auch von dem Vorbild eines Ruderers aus einem Nachbarort, den ich ein bisschen persönlich kannte. Er hatte olympisches Bronze gewonnen. Als Kind war ich extra nur zum Empfang des erfolgreichen Olympioniken durch den Bürgermeister gefahren, um von meiner Medaille zu träumen. Ich hatte die gleichen Rahmenbedingungen. Wieso sollte ich nicht das gleiche Ziel erreichen? Es lag nur an mir, diese Chance anzunehmen. Ein Jahr später entschied ich mit meinen Eltern, das Rudern durch Schwimmtraining zu ersetzen. Das schien uns die bessere Strategie zu sein, weil es mir besser lag. Ich fand einfach nicht die Harmonie in einem Team, wollte immer einen schnelleren Rhythmus als der Schlagmann vorgab und hatte doch die schlechteste Technik.

      Gerade die durch den Sport entwickelten Eigenschaften machen mich so glücklich, weil ich ohne sie an mancher Herausforderung im Studium und im Beruf gescheitert wäre. Ich habe in meinem Leben soviel erlebt, weil

Скачать книгу