INDOCHINA. Der lange Weg nach Dien Bien Phu. Thomas GAST
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Zum Zeichen, dass er verstanden hatte, streckte Montag seinen Daumen in die Höhe und zielte zwei Handbreit über dem Boden genau in die Mitte des Pferches. Dann wartete er mit angehaltenem Atem auf das Zeichen. Doch noch zögerte der sergent. Irgendetwas stimmte hier nicht. Er schob sich den chapeau de brousse, den von der Sonne ausgebleichten Dschungelhut tief in den Nacken und wirkte recht unentschlossen. Am liebsten hätte er sich eine Zigarette angesteckt, doch aus Erfahrung wusste er, dass dies seine Letzte hätte sein können. Ein feindlicher Scharfschütze konnte überall stecken. Der Qualm hätte nur seine Position verraten und vielleicht den ganzen Auftrag infrage gestellt. Normalerweise hätte er nicht gezögert, das Dorf einfach anzugreifen, doch an seinen Unterarmen sträubten sich die Haare, was für ihn ein deutliches Zeichen war, dass dieser Tag noch einige Überraschungen bergen sollte. Nguyen Van Day, ein freiwilliger vietnamesischer Fallschirmjäger, ging lautlos neben den beiden in Stellung. Montag hatte ihn weder kommen hören, noch hatte er eine Bewegung gesehen.
»Was denkst du, Nguyen?«
Der kleine Vietnamese zuckte mit der Schulter.
»Sie sind da! Sie beobachten uns!«
»Und was werden sie tun?«
Nguyen grinste. »Wenn wir uns nicht beeilen, werden sie das tun, was sie bisher immer getan haben. Sie liefern ein kurzes Feuergefecht und weichen dann aus. Sie nehmen den Kampf nicht an, weiß der Teufel warum, aber ...«
»Aber was? Sag schon.«
»Irgendwie hab ich das Gefühl, dass etwas geschieht. Heute. Hier. Kann ich nicht weiter erklären.«
Irritiert schaute der sergent auf seine Uhr. Es war genau Mittag, Zeit also, an die leeren Bäuche seiner Legionäre zu denken. Er blickte zurück, auf die von der Sonne gebräunten, ungeduldigen Gesichter, dachte daran, wie alles begonnen hatte. Sie waren am 02. Juni, 1949 in der Plaine des Joncs südöstlich von Phnom-Penh abgesprungen. Es war der erste Gefechtssprung einer Kompanie des 2. BEP im Extrême-Orient überhaupt. Die Plaine des Joncs, die Ebene der Riedgräser oder Ebene der Binse, lag teils trocken, teils schwammig in der rasch untergehenden Sonne. Nur einigen wachsamen Legionären fiel auf, dass ein Schwarm Saruskraniche sie dabei beobachtet hatte. Ihre blutroten Köpfe verhießen nichts Gutes. Saruskraniche waren Symbol für Glück und Langlebigkeit.
Glück und Langlebigkeit?
Sicher, aber nur für die Vietnamesen.
Fremdenlegionäre wurden in diesem Land scheinbar nicht alt. Nach dem Sprung ging alles sehr schnell. Man sammelte sich am Boden: die eigentliche Operation, die darauf abzielte Ausbildungslager und Waffen- und Munitionsdepots ausfindig zu machen und die Basiscamps der Vietminh im zugewiesenen Sektor zu zerschlagen, konnte beginnen. Das Gebiet, in dem der Feind lauerte und jede ihrer Bewegungen beobachtete, lag etwa fünfunddreißig Kilometer südwestlich von Saigon und war nur einen Katzensprung von Kambodscha entfernt.
Vorbereitung für einen Hinterhalt.
So marschierten sie die ganze Nacht und den Morgen darauf. Die Nerven gespannte wie Drahtseile, hatten die Legionäre nichts oder nur ganz wenig zu sich genommen, denn die Rationen, die man ihnen gegeben hatte, waren verfallen. Das ganze Zeug war verdorben, ungenießbar. Bis zum 07. Juni war es jeden Tag dasselbe Spiel. Wecken vor Sonnenaufgang. Ein schneller Kaffee, etwas trockenes Brot mit Hartkäse in Dosen und schon waren sie wieder unterwegs. Signalisierten ihnen die vietnamesischen Fallschirmjäger ein Dorf, schwärmte die Kompanie sofort aus. Ein Zug umging im Laufschritt weitläufig den Ort und sicherte Zufahrtswege und Pisten, die dem Feind dazu dienen könnten, sich zu lösen. Innerhalb von Minuten wurden in diesen Abschnitten Hinterhalte angelegt. Ein weiterer Zug brachte sich in Schussweite zum Dorf in Stellung und der Rest der Kompanie drang in dieses ein. Alles geschah ohne Hektik, schnell und lautlos. Die Kompanie funktionierte wie ein Mann, wie eine gut geölte Maschine. Aber der Vietminh wusste Bescheid. Bestens über ihr Kommen informiert, spielte er Verstecken. Da, wo gerade eben noch ganze Banden von Vietminh gemeldet waren, fanden sich nur noch vage Spuren. Der Feind löste sich jedes Mal in Luft auf, sobald man sich den Dörfern näherte. Man fand Karten, schwere Waffen und ganze Kisten mit Munition, Material also, dass den Vietminh auf seiner Flucht nur behindert hätte, doch bis dato war die Operation ein Schlag ins Wasser. Erst spät, als die Nacht längst fortgeschritten war, kamen die Legionäre zur Ruhe.
Legionäre des 2. BEP bei Kämpfen an der RC 6, (Kolonialstraße 6).
Des Nachts wurden rund um das Biwak Sonettes, vorgezogene Alarmposten ausgelegt, die gespannt in die Dunkelheit lauschten. Es war eine nervenaufreibende Angelegenheit, weil der Feind immer und zu jeder Zeit plötzlich vor einem stehen konnte und weil nachts sich alles zu bewegen schien. Nur man selbst durfte sich kaum von der Stelle rühren. Dann plötzlich änderte der Vietminh seine Taktik, fiel Tag und Nacht wie ein gereizter Wasserbüffel über die Kolonnen der Legion her, nur um dann doch wieder auszuweichen. Bereits bei den ersten Kämpfen in der Gegend um Cay-Vong gab es Tote und Verwundete. Die Toten wurden noch vor Ort begraben, jedoch mussten für die Verwundeten Tragbahren angefertigt werden. Das Vorankommen in den Sumpfgebieten erwies sich als extrem schwierig. Teilweise reichten das Wasser und der braune Schlamm den Legionären bis über die Hüften. Im Nachhinein konnte niemand sagen, für wen die Strapazen größer waren. Für die Träger, die mühsam das Letzte aus sich heraus holten um keinen Kameraden zurückzulassen oder für die Verwundeten, die mit dem Schmerz, hervorgerufen durch die teils schrecklichen Verletzungen zu kämpfen hatten. Hinzu kam die Ausrüstung. Die musetten, das kleine Sturmgepäck, vollgepackt mit Munition, Gewehr- und Handgranaten, die Waffen, Stahlhelme und Wasserflaschen, Verbandszeug, Zeltplanen, Funkgeräte und, und, und. Alles musste getragen werden. Dazu war es drückend heiß und die Moskitos waren Tag und Nacht eine Plage. Ganze Kolonnen roter bissiger Ameisen fielen über die Legionäre her und überall wuchs Schilfrohr, überall war Morast und Wasser, Wasser, Wasser. Am besagten 07. Juni wandte sich das Blatt. Unweit von Cai-Lay und das spürte der drahtige sergent, der so viel von Montag hielt, dass er ihn zum Gewehrgranatenschützen auserkoren hatte, waren sie da. Zwischen dem Kanal Tong-Doc-Loc und dem Ort Cai-Lay dominierten Reisfelder die Landschaft bis zum Horizont. Sumpf, Kanäle, weites offenes Gelände. Es war eine Affenhitze. Schwül, feucht drückend brachte auch der ständig wehende Ostwind nicht die erhoffte Erleichterung. Die Legionäre, noch nicht richtig akklimatisiert, waren erschöpft müde und hungrig. Wenn alles gut ging, würde wohl bald eines der Schweine die es im Dorf sicherlich gab, ihre Töpfe und danach die Bäuche füllen. Dann konnte man auch etwas Schlaf bekommen.
Der sergent stieß einen Pfiff aus, hob seine Hand und ließ sie im Bruchteil einer Sekunde wieder sinken.
»Vorwärts. À l'assaut!«
Karlheinz Montag riss am Abzug, während die beiden Scharfschützen nach jeder noch so kleinsten Bewegung Ausschau hielten und das MG losratterte. Gleichzeitig erhob sich der Sturmtrupp und sprang los. Caporal Koesiling hatte Pech. Sein Gewehrriemen verhedderte sich und noch während er versuchte, sich loszureißen, indem er an dem Strauch zerrte, an dem er hängengeblieben war, wurde er von einer Maschinengewehrsalve fast in zwei Teile zerrissen. Er war sofort tot, der Krieg, der noch gar nicht richtig begonnen hatte, für ihn zu Ende. Noch im Laufen warf sergent Bouger eine Handgranate und schoss dann eine Garbe aus seiner Mat-49 genau auf die Stelle, von der ihm plötzlich Mündungsfeuer entgegenschlug. Die Legionäre stürmten von Deckung zu Deckung, drangen gewaltsam in die Hütten ein, wo sie von einer brüsk eingetretenen Stille empfangen wurden.