INDOCHINA. Der lange Weg nach Dien Bien Phu. Thomas GAST

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INDOCHINA. Der lange Weg nach Dien Bien Phu - Thomas GAST

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diese Blutspuren. Ein Schrei, dem ein trockenes Würgen folgte, ertönte vom Hinterhof. Man stürmte hinaus, wollte sehen, was geschehen war. Der belgische Legionär, der draußen stand, hatte einen Gummizug um seinen Stahlhelm US-M1, doch anstatt des üblichen Verbandpäckchens war dort eine blaue Schachtel Gauloises de troupe zu sehen – schwarzer, starker Tabak, gerollt in gelben Papier, nach der er nun mit zitternden Fingern griff.

      »Fuck it. Schaut mal da hin.«

      Er nickte in eine dunkle Ecke, die im Schatten hoher Bäume lag. An Pfählen, die der Vietminh in den Boden gerammt hatte, standen aufrecht zwei Soldaten. Die Arme weit über ihren Köpfen hatte man sie mit Lederriemen festgebunden. Sie waren nackt und blutüberströmt. Die weit aufgerissenen Augen, in denen kaum ein Funke Leben mehr zu erkennen war, sprachen von unmenschlichen Qualen, von einer Barbarei ohnegleichen. Ihre Füße bis hoch zu den Oberschenkeln waren eine einzige zerfleischte Wunde, aus der zerfetztes Fleisch, zerrissene Venen und scharfe Knochensplitter hervorragten. Nguyen deutete auf ein halbes Dutzend schwarz-gelb gefleckter Schweine, die etwas weiter entfernt standen und neugierig zu ihnen herüber äugten.

      Sergent Bouger dämmerte es.

      »Sie haben die Schweine an ihren Füssen fressen lassen?«

      Ein Legionär übergab sich ohne Scham, während der sergent seine Maschinenpistole auf die Tiere richtete und das Feuer eröffnete. Später sollten sie feststellen, dass zwei der gefleckten Vierbeiner jeweils eine Erkennungsmarke an einer Schnur um den Hals trugen. Wie zum Hohn.

      Bouger trat näher und erkannte an der Gravur, dass es sich bei den Opfern um Soldaten der französischen Marine handelte. Die beiden galten bereits seit einigen Tagen als vermisst, gefangen während einer anhaltenden blutigen Operation in der Nähe des Vaico Oriental Flusses, 25 Kilometer westlich von Saigon. Ihr Landungsboot hatte während der Kämpfe die Granate einer Bazooka abbekommen. Die beiden Soldaten, noch jung und relativ unerfahren, waren vor lauter Angst in den Fluss gesprungen, wo die Vietminh sie nur noch herausfischen mussten.

      Bouger rümpfte die Nase. »Dieser Krieg wird mir langsam unheimlich. Bindet sie los und begrabt sie.«

      Eine gutturale Stimme ließ Montag, der neben Bouger getreten war, herumfahren. Die MAS-36 im Anschlag, den Finger am Abzug, schlug sein Herz heftig in der Brust. Die Frau war halb nackt. Hinter ihr drängten andere Frauen und Kinder aus ihrem Versteck, einer überdeckten gut getarnten Kuhle im Boden. Aus großen Augen starrten sie den Legionären entgegen. Sie hatten Angst, zitterten am ganzen Leib.

      »Wo sind die Männer?«, fragte Bouger gereizt.

      Als der sergent keine Antwort erhielt, zeigte er auf ein Mädchen von höchstens fünfzehn Jahren und gestikulierte wild.

      »Du. Die Männer. Wo sind sie hin?«

      Er dachte an die beiden toten Marinesoldaten und verzog hasserfüllt sein Gesicht. An Montag gerichtet, sagte er.

      »Hey Boche, erschieß das Mädchen.«

      Er hatte, während er dies sagte, seine Stimme kaum erhoben, meinte es jedoch ernst. Montag war, als hätte ihm jemand einen Schlag ins Gesicht versetzt. Er riss seine Augen weit auf und schüttelte schließlich ganz energisch den Kopf.

      »Augenblick, sergent. Ich führe keinen Krieg gegen Weiber. Lieber fünf Jahre Toiletten schrubben oder mit zentnerschweren Rucksäcken Kreise drehen, als jemals Hand an eine Frau legen.«

      Er wich keinen Zentimeter von seiner Position ab, auch dann nicht, als der sergent nach seinem Colt griff, diesen durchlud und sich damit vor den Saarländer aufbaute. Einige Legionäre hatten sich inzwischen genähert. Auch sie trauten ihren Augen und Ohren kaum. Schließlich war es Nguyen der die Lage entspannte.

      »Sergent, zeigen Sie Großmut. Die Frauen wissen nicht, wo ihre Männer sind. Und wüssten sie es, würden sie es uns nicht auf die Nase binden.«

      Seine Stimme drückte unmissverständlich aus, was alle dachten.

      »Man wird uns alle nach Colomb Béchar schicken, wenn wir anfangen, Frauen zu erschießen«, meinte Karlheinz Montag, der den Lauf seiner Waffe inzwischen gesenkt hatte. »Wir sollten lieber nach Spuren suchen. Vielleicht…«

      Er hielt inne und legte den Kopf weit in den Nacken. Zwei Maschinen der Luftwaffe donnerten über ihre Köpfe hinweg. Einige Kilometer weiter entfernt ertönten gewaltige Explosionen, die Erde bebte. Nguyen schüttelte langsam den Kopf.

      »Sie brechen aus. Die Angst sitzt ihnen im Nacken. Niemand kann sie mehr einholen.«

      Nguyen sollte Recht behalten. Unter heftigen Gefechten löste sich der Vietminh vor der Flut der heranrückenden Paras der Legion. Enorme Verluste einsteckend, brach er aus und verschwand im Nirgendwo. Nach Osten, wie man später besser wusste. Sämtliche Versuche, den Feind zu stellen, waren vergeblich und auch ein weiterer Gefechtssprung nahe Bao-Cong, am 16. Juni, brachte nicht den gewünschten Erfolg, den der französische Stab sich von dieser groß angelegten Operation mit dem klangvollen Namen Tan-My erhofft hatte. Nach der Operation folgte für das Bataillon eine Phase, die etwas ruhiger war. Eigentlich konnte man damals von einem Bataillon im herkömmlichen Sinn kaum reden, denn die Kompanien des 2. BEP operierten räumlich wie zeitlich voneinander getrennt. Untergebracht waren sie in Orten mit so klangvollen Namen wie Kompong-Speu, Kompong-Luong, Ta-Khmau oder Kep. Sie alle befanden sich im Großraum Phnom-Penh, Sihanoukville oder an den Ufern des Tonlé-Sap, eines fischreichen Sees nahe bei Ankor Wat, einer der größten Tempelanlage von Kambodscha. Diese südliche Region, ein einziges gewaltiges Gewächshaus, war das Einzugsgebiet des Mekong. Weiße, knorrige Ochsen mit Höckern grasten auf saftigen Weiden, bunte, auf Stelzen errichtete Hütten mit farbigen Geisterhäusern verzierten die Landschaft. Plantagen mit diversen orientalischen Früchten sowie auch Zuckerrohr und Kokospalmen waren omnipräsent, vermischten sich mit sanft grünen Hügeln. Die Hauptverkehrswege bildeten die Flüsse. Rachs, künstliche Kanäle prägten weit verzweigt die Landschaft. Auf stillen Seen wuchsen lilafarbene Lotusblumen, während an ihren Ufern teils noch unbekannte Vögel brüteten. Doch diese Idylle war irreführend, denn der immer brutaler werdende Guerillakrieg draußen in den Reisfeldern nahm wöchentlich zu. Ein Hinterhalt hier, ein Handstreich dort, den Legionären blieb kaum Zeit, ihre Kantinen und Seesäcke richtig auszupacken. Neben den Kampfeinsätzen stand auch der langweilige aber notwendige Dienst in den verschiedenen Garnisonen an: Wache, Aufräumarbeiten, Einrichten der Unterkünfte, O.S. (Ordre Serré, Marsch mit Gesang). Alte Mauern wurden hier abgerissen, andere dort neu hochgezogen und weiß angestrichen. Man schliff Ecken und Kanten rund, bediente sich der fast unerschöpflichen menschlichen Qualität und der verschiedenen Berufe und Erfahrungen der Legionäre. Es folgten fein ausgeklügelte Manöversprünge und Ausbildung an Waffen und Gerät. War die taktische Gefechtsausbildung aufgrund der Erfahrung der Gruppen- und Zugführer - viele hatten sich bereits im Zweiten Weltkrieg oder auf anderen Schlachtfeldern ihre Sporen verdient, zwar ein wichtiges Element, so sollte man nicht vergessen, hinzuzufügen, dass vor allem die jungen Legionäre sich ihre Erfahrungen doch fast ausschließlich im Einsatz holten und dies fast auf einer täglichen Basis. Sport wurde in den Einheiten betrieben, wann immer es ging. Im Gelände und um die kleinen Außenposten der Franzosen, sowie im Laufe der unzähligen Patrouillen tauchte der Vietminh immer dann auf, wenn man ihn am wenigsten erwartete. Er schlug blitzartig zu und verschwand ebenso schnell wieder im Gewirr der Kanäle, der Wälder und der bis zum Horizont reichenden Reisfelder. Dabei hinterließ er jedes Mal einen bitteren Nachgeschmack, Tote und Verletzte und das wiederum schürte Hass.

Bild 9

       Das 2. BEP marschiert an zwei Aufklärungsflugzeugen ´Fieseler Storch` vorbei.

      Es

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