Vermisst in Nastätten. Ute Dombrowski
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Читать онлайн книгу Vermisst in Nastätten - Ute Dombrowski страница 8
Je näher sie sich kamen, umso häufiger wollte er wissen, was sie machte und wohin sie ging. Er kontrollierte sie auf Schritt und Tritt, auch mit ihrem Handy in der Hand hatte sie ihn schon erwischt. Aber statt sich zu entschuldigen, war er grob gewesen und hatte ihr gesagt, dass sich jetzt Einiges ändern würde. Sabine wusste nicht, wie ihr geschah, denn Robert entpuppte sich zunehmend als Egoist und benahm sich wie ein Sklaventreiber mit Kontrollzwang.
„Ich muss mit jemandem reden“, sagte sie.
Dann hörte sie die Tür und zitterte wieder vor Angst. Ab morgen hatte sie nicht mal mehr einen Job. Aber dann fiel ihr das Treffen am Donnerstag ein und sie atmete auf. Sie würde den Frauen sagen, was los war, aber vorher musste sie Michelle in Sicherheit bringen.
6
Es war still, ungewöhnlich still, als Undine am Mittwochmorgen ihre Augen öffnete. Neben ihr lag Reiner, der gestern keine Lust mehr gehabt hatte, nach Hause zu gehen. Er wollte heute sowieso später ins Büro, also hatten sie beschlossen, gemeinsam zu frühstücken und den Tag stressfrei angehen zu lassen.
Undine schloss die Augen wieder, denn es war dunkel. Zorro war auch noch nicht nach oben gekommen, also konnte es nicht Morgen sein. Sie kuschelte sich vorsichtig an Reiner, doch der Schlaf wollte nicht zurückkehren.
Seufzend schlüpfte sie aus dem Bett und ging zum Fenster. Dort zuckte sie zusammen, denn im Licht der Straßenlaterne sah sie, dass alles weiß war.
Uh, dachte Undine, es hat geschneit. Eine unbändige Freude breitete sich in ihrem Bauch aus, denn sie liebte Schnee über alles. Am liebsten hätte sie Reiner geweckt, schaute aber erstmal auf den Wecker. Es war drei Uhr.
„Schneie weiter!“, flüsterte sie und ging nun doch wieder ins Bett.
Drei Stunden später piepte der Wecker nervtötend und Undine saß sofort aufrecht im Bett. Sie rüttelte an Reiner, der grunzend die Bettdecke über seinen Kopf zog.
„Warum bist du denn so munter?“
„Es hat geschneit!“
„Träum weiter. Es waren doch kaum Wolken am Himmel und hier schneit es sowieso nie.“
Undine sprang aus dem Bett und schaute abermals aus dem Fenster. Ihr Herz klopfte vor Vergnügen, denn alles war weiß. Die Dächer, die Wege, die Straße - alles präsentierte sich mit einer dicken Schicht Puderzucker.
„Es liegt richtig viel Schnee! Komm und sieh es dir selbst an!“
Reiner stöhnte, setzte sich auf, schwang die Beine aus dem Bett und kam zu Undine.
„Ach du Scheiße“, brummte er, als er sah, dass ein Auto in Zeitlupe die Straße hochfuhr. „Das kann ja heiter werden.“
„Bleib zuhause, es ist doch gar nichts los. Wir gehen spazieren und machen eine Schneeballschlacht und …“
„Ich hasse Schnee!“, unterbrach Reiner Undines Planung.
„Ich liebe Schnee!“
„Es kann ja gerne links und rechts von der Straße Schnee liegen, aber nicht auf ihr. Die Leute fahren bei Schnee wie die ersten Menschen und ich werde eine Stunde nach Sankt Goarshausen brauchen. Nichts ist geräumt und das um sechs Uhr! Schau dir das an!“
Undine boxte Reiner auf den Oberarm.
„Ich lasse mir die Freude nicht verderben. Jedenfalls ziehe ich mich sofort an und gehe mit Zorro. Wir bringen Brötchen mit. Und nach dem Frühstück seife ich dich ordentlich mit Schnee ein.“
Reiner winkte ab und ging ins Bad, um sich zu rasieren. Er grollte immer noch, denn er hasste dieses Wetter wirklich sehr. Oft genug hatte er im Stau gestanden und war nicht vorangekommen. Dann musste er den Trotteln helfen, die von der Straße gerutscht waren, weil sie noch mit Sommerreifen unterwegs waren. Er konnte ja schlecht vorbeifahren als Polizist.
Undine pfiff unten fröhlich vor sich hin und einen Moment später klappte die Tür. Er schaute in den Hof und sah Zorro voller Lebensfreude durch die weiße Pracht springen.
„Ich muss auch noch nach Hause Schnee schieben. So ein Mist. Blöde zwei Haushalte.“
Seit ein paar Wochen wohnte er allein im Haus, denn der junge Mann aus dem Dachgeschoss war weggezogen. Die ältere Familie, die im Obergeschoss gewohnt hatte, lebte schon zwei Monate in einem Seniorenheim am Rhein. Bisher war er keinem Mietinteressenten begegnet und es konnte auch gern so bleiben.
Schlecht gelaunt zog er sich an und schrieb Undine einen Zettel. Er wollte nicht einfach so verschwinden, aber wenn er wartete, bis sie wieder zurück war und dann noch mit ihr frühstückte, wäre vor seinem Zuhause alles festgetrampelt. Unterwegs sah er einen Mann, der unter einer Straßenlaterne stand und auf sein Handy starrte. Es schneite nicht mehr, aber er hielt eine Hand über das Display. Als er Reiner sah, wollte er weitergehen, überlegte es sich dann anders.
„Entschuldigung, wo ist denn die Schwalbacher Straße?“
Er hatte einen Akzent, den Reiner nicht zuordnen konnte. Ein Fremder in Nastätten? Morgens um halb sieben? Der Mann sah gepflegt aus, trug einen schwarzen Mantel und hatte den Kragen hochgeschlagen. Ein dunkler Bart zierte sein Gesicht, die Augen waren hellgrau oder blau.
Reiner sah sich um und begann zu erklären, wie der Mann in die Schwalbacher Straße kommen konnte, war aber neugierig und fragte, was der Mann um diese Zeit hier machte.
„Ich muss jemanden abholen, mein Auto steht dort hinten. Aber irgendwie habe ich die Orientierung verloren, weil hier alles nur noch weiß aussieht.“
„Ich hasse Schnee auch!“, rief Reiner, aber der Fremde schüttelte den Kopf.
„Ich mag Schnee, aber heute stört er. Es ist eine dienstliche Fahrt und da wäre es peinlich, wenn ich mich nicht zurechtfinde. Danke für die Auskunft.“
Reiner nickte und sah dem Fremden hinterher.
„Harmlos. Ich sehe schon hinter jeder Laterne einen Mörder stehen. Mann, Mann, Mann.“
Er stapfte weiter durch den Schnee und wunderte sich nicht, dass sein Nachbar Paul schon gefegt hatte. Wie immer war Paul korrekt und ordentlich. Ob er sich nachts einen Wecker stellte, um immer auf alles vorbereitet zu sein?
Reiner suchte im Keller nach dem Schneeschieber und begann seine Arbeit. Das kratzende Geräusch war laut und im nächsten Moment gingen mehrere Lichter in der Straße an.
Irgendwo schrie eine Frau: „Ach du Scheiße! So ein Dreckszeug!“
Reiner nickte nur, konnte er ihr doch unbenommen zustimmen. Eine halbe Stunde später war er fertig und räumte den Schneeschieber zurück in den Kellereingang. Dort stand ein Eimer mit Streusalz, aber es war hart und grau. Er stocherte mit der kleinen Schippe so lange darin herum, bis sie abbrach. Laut fluchend knallte er den Eimer auf die Fliesen. Dabei platzte der Boden des Eimers ab und das Salz ergoss sich in den Kellereingang.