Pamela, oder die belohnte Tugend. Samuel Richardson
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Mrs. Jervis musste auch weinen, als ich ihr unter Tränen davon erzählte und sie um Rat bat, was ich nun tun solle. Ich zeigte ihr die beiden Briefe meines Vaters. Sie lobte ihre hohe Moral und ihren Schreibstil und sprach sehr wohlwollend über Euch. Sie bat mich aber, meine Stelle nicht aufzugeben.
"Nach aller Wahrscheinlichkeit", so sagte sie, "hat Euer tugendhaftes Verhalten ihn so beschämt, dass er Euch nie wieder etwas in dieser Art antun wird. Gleichwohl bereitet mir Eure Schönheit die meisten Sorgen. Denn auch der ehrbarste Mann in diesem Land könnte sich in Euch verlieben."
So sprach sie zu mir in ihrer Güte. Am liebsten wäre es ihr, sagte sie, in Unabhängigkeit zu leben, dann würde sie in ein kleines Privathaus ziehen und mich dort wie eine Tochter aufnehmen.
Und weil Ihr mich angewiesen habt, auf ihren Rat zu hören, habe ich beschlossen, darauf zu warten, wie die Dinge sich entwickeln, sofern er mich nicht wegschickt; obgleich Ihr in Eurem ersten Brief mir auftrugt, von hier fortzugehen, wenn die Lage bedrohlich erscheint. Ich hoffe also, liebe Eltern, dass es kein Ungehorsam ist, wenn ich bleibe; denn ich verdiente weder Euren Segen noch die Früchte Eurer Gebete, wenn ich ungehorsam wäre.
Den ganzen nächsten Tag über war ich sehr traurig und setzte mich daran, meinen langen Brief zu schreiben. Er sah mich beim Schreiben und sagte (wie ich erwähnt habe) zu Mrs. Jervis:
"Dieses Mädchen ist ständig am Kritzeln. Mir scheint, sie könnte eine bessere Beschäftigung finden."
Oder etwas in der Art. Als ich meinen Brief beendet hatte, steckte ich ihn unter den Frisiertisch in der Kammer meiner seligen Herrin, wohin niemand kommt außer ich und Mrs. Jervis sowie mein Herr; aber als ich zurückkehrte, um ihn zu versiegeln, war er zu meinem Schrecken verschwunden; Mrs. Jervis wusste nichts darüber. Und niemand konnte mir sagen, ob mein Herr zu dieser Zeit nahe bei diesem Ort gewesen sei; und so war ich darüber sehr besorgt. Aber ebenso wie ich ist auch Mrs. Jervis der Meinung, dass er den Brief, in welcher Weise auch immer, an sich genommen hat. Er wirkt unzufrieden und ergrimmt und scheint mir aus dem Weg zu gehen, gerade so wie er es von mir sagte. Besser so als noch schlimmer!
Allerdings hat er Mrs. Jervis aufgetragen, mich anzuweisen, nicht so viel Zeit mit dem Schreiben zu verbringen. Es wirft ein schlechtes Licht auf einen Edelmann wie ihn, dass er daran Anstoß nimmt, zumal ich ansonsten nicht müßig bin. Der Grund kann nur sein, dass er mir verübelt, was ich geschrieben habe. Und das kann nichts Gutes heißen.
Ich bin aber um einiges ruhiger geworden, seit ich bei Mrs. Jervis schlafe, auch wenn mich die Furcht, in der ich lebe, und seine grimmige Miene und sein Ärger über das, was ich tue, ganz unglücklich machen.
Ach, hätte ich niemals mein kleines Bett bei Euch auf dem Dachboden verlassen! Ich wäre keinen Versuchungen ausgesetzt und auch nicht dem Abscheu, den sie erwecken! Wie glücklich war ich damals! Wie anders ist es nun! Habt Mitleid mit mir und betet für
Eure leidende Pamela
Brief XIII
Mein liebstes Kind,
dein Leiden und die Versuchungen, denen du ausgesetzt bist, machen unsere Herzen bluten. In jeder Stunde beten wir für dich, und wir ersuchen dich, dem Haus und dem frevelhaften Mann zu entfliehen, wenn er dir wieder zu nahe kommt. Du hättest dies gleich tun sollen, wäre nicht Mrs. Jervis, die dir anders geraten hat. Wir können bisher keinen Fehler in deinem Verhalten finden, doch die Furcht vor dem Schlimmsten lässt uns erzittern. Ach, mein Kind! Versuchungen sind etwas Schreckliches, und doch, ohne sie kennen wir uns weder selbst noch wissen wir, wozu wir imstande sind.
Die Gefahr ist groß, denn du musst dem Reichtum, der Jugend und der Schönheit eines Edelmanns widerstehen. Doch welche Ehre erlangst du, wenn dir das gelingt! Und wenn wir dein bisheriges Verhalten und deine gute Erziehung bedenken, und dass du angeleitet wurdest, dich der Ehrlosigkeit mehr zu schämen als der Armut, dann vertrauen wir in Gott, dass er dir Kraft gibt, das Übel zu besiegen.
Und doch: Weil die steten Befürchtungen dein Leben zur Bürde machen, und weil es anmaßend wäre, ein zu großes Vertrauen in unsere eigene Stärke zu setzen, und weil du noch sehr jung bist, und weil der Teufel deinen Herrn zu einer List verleiten könnte, wie sie bei vielen großen Herren zu finden ist, um dich zu verführen: So denke ich, du tätest besser daran, nach Hause zurückzukehren, um bei uns in Armut, aber in Sicherheit zu leben, statt voller Angst im Überfluss, der an sich schon etwas Heikles ist. Gott füge für dich alles zum Besten! Dass du Mrs. Jervis als Ratgeberin hast und bei ihr schlafen kannst (was, ach mein liebes Kind, von dir wohl überlegt war), macht uns ruhiger, als wir es sonst wären. Und so empfehlen wir dich dem Schutz Gottes und bleiben
Deine dich liebenden, aber besorgten Eltern
Brief XIV
Lieber Vater, liebe Mutter,
Mrs. Jervis und ich haben die letzten zwei Wochen sehr angenehm miteinander verbracht, denn mein Herr war in dieser Zeit auf seinem Sitz in Lincolnshire und auf dem seiner Schwester Lady Davers. Gestern aber kehrte er zurück. Er sprach bald darauf eine Zeitlang mit Mrs. Jervis, und zwar hauptsächlich über mich. Er sagte zu ihr ungefähr das Folgende:
"Nun, Mrs. Jervis, mir ist bekannt, dass Ihr eine hohe Meinung von Pamela habt. Doch denkt ihr, dass sie für das Haus von irgendeinem Nutzen ist?"
Sie war, so erzählte sie mir, von der Frage überrascht, sagte ihm aber, dass ich eines der tugendsamsten und fleißigsten Mädchen sei, die sie je gekannt hat.
"Warum, bitte, sprecht Ihr von tugendsam?", sagte er. "Könnte man denn annehmen, dass es anders ist? Oder hat sich irgendjemand in den Kopf gesetzt, sie auf die Probe zu stellen?"
"Ich bin erstaunt, Sir, dass Ihr dieses fragt. Wer würde so etwas gegen sie ansinnen, in einem so ordentlichen und gut geführten Haus wie dem Euren und unter einem Herrn, dessen Charakter so viel Tugend und Ehre zeigt?"
"Ich danke Euch, Mrs. Jervis, für Eure gute Meinung von mir. Doch bitte, falls es so jemanden gäbe, denkt Ihr, dass Pamela Euch davon berichten würde?"
"Sir, sie ist ein unschuldiges junges Geschöpf und hat, glaube ich, so viel Vertrauen in mich, dass sie meinen Rat nicht weniger annehmen würde als den ihrer Mutter."
"Unschuldig! Schon wieder; und ganz gewiss tugendsam! Ihr stattet sie im Übermaß mit Vorzügen aus. Ich aber halte sie für ein gewieftes Früchtchen, und hätte ich einen jungen und gut aussehenden Diener oder Haushofmeister, würde sie ihn bald an die Angel nehmen, wenn sie ihn für eine gute Partie hielte."
"Ach, Sir", sagte sie, "Pamela ist noch jung. Ich getraue mich für sie zu sagen, dass sie bisher noch nicht ans Heiraten gedacht hat und dies auch jetzt nicht tut. Euer Haushofmeister und Euer Diener sind beide schon ältere Männer und haben solches nicht im Sinn."
"Wären sie aber jünger, dann wären sie zu klug, um sich auf so ein Mädchen einzulassen. Ich sage Euch, Mrs. Jervis, was ich von ihr halte: Ich glaube nicht, dass sie, die so hoch in Eurer Gunst steht, das unschuldige Mädchen ist, als das Ihr sie anseht."
"Es steht mir nicht zu, mit Euch darüber zu debattieren, gnädiger Herr, ich wage aber zu behaupten, dass sie mit Männern keinen Kummer hätte, würden diese