Schatten der Anderwelt. Thomas Hoffmann
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„Am letzten Tag vor der Abreise hat sie geweint und ich sag zu ihr: „na, bist du's schon leid, mit dem Kaufherrn zu ziehen?“ aber sie schüttelte den Kopf und meinte, sie weine um ihren Freund, der von einer Reise nicht zurückgekommen sei und sie hätte Angst, ihm sei was zugestoßen. Und sie hätte sich so gerne noch von ihm verabschiedet.“
Es tat weh. Eine Flut von Schuldgefühlen brach über Norbert herein. Er hatte ihr versprochen, innerhalb einer Woche zurück zu sein. Er biss sich auf die Lippen und zog Rotz hoch, um seine Tränen zurückzuhalten. Der teiggesichtige Mittfünfziger blickte von seinem Frühstück auf. Seine Stimme klang unangenehm und verhalten, als müsse er jedes Wort aus sich herausquetschen.
„Sag mal, junger Mann, du bist doch der Norbert Lederer, oder irre ich mich? Ich hab dich gestern gesehen, mitten im Dämonenfeuer.“
Sabinchen hielt sich die Hände vor den Mund und starrte Norbert mit großen Augen an. Norbert nickte achselzuckend. Die Köchin stemmte die Hände in die Hüften. Sie schien diese Geste zu lieben.
„Der bist du? Und dich hat die dumme Gans fahren lassen? Den Schüler des großen Dämonologen? Da hätte sie ja bloß noch ein paar Jährchen zu warten brauchen, bis du selber steinreich wirst! Stattdessen fährt sie mit einem reich gewordenen Straßenräuber ans Ende der Welt bis in die Nordberge! Na, ich hätt' mir ja überlegt, wer da die bessere Partie gewesen wäre!“
Es war nie sein oder ihr Ziel gewesen. Hätte er sie fragen sollen?
„Wo liegt dieser Ort, wo sie hingezogen ist?“ wollte Norbert wissen, als könnte die Ortsbeschreibung sie aus der Ferne wieder in seine Nähe bringen.
Die Köchin gab Grütze in eine Schale, tat aus der Pfanne auf dem Herd Rührei auf einen Teller und stellte beides vor Norbert hin.
„Da, frühstücke ein wenig. Damit hätt' ja niemand gerechnet, dass wir hier am Morgen so hohen, unerwarteten Besuch bekommen.“
Sie setzte sich zu Norbert an den Tisch.
Zu dem teiggesichtigen Diener sagte sie: „Wo liegt Stegersting, Konrad? Als gelehrter Hausverwalter, der hier die Bücher führt, musst du so was doch wissen!“
Norbert wollte Teller und Schale wegschieben, aber sein Magen sagte ihm, dass er ein Frühstück bitter nötig hatte, um irgendwie über diesen Tag zu kommen. Lustlos begann er zu essen.
„Stegersting,“ erklärte der Mittfünfziger mit seiner unangenehm gepressten Stimme, „liegt im hohen Findelgebirge, das ist ein östlicher Hochgebirgsausläufer der Nordberge. Die Stadt liegt im Hauermannstal nahe der dortigen Silberminen. Das berühmte Stegerstinger Silber wird dort geprägt.“
Der Hausverwalter richtete seinen trüben Blick auf Norbert. Er schien zu erraten, was den Jungen beschäftigte.
„Bis nach Stegersting reist man von Trümmelfurt aus an die vierzig Tagereisen. Also von hier aus zwischen fünfzig und sechzig Tagereisen. Der Kaufmann Ulf Jörgsdohn wird ein Vierteljahr unterwegs sein, bevor er wieder zu Hause in Stegersting ist. Die kaiserlichen Botenreiter sind natürlich schneller.“
Warum musste es sie denn gleich ans Ende der Welt verschlagen? Und er hätte sich ihre Nähe so sehr gewünscht, jetzt, wo alles zusammengebrochen war.
„Junger Mann, hör mal,“ meinte die Köchin, „wenn du der Schüler von diesem Anton Dreyfuß bist, dann kannst du uns doch von dem grausigen Spuk befreien, der dieses Haus heimsucht. Hier geht nachts ein Poltergeist durchs Haus, lässt Bilder von den Wänden fallen, rückt Möbel, zerbricht Vasen und Krüge. Wir stehen alle schreckliche Angst aus. Der gnädige Herr wird es dir sicher gut bezahlen.“
Das Gesicht des Verwalters, der der Köchin schweigend zugehört hatte, sah nicht so aus, als wäre er von ihrer zuletzt genannten Vermutung überzeugt. Norbert schüttelte den Kopf, während er den Rest Rührei vom Teller kratzte. Einen Schwarzalb bekämpfen! Alleine, ohne den Meister. Er hatte jetzt keinen Kopf für derart riskante Unternehmungen. Eigentlich war ihm alles egal.
„Nein, so weit bin ich in Dreyfuß‘ Lehre nicht gekommen. Ich hab ihm ja immer nur assis... assis..., na, eben nur geholfen. Die Dämonenaustreibungen hat der Meister gemacht.“
„Du hast ganz alleine das dämonische Feuer besiegt, das beinahe die gesamte Stadt aufgefressen hätte,“ protestierte die Köchin, „und so ein elender Poltergeist soll dir zu stark sein? Ich versteh ja, dass du traurig bist wegen der Melanie, und sie war ja auch ein bildhübsches Ding, aber überlege es dir, hörst du? Komm heute Abend wieder, dann ist der Ratsherr da. Sprich mit ihm. Er lohnt es dir sicher gut.“
Den letzten Satz sagte sie mit einem strengen Blick gegen den Verwalter, der stumm der Unterhaltung folgte. Norbert stand auf.
„Also, vielleicht – nein, ich glaub nicht. Vielen Dank für das Frühstück. Wenn...,“ er drängte Tränen zurück, „wenn noch eine Nachricht von Melanie kommen sollte, bitte, gebt im Eisernen Heinrich Bescheid. Da bin ich manchmal.“
Den Schwarzen Raben nannte er lieber nicht. Er wusste, dass Gordons Schänke in der Stadt verrufen war.
„Ja, Junge,“ antwortete der Verwalter. „Überlege dir das mit der Geisteraustreibung. Der Ratsherr wird ab der sechsten Stunde nach Mittag im Haus sein.“
An dem abgöttisch staunenden Sabinchen vorbei ging Norbert zur Hintertür hinaus.
Vor der Toreinfahrt blieb er stehen. Seine Glieder waren schwer, als ob Gewichte an ihnen zerrten.
Aus. Vorbei. Alles aus. Stern meiner Geburt, was soll nun werden?
2.
Norberts Füße fühlten sich schwer an wie Blei, als er zögernd aufs Geratewohl vom Platz abbog in eine der Seitengassen, die hinabführten in den unversehrten Teil der Unterstadt. Er achtete kaum auf seinen Weg. Sein Kopf war leer bis auf den einen Gedanken, der ihm mit jedem Schritt wieder und wieder durch den Kopf ging.
Aus. Was soll nun werden?
An der Eingangstür eines zweistöckigen Herrenhauses sprach ein Mönch in weißer Kutte mit dem Hausherrn.
„Gebt ein Almosen für die Bedürftigen, Herr. Das Kloster trägt schwer an der Bürde, sich um die große Not in der Stadt zu kümmern.“
Der Hausherr bedachte den Ordensbruder mit kalten Blicken.
Schmallippig, aber sehr höflich antwortete er: „Mein Diener ist bereits mit Decken und Brot zum Marktplatz unterwegs. Danke dennoch, heiliger Mann, dass du mich an meine Pflicht, den Armen zu geben, erinnern wolltest. Du siehst, ich habe bereits selbst daran gedacht.“
Der Mönch verneigte sich würdevoll, während der Hausherr die Tür schloss. Aus dem Nebeneingang zur Küche winkte eine Magd dem Mönch. Verstohlen gab sie ihm ein paar Münzen in die Hand. Der Ordensmann lächelte milde.
„Der Segen der heiligen Mutter möge auf dir ruhen, du Gutherzige.“
Durch Nebengassen verließ Norbert die Oberstadt. Er wollte nicht über den Markt gehen, wo jedermann ihn zu