Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Philosophie der Geschichte. Georg Wilhelm Friedrich Hegel
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Von den Instanzen und von dem Widerspruch gegen eine in ihrer Allgemeinheit aufgefasste Bestimmtheit kommt gewöhnlich auch ein Teil auf den Mangel, Ideen zu fassen und zu verstehen. Wenn in der Naturgeschichte gegen die entschieden sich ergebenden Gattungen und Klassen ein monströses, verunglücktes Exemplar oder Mischlingsgeschöpf als Instanz vorgewiesen wird, so kann man mit Recht das anwenden, was oft ins Unbestimmte hin gesagt wird, dass die Ausnahme die Regel bestätige, das heißt, dass an ihr es sei, die Bedingungen, unter denen sie stattfindet, oder das Mangelhafte, Zwitterhafte, das in der Abweichung von dem Normalen liegt, zu zeigen. Die Ohnmacht der Natur vermag ihre allgemeinen Klassen und Gattungen nicht gegen andere elementarische Momente festzuhalten. Aber z. B. wenn die Organisation des Menschen in ihrer konkreten Gestaltung aufgefasst wird und zu seinem organischen Leben Gehirn, Herz und dergleichen als wesentlich gehörig angegeben werden, so kann etwa eine traurige Missgeburt vorgezeigt werden, welche eine menschliche Gestalt im allgemeinen oder Teile derselben in sich hat, auch in einem menschlichen Leibe erzeugt worden, darin gelebt und aus ihm geboren geatmet habe, in der sich aber kein Gehirn und kein Herz befinde. Gebraucht man eine solche Instanz gegen die allgemeine Beschaffenheit des Menschen, bei dessen Namen und dessen oberflächlicher Bestimmung man etwa stehen bleibt, so zeigt sich, dass ein wirklicher, konkreter Mensch freilich etwas anderes ist: Ein solcher muss Gehirn im Kopfe und Herz in der Brust haben.
Auf ähnliche Weise wird verfahren, wenn richtig gesagt wird, dass Genie, Talent, moralische Tugenden und Empfindungen, Frömmigkeit unter allen Zonen, Verfassungen und politischen Zuständen stattfinden können, wovon es an beliebiger Menge von Beispielen nicht fehlen kann. Wenn mit solcher Äußerung der Unterschied in denselben als unwichtig oder als unwesentlich verworfen werden soll, so bleibt die Reflexion bei abstrakten Kategorien stehen und tut auf den bestimmten Inhalt Verzicht, für welchen in solchen Kategorien allerdings kein Prinzip vorhanden ist. Der Standpunkt der Bildung, der sich in solchen formellen Gesichtspunkten bewegt, gewährt ein unermessliches Feld für scharfsinnige Fragen, gelehrte Ansichten und auffallende Vergleichungen, tiefscheinende Reflexionen und Deklamationen, die umso glänzender werden können, je mehr ihnen das Unbestimmte zu Gebote steht, und umso mehr immer erneuert und abgeändert werden können, je weniger in ihren Bemühungen große Resultate zu gewinnen sind und es zu etwas Festem und Vernünftigem kommen kann. In diesem Sinne können die bekannten indischen Epopöen mit den homerischen verglichen und etwa, weil die Größe der Phantasie das sei, wodurch sich das dichterische Genie beweist, über sie gestellt werden, wie man sich durch die Ähnlichkeit einzelner phantastischer Züge der Attribute der Göttergestalten für berechtigt gehalten hat, Figuren der griechischen Mythologie in indischen zu erkennen. In ähnlichem Sinne ist chinesische Philosophie, insofern sie das Eine zugrunde legt, für dasselbe ausgegeben worden, was später als eleatische Philosophie und als spinozistisches System erschienen sei; weil sie sich auch in abstrakten Zahlen und Linien ausdrückt, hat man Pythagoräisches und Christliches in ihr gesehen. Beispiele von Tapferkeit, ausharrendem Mute, Züge des Edelmuts, der Selbstverleugnung und Selbstaufopferung, die sich unter den wildesten wie unter den schwachmütigsten Nationen finden, werden für hinreichend angesehen, um dafür zu halten, dass in denselben ebenso sehr und leicht auch mehr Sittlichkeit und Moralität sich finde als in den gebildetsten christlichen Staaten usf. Man hat in dieser Rücksicht die Frage des Zweifels aufgeworfen, ob die Menschen im Fortschreiten der Geschichte und der Bildung aller Art besser geworden seien, ob ihre Moralität zugenommen habe, indem diese nur auf der subjektiven Absicht und Einsicht beruhe, auf dem, was der Handelnde für Recht oder für Verbrechen, für gut und böse ansehe, nicht auf einem solchen, das an und für sich oder in einer besonderen, für wahrhaft geltenden Religion für recht und gut oder für Verbrechen und böse angesehen werde.
Wir können hier überhoben sein, den Formalismus und Irrtum solcher Betrachtungsweise zu beleuchten und die wahrhaften Grundsätze der Moralität oder vielmehr der Sittlichkeit gegen die falsche Moralität festzusetzen. Denn die Weltgeschichte bewegt sich auf einem höheren Boden, als der ist, auf dem die Moralität ihre eigentliche Stätte hat, welche die Privatgesinnung, das Gewissen der Individuen, ihr eigentümlicher Wille und ihre Handlungsweise ist; diese haben ihren Wert, Imputation, Lohn oder Bestrafung für sich. Was der an und für sich seiende Endzweck des Geistes fordert und vollbringt, was die Vorsehung tut, liegt über den Verpflichtungen und der Imputationsfähigkeit und Zumutung, welche auf die Individualität in Rücksicht ihrer Sittlichkeit fällt. Die, welche demjenigen, was der Fortschritt der Idee des Geistes notwendig macht, in sittlicher Bestimmung und damit edler Gesinnung widerstanden haben, stehen in moralischem Werte höher als diejenigen, deren Verbrechen in einer höheren Ordnung zu Mitteln verkehrt worden sind, den Willen dieser Ordnung ins Werk zu setzen. Aber bei Umwälzungen dieser Art stehen überhaupt beide Parteien nur innerhalb desselben Kreises des Verderbens, und es ist damit nur ein formelles, vom lebendigen Geist und von Gott verlassenes Recht, was die sich für berechtigt haltenden Auftretenden verteidigen. Die Taten der großen Menschen, welche Individuen der Weltgeschichte sind, erscheinen so nicht nur in ihrer inneren bewusstlosen Bedeutung gerechtfertigt, sondern auch auf dem weltlichen Standpunkte. Aber von diesem aus müssen gegen welthistorische Taten und deren Vollbringen sich nicht moralische Ansprüche erheben, denen sie nicht angehören. Die Litanei von Privattugenden der Bescheidenheit, Demut, Menschenliebe und Mildtätigkeit muss nicht gegen sie erhoben werden. Die Weltgeschichte könnte überhaupt dem Kreise, worein Moralität und der so oft schon besprochene Unterschied zwischen Moral und Politik fällt, ganz sich entheben, nicht nur so, dass sie sich der Urteile enthielte, – ihre Prinzipien aber und die notwendige Beziehung der Handlungen auf dieselben sind schon für sich selbst das Urteil, – sondern indem sie die Individuen ganz aus dem Spiele und unerwähnt ließe, denn was sie zu berichten hat, sind