Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Philosophie der Geschichte. Georg Wilhelm Friedrich Hegel
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Derselbe Formalismus treibt sich mit den Unbestimmheiten von Genie, Poesie, auch Philosophie herum und findet diese auf gleiche Weise allenthalben. Es sind dieses Produkte der denkenden Reflexion, und in solchen Allgemeinheiten, welche wesentliche Unterschiede herausheben und bezeichnen, sich mit Fertigkeit bewegen, ohne in die wahre Tiefe des Inhalts hinabzusteigen, ist Bildung überhaupt; sie ist etwas Formelles, insofern sie nur darauf geht, den Inhalt, sei er welcher er wolle, in Bestandteile zu zergliedern und dieselben in ihren Denkbestimmungen und Denkgestaltungen zu fassen; es ist nicht freie Allgemeinheit, welche für sich zum Gegenstand des Bewusstseins zu machen erforderlich ist. Solches Bewusstsein über das Denken selbst und seine von einem Stoffe isolierten Formen ist die Philosophie, die freilich die Bedingung ihrer Existenz in der Bildung hat; diese aber ist das, den vorhandenen Inhalt mit der Form der Allgemeinheit zugleich zu bekleiden, so dass ihr Besitz beides ungetrennt enthält, und so sehr ungetrennt, dass sie solchen Inhalt, der durch die Analyse einer Vorstellung in eine Menge von Vorstellungen zu einem unberechenbaren Reichtum erweitert wird, für bloß empirischen Inhalt nimmt, an dem das Denken keinen Teil habe. Es ist aber ebenso wohl Tat des Denkens, und zwar des Verstandes, einen Gegenstand, der in sich ein konkreter, reicher Inhalt ist, zu einer einfachen Vorstellung (wie Erde, Mensch, oder Alexander und Cäsar) zu machen und mit einem Worte zu bezeichnen, als dieselbe aufzulösen, die darin enthaltenen Bestimmungen ebenso in der Vorstellung zu isolieren und ihnen besondere Namen zu geben. In Beziehung aber auf die Ansicht, von der die Veranlassung zu dem eben Gesagten ausging, wird so viel erhellen, dass, sowie die Reflexion die Allgemeinheiten von Genie, Talent, Kunst, Wissenschaft hervorbringt, die formelle Bildung auf jeder Stufe der geistigen Gestaltungen nicht nur gedeihen und zu einer hohen Blüte gelangen kann, sondern auch muss, indem solche Stufe sich zu einem Staate ausbildet und in dieser Grundlage der Zivilisation zu der Verstandesreflexion und wie zu Gesetzen so für alles zu Formen der Allgemeinheit fortgeht. Im Staatsleben als solchem liegt die Notwendigkeit der formellen Bildung und damit der Entstehung der Wissenschaften sowie einer gebildeten Poesie und Kunst überhaupt. Die unter dem Namen der bildenden Künste begriffenen Künste erfordern ohnehin schon von der technischen Seite das zivilisierte Zusammenleben der Menschen. Die Dichtkunst, die die äußerlichen Bedürfnisse und Mittel weniger nötig hat und das Element unmittelbaren Daseins, die Stimme, zu ihrem Material hat, tritt in hoher Kühnheit und mit gebildetem Ausdruck schon in Zuständen eines nicht zu einem rechtlichen Leben vereinten Volkes hervor, da, wie früher bemerkt worden, die Sprache für sich jenseits der Zivilisation eine hohe Verstandesbildung erreicht.
Auch die Philosophie muss in dem Staatsleben zum Vorschein kommen, indem das, wodurch ein Inhalt Sache der Bildung wird, wie soeben angeführt wurde, die dem Denken ungehörige Form ist und der Philosophie, welche nur das Bewusstsein dieser Form selbst, das Denken des Denkens ist, hiermit das eigentümliche Material für ihr Gebäude schon in der allgemeinen Bildung zubereitet wird. Wenn in der Entwicklung des Staates selbst Perioden eintreten müssen, durch welche der Geist edlerer Naturen zur Flucht aus der Gegenwart in die idealen Regionen getrieben wird, um in denselben die Versöhnung mit sich zu finden, welche er in der entzweiten Wirklichkeit nicht mehr genießen kann, indem der reflektierende Verstand alles Heilige und Tiefe, das auf unbefangene Weise in die Religion, Gesetze und Sitten der Völker gelegt war, angreift und in abstrakte götterlose Allgemeinheiten verflacht und verflüchtigt, so wird das Denken zu denkender Vernunft hingenötigt werden, um in seinem eignen Elemente die Wiederherstellung aus dem Verderben zu versuchen, zu dem es gebracht wurden ist.
Es gibt also freilich in allen welthistorischen Völkern Dichtkunst, bildende Kunst, Wissenschaft, auch Philosophie, aber nicht nur ist Stil und Richtung überhaupt, sondern noch vielmehr der Gehalt verschieden, und dieser Gehalt betrifft den höchsten Unterschied, den der Vernünftigkeit. Es hilft nichts, dass eine sich hochstellende ästhetische Kritik fordert, dass das Stoffartige, das ist das Substantielle des Inhalts, unser Gefallen nicht bestimmen solle; sondern die schöne Form als solche, die Größe der Phantasie und dergleichen sei es, was die schöne Kunst bezwecke und von einem liberalen Gemüte und gebildeten Geiste beachtet und genossen werden müsse. Der gesunde Menschensinn gestattet doch solche Abstraktionen nicht und eignet sich die Werke der genannten Gattung nicht an. Möchte man so die indischen Epopöen den homerischen um einer Menge jener formellen Eigenschaften, Größe der Erfindung und Einbildungskraft, Lebhaftigkeit der Bilder und Empfindungen, Schönheit der Diktion willen gleichsetzen wollen, so bleibt der unendliche Unterschied des Gehalts und somit das Substantielle und das Interesse der Vernunft, das schlechthin auf das Bewusstsein des Freiheitsbegriffes und dessen Ausprägung in den Individuen geht. Es gibt nicht nur eine klassische Form, sondern auch einen klassischen Inhalt, und ferner sind Form und Inhalt im Kunstwerke so eng verbunden, dass jene nur klassisch sein kann, insofern es dieser ist. Mit phantastischem, sich nicht in sich begrenzendem Inhalte, – und das Vernünftige ist eben, was Maß und Ziel in sich hat, – wird die Form zugleich maß- und formlos oder kleinlich und peinlich. Ebenso in der Vergleichung der verschiedenen Philosopheme, von der wir früher schon gesprochen haben, wird das übersehen, worauf es allein ankommt, nämlich die Bestimmtheit der Einheit, die man zusammen in der chinesischen, eleatischen, spinozistischen Philosophie findet, und der Unterschied, ob jene Einheit abstrakt oder konkret, und zwar konkret bis zur Einheit in sich, die Geist ist, gefasst wird. Jenes Gleichstellen aber beweist eben, dass es nur so die abstrakte Einheit kennt, und indem es über Philosophie urteilt, in demjenigen unwissend ist, was das Interesse der Philosophie ausmacht.
Es gibt aber auch Kreise, welche, in aller Verschiedenheit des substantiellen Inhalts einer Bildung, dieselben bleiben. Die genannte Verschiedenheit betrifft die denkende Vernunft und die Freiheit, deren Selbstbewusstsein diese ist, und welche dieselbe eine Wurzel mit dem Denken hat. Wie nicht das Tier, sondern nur der Mensch denkt, so hat auch nur er und nur, weil er denkend ist, Freiheit. Sein Bewusstsein enthält dies, dass das Individuum sich als Person, das ist, in seiner Einzelheit sich als in sich Allgemeines, der Abstraktion, des Aufgebens von allem besonderen Fähiges, sich somit als in sich Unendliches erfasst. Kreise somit, die außerhalb dieser Erfassung liegen, sind ein Gemeinschaftliches jener substantiellen Unterschiede. Selbst die Moral, welche mit dem Freiheitsbewusstsein so nahe zusammenhängt, kann bei dem noch vorhandenen Mangel desselben sehr rein sein, insofern sie nämlich nur die allgemeinen Pflichten und Rechte als objektive Gebote ausspricht, oder auch insofern sie bei der formellen Erhebung, dem Aufgeben des Sinnlichen und aller sinnlichen Motive, als einem bloß Negativen stehen bleibt. Die chinesische Moral hat, seitdem die Europäer mit derselben und den Schriften des Confuzius bekannt wurden, das größte Lob und ruhmwürdige Anerkennung ihrer Vortrefflichkeit von denen, die mit der christlichen Moral vertraut sind, erlangt. Ebenso ist die Erhabenheit anerkannt, mit welcher die indische Religion und Poesie (wozu man jedoch beisetzen muss, die höhere) und insbesondere ihre Philosophie die Entfernung und Aufopferung des Sinnlichen aussprechen und fordern. Diese beiden Nationen ermangeln jedoch, man muss sagen gänzlich, des wesentlichen Bewusstseins des Freiheitsbegriffes. Den Chinesen sind ihre moralischen Gesetze wie Naturgesetze, äußerliche positive Gebote, Zwangsrechte und Zwangspflichten oder Regeln der Höflichkeit gegeneinander. Die Freiheit, durch welche die substantiellen Vernunftsbestimmungen erst zu sittlicher Gesinnung werden, fehlt; die Moral ist Staatssache und wird durch Regierungsbeamte und die Gerichte gehandhabt. Ihre Werke darüber, welche nicht Staatsgesetzbücher sind, sondern allerdings an den subjektiven Willen und die Gesinnung gerichtet werden, lesen sich, wie die moralischen Schriften der Stoiker, als eine Reihe von Geboten, welche zum Ziele der Glückseligkeit notwendig seien, so dass die Willkür ihnen gegenüberstehend erscheint, welche sich zu solchen Geboten entschließen, sie befolgen kann oder auch nicht; wie denn die Vorstellung eines abstrakten Subjekts, des Weisen, bei den chinesischen wie bei den stoischen Moralisten die Spitze solcher Lehren ausmacht. Auch in der indischen Lehre des Aufgebens der Sinnlichkeit, der Begierden und irdischen Interessen ist nicht die affirmative, sittliche Freiheit das Ziel und Ende, sondern das Nichts des Bewusstseins, die geistige und selbst physische Leblosigkeit.
Der konkrete Geist eines Volkes ist es, den wir bestimmt zu erkennen haben, und weil er Geist ist, lässt er sich nur geistig durch den Gedanken erfassen. Er allein ist es, der in allen Taten und Richtungen des Volkes sich hervortreibt, der