Die Fallschirmjäger der Fremdenlegion. Thomas GAST
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Die Lage war ernst. General Brasart, Oberbefehlshaber der in Dschibuti stationierten Truppen, alarmierte noch in der gleichen Stunde alle Einheiten, darunter die dreizehnte Halbbrigade und die zweite Kompanie des 2. REP, die sich auf einer sogenannten compagnie tournante am Horn Afrikas befand. Brasart wusste, was er mit den Paras Legion für einen Joker parat hatte. Er war selbst ein alter Fallschirmjäger. Als solcher hatte er 1945 Kommandoaktionen in Laos angeführt und war dabei mehrmals schwer verwundet worden.
Nachdem die Paras Legion von der Situation unterrichtet waren, verlegte eine Gruppe Legionäre unter dem Befehl von Capitaine Soubirou sofort mit einem Puma Hubschrauber nach Loyada, dem Dorf in der Nähe des Grenzpostens. Sie umzingelten den entführten Bus so diskret wie nur möglich. Hier erfuhr der Offizier von den Forderungen der Kidnapper. Frankreich, und das wusste Soubirou, ist bislang nur selten auf Forderungen von Terroristen eingegangen, und das Signal, das aus Paris kam, sprach eine allzu deutliche Sprache: Es stand außer Frage, dass der Bus mit den Kindern an Bord die Grenze nach Somalia überschritt! Dass die Situation ganz im Argen lag, stellte sich in dem Moment heraus, in dem die Soldaten Truppenbewegungen auf der anderen Seite der Grenze ausmachten. Mit einem herkömmlichen „coup de force“, da waren sich alle Verantwortlichen einig, konnte mehr Schaden angerichtet werden, als gut war, doch alle diplomatischen Varianten waren ausgespielt. Verhandlungen mit den Geiselnehmern, die fast den ganzen Morgen andauerten, brachten nicht den gewünschten Erfolg.
Im Élysée-Palast in Paris überlegte man lange Zeit, welche Optionen es gab, den Terroristen zu begegnen. Giscard d'Estaing, Frankreichs Staatspräsident, hörte seelenruhig allen Beratern zu und traf dann spontan eine Entscheidung. Seine Wahl fiel auf eine bis dato fast unbekannte Polizeieinheit: die GIGN! Man konnte die Einheit in etwa mit der deutschen GSG-9 vergleichen. Leutnant Christian Prouteau, der Chef dieser exzellenten Truppe, hatte seine Männer unter den besten Anwärtern ausgesucht, die Frankreich zu bieten hatte. Vor allem ihre Schießtechnik revolutionierte und überzeugte die Welt der Spezialeinheiten restlos. Die „Super-Cops“ trafen mit ihren Repetier-Scharfschützengewehren auch auf größere Distanz ganz frech ins Schwarze. Unterdessen war die Zahl der Terroristen tatsächlich angestiegen. Es waren nun fünf bewaffnete Männer im Bus. Somalische Grenzsoldaten erschienen und legten sich jenseits der Grenze auf die Lauer. Doch auch diesseits rückte Verstärkung an. Ein Aufklärungs- Escadron der dreizehnten Halbbrigade der Legion brachte ihre Panzerwagen, die automitrailleuse légère, kurz AML, in Stellung, doch dabei blieb es nicht. Sollte die Lage total eskalieren und die somalische Armee mit „schwerem Material“ anrücken oder gar eine Grenzverletzung in Betracht ziehen, dann mussten ebensolche Kaliber bereitstehen. Es war also nur ganz normal, dass am Einsatz auch ein Escadron des 5. RIAOM teilnahm. Ihre Kampfpanzer vom Typ AMX-13 besetzten fast lautlos Stellungen in etwa tausend Metern Entfernung zur Grenze. Dort harrten sie der Dinge. Bevor die Nacht fiel, wurde Jehanne Bru, eine Sozialarbeiterin, die alle Kinder im Bus sehr gut kannte, benachrichtigt. Sie sollte den Jungen und Mädchen beistehen. Die Terroristen gaben ihr grünes Licht. Capitaine Soubirou hatte ihr geraten, die Kinder im Bus in Deckung zu bringen, sollte auch nur ein einziger Schuss fallen. »Hinlegen. Am besten Gesicht nach unten, die Hände im Genick verschränkt. Bringen Sie das hin?« Jehanne gefiel dieser hochgewachsenene Offizier. Endlich mal einer, dachte sie, der direkt sagt, um was es geht. »Muss ich wohl!« Obwohl sie vor Angst am liebsten laut geschrien hätte, lächelte sie tapfer und bestieg das Fahrzeug, das sie zum Bus brachte.
»Mut hat sie!« Von seinem Beobachtungsposten aus sah Sergent-chef Jorand, ein alter Hase unter den Paras Legion, wie Jehanne Bru resolut den Bus bestieg. Er kannte nicht viele Frauen, denen er das zugetraut hätte. Jehanne war nun ein Faustpfand mehr für die Banditen. Jorand sollte beim Sturm auf den Grenzposten einen Halbzug anführen. Natürlich war auch ihm nicht ganz wohl bei dem Gedanken an die Kinder und die Frau im Bus, aber eines wusste er sehr genau. Es gab keine Soldaten auf der Welt, mit denen er lieber hier wäre als mit seinen Legionären. In Calvi hatten sie eine sehr harte Ausbildung erfahren. Sicher, sie konnten die Soldaten aller anderen Armeen gnadenlos unter den Tisch saufen. Sicher war aber auch, dass sie mit einem Sack auf dem Rücken alle anderen in Grund und Boden marschieren und es im Gefecht mit jedem Gegner aufnehmen konnten. Er vertraute ihnen blind. Mitten in der Nacht trafen die neun Männer der GIGN in Dschibuti ein. Ein Jeep und ein VLRA, beide fuhren mit Blackout Tarnlicht, brachten sie direkt zu einer Lageeinweisung unweit des Einsatzortes. Im olivgrünen, nach außen gut abgedunkelten OPS-Zelt herrschte eine gespannte Atmosphäre. Dazu war es stickig heiß und es roch nach Tabakqualm und Schweiß. Die Einweisung erfolgte im Beisein aller Offiziere der an der Operation teilnehmenden Einheiten. Als die kleine GIGN-Truppe hinter Leutnant Prouteau das Zelt betrat, bedachte man sie mit missmutigen Blicken. Prouteau und seine Männer hatten etwas längere Haare und sie trugen verdreckte Kampfuniformen. Ihr Fahrzeug war unterwegs im Schlamm stecken geblieben und sie hatten es bei völliger Dunkelheit mit vereinten Kräften herausziehen müssen. Prouteau trug Brille. Das ging gar nicht. Bei den meisten Soldaten war sie verpönt. Wer eine aufhatte, war höchstens eines: untauglich und geeignet für die Ausmusterung! In den Augen der anwesenden Militärs war diese GIGN ein Haufen Hippies. Das zumindest konnte man den Blicken entnehmen, die sie der Gruppe zuwarfen. Als der General seine Einweisung beendet hatte, wandte er sich an Leutnant Prouteau.
»Wie wollen Sie vorgehen?« Seine Stimme klang aggressiv. Er hatte das Détachement einer modernen und schlagkräftigen Eliteeinheit erwartet, doch nicht eine Bande Lustig, wie man im Legions-Militärjargon Menschen nannte, die man nicht ernst nahm. Und genau so eine stand seiner Meinung nach gerade vor ihm.
Prouteau, der etwas Zeit gehabt hatte, sich im Gelände umzusehen, schien sich seiner Sache sicher. »Wenn alles so läuft, wie ich es mir erhoffe, dann kommen meine Männer bis auf etwa 200 Meter ungesehen an den Bus ran, möglicherweise näher. Und zwar genau bis hierher.«
Er wies mit seinem Finger auf eine Karte, die hinter General Brasart an der Pinnwand hing.
»Auf diese Entfernung treffen wir die Köpfe der Banditen. Fünf Terroristen, das macht fünf Schüsse, vielleicht sechs, mal sehen. Das Signal zur Feuereröffnung gebe ich. Niemand anders!«
Einer der Offiziere lachte. Der General glaubte, sich verhört zu haben. Er riss die Augen weit auf. Noch nie hatte ein einfacher Leutnant so unverschämt offen mit ihm gesprochen, aber: Noch nie allerdings hatte er von so einem verwegenen Plan gehört.
»Sie vergessen«, sagte er aufgebracht, »dass das hier kein Alleingang der GIGN ist. Und was den Befehl zur Feuereröffnung angeht, der kommt, wenn schon, dann aus Paris. Ich gebe ihn dann an Sie weiter, und Sie führen meine Befehle aus.«
»Meine Schützen«, erwiderte Prouteau gelassen, »melden mir, wenn sie ihr Ziel im Fadenkreuz haben und es bekämpfen können. Und zwar alle gleichzeitig. Wie oft dies der Fall sein wird, darüber will ich nicht mal nachdenken. Vielleicht nie, vielleicht ein-, zwei oder dreimal an einem Tag, und das dann auch nur für eine, zwei oder drei Sekunden. Sobald sich nämlich einer der Terroristen bückt oder sich in allerletzter Sekunde wegdreht oder gar ganz aus dem Blickfeld verschwindet, beginnt das ganze Spiel von vorne.«
Das leuchtete auch dem General ein. Auch wenn er von Zielverteilung, Countdown und Schuss-Code noch nie etwas gehört hatte: Ihm blieb gar keine andere Wahl. Der Präsident hatte die GIGN geschickt. Und damit musste er nun umgehen können.
Der