Preis des aufrechten Gangs. Prodosh Aich
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Читать онлайн книгу Preis des aufrechten Gangs - Prodosh Aich страница 11
„ich bin über die ganze Untersuchung, die von meinem Institut wissenschaftlich betreut wird, eingehendst informiert. (...) Gleichzeitig möchte ich darauf hinweisen, daß die Erfahrungen, die wir bisher mit Herrn Aich gemacht haben, ganz ungewöhnlich gut sind. Es handelt sich hier um einen sehr selbständigen, ungewöhnlich klugen und sehr liebenswürdigen jungen Mann, der für die ganze Untersuchung ein sehr persönliches Engagement mitbringt.“
Im März ist die Schlüsselliste und die Kodierung fertig. Es ist eine verrückte Zeit. Gleich nach dem Frühstück beginnen meine Frau und ich mit der Kodierung. Während meine Frau das Mittagessen bereitet, übertrage ich die Daten von Kodeblättern auf Lochkarten. Der Handlocher macht einen höllischen Krach. Unsere Wirtin, Fräulein Lehner, nimmt dieses Hämmern billigend in Kauf. Es müsse halt sein, meint sie. Nach dem Mittagessen wieder kodieren. Beim Kochen des Abendessens lochen. Wieder kodieren, bis es endlich Zeit wird für die Spätvorstellung im Kino um 22.30 Uhr. Zum Entspannen. Fräulein Lehner geht immer mit. Ab dem zweiten Tag beginne ich mit dem Lochen, während meine Frau den Frühstückstisch deckt. Wir sind ein effizientes Team, mehr als nur die Addition zweier fleißiger Arbeitskräfte. Auch die späteren Arbeiten, vor allem die hier im Mittelpunkt stehende Geschichte, wären ohne diese Team-Effizienz und ohne die gegenseitige Verläßlichkeit nicht entstanden.
Ende März ist die Randauszählung fertig. Erstellt mit der IBM–Sortiermaschine im „Institut für Selbsthilfe“. Ich lege sie König vor. König schickt eine ergänzende Stellungnahme an das Auswärtige Amt am 30. März 1960:
„hiermit möchte ich mir erlauben, zu dem Antrag um einen Zuschuß für eine Forschungsarbeit ... durch Herrn Prodosh Aich Stellung zu nehmen. Ich darf Sie daran erinnern, daß die Untersuchung unter unserer Überwachung läuft. Ich kenne Herrn Aich schon seit längerer Zeit, da er sehr intensiv bei uns mitgearbeitet hat. Jetzt, nachdem die ersten Ergebnisse seiner Erhebung eingegangen sind, kann ich beurteilen, daß ich mich in ihm nicht nur nicht getäuscht habe, sondern daß er sich auch als ein ganz ausgezeichneter Forschungsleiter bewiesen hat. Aus diesem Grunde möchte ich ganz persönlich den Antrag des Internationalen Studentenbundes befürworten. Gleichzeitig möchte ich bemerken, daß die ersten Ergebnisse bereits zeigen, wie interessant die vorliegende Untersuchung zu werden verspricht. Es wäre also äußerst unglücklich, wenn man sie auf dem Viertelswege liegen lassen wollte. Ich bin sicher, daß diese Studie für die Behörden von größter Wichtigkeit werden wird, wenn die Ergebnisse erst gesamthaft ausgewertet sein werden.“
Die folgenden Monate sind finanziell äußerst hart. Meine Tätigkeit für Weisser ist beendet. Dafür erhalte ich mein Stipendium von 250,- DM, Honorare für Aufsätze, Vorträge und gelegentliche Arbeiten im Institut von Otto Blume. Meine Frau hat kein regelmäßiges Einkommen. Wir hoffen auf die Bewilligung des Antrags durch das Auswärtige Amt. Der ISSF ist damit einverstanden, daß die eventuellen Mittel dann von der Kölner Universität verwaltet werden würden und ich dann im Institut für Soziologie als Forschungsbeauftragter geführt werde. Die Art und Weise, wie mein Beschäftigungsverhältnis mit Weisser beendet wurde, hat bei König und seinen Mitarbeitern Sympathien für mich geweckt. Diese sind: der Privatdozent Peter Heintz, schweizer Nationalität, dessen Buch über „Soziale Vorurteile“ bei der Planung meiner Untersuchung hilfreich war, der seine Vorlesungen auf „lexikondeutsch“ – sehr exakte, aber schwer gängige Bandwurmsätze – hält; der wissenschatliche Assistent im Institut für Mittelstandsforschung, Hans–Jürgen Daheim; die beiden wissenschaftlichen Assistenten Fritz Sack und Franz–Josef Stendenbach, so etwas wie ein Geschäftsführer des Instituts, zwei Sekretärinnen und zwei wissenschaftliche Assistenten im „Seminar für Soziologie“, dessen Leiter wiederum König ist.
Eine Ausnahme ist da: Erwin K. Scheuch. Nicht daß er etwas Negatives öffentlich kundgetan hätte. Er gibt sich gleichgültig. Er sitzt an seiner Habilitationsarbeit. Er läßt sich auch zu informellen Anlässen nicht sehen. Ich würde seiner Zurückhaltung keine besondere Bedeutung beigemessen haben, wenn meine Frau und Scheuch nicht Studienkollegen gewesen wären. Damals, aber auch zu meiner Zeit, war die Universität zu Köln klein. Die Angehörigen begegneten sich häufig. Auch damals wurde nicht wenig getratscht. Meine Frau war nicht nur wegen ihrer langen blonden Zöpfe auffällig. Sie hatte einen Professor geohrfeigt, weil der sie zum Beischlaf erpressen wollte. Sie war dem amtierenden Dekan glaubwürdiger als der betreffende Professor. Vollzogene Erpressungen waren den Universitätsangehörigen an der Kölner Universität nicht unbekannt. Aber einmalig war der Mißerfolg, eine universitätsöffentliche Ohrfeige, und dies noch in der Endphase ihrer Promotion. Daß just diese Frau in Universitätskreisen wieder auftaucht, ist vielen nicht recht. Sie war damals nach dem unüblichen Ereignis von ihren wissenschaftlichen Kollegen gemieden worden, von Unterstützung ganz zu schweigen. Scheuch hat meine Frau erkannt, auch ohne ihre Zöpfe.
Auch Scheuch war seinerzeit auffällig, weil er in Veranstaltungen zu spät herein hechelte mit einer stets übervollen Aktentasche, die eher auffiel als seine physische Erscheinung. Er fiel auch in Seminaren auf, weil er auf eine hektisch–ehrgeizige Art redete, eher in einem ihm eigenen Telegrammstil mit unvollständigen Sätzen, nervös augenzuckend, aber mit einer Gestik, die König so ähnelte, daß er den Beinamen „der kleine König“ erhielt. Zu meiner Zeit fühlt sich „der kleine König“ im Vergleich zu seinem Seminarassistentenkollegen Dietrich Rüschemeyer zurückgesetzt. König hat zu Rüschemeier ein entspanntes Verhältnis, zu Scheuch nicht.
Welche Gedanken Scheuch in der neuen Situation durch seinen Kopf geht, als er sieht, daß wir verheiratet sind oder daß ein farbiger Ausländer sich langsam im Institut etabliert, werde ich nie erfahren. Deshalb werde ich mich nur auf Fakten beschränken. Scheuch hat sich als „Fachmann“ in Sachen empirischer Sozialforschung – wenn auch nur ein theoretischer Fachmann – leicht ausrechnen können, was meine Frau mir über ihn alles erzählt haben könnte. Fakt ist, daß Scheuch und ich nie einen privaten Kontakt gehabt haben.
Der Vorfall mit der Ohrfeige soll bei den Professoren ein Gesprächsthema an den „Herrentischen“ gewesen sein. Ein Nachbeben davon erlebe ich auch. Gegen Ende des Jahres 1960 bestellt König mich zu einem Gespräch. Für längere Gespräche bestellt er gern Mitarbeiter an Samstagnachmittagen. An dem Tag haben wir auch eine andere Verabredung in Köln, daher ist meine Frau mit gefahren. Wir warten schon vor dem Institutsgebäude, als König ankommt. Ich stelle ihm natürlich meine Frau vor. Er ist verwirrt. Nach anmerkbarem Zögern fragt er meine Frau, ob sie in Köln studiert hätte und mit ihrem Mädchenname Knüwe hieße. Sie bejaht.
Wortlos schließt er die Haustür auf und geht die Treppen hoch zum zweiten Stock. Schweigend. Wir folgen ihm. Im Arbeitszimmer angelangt geht er zu seinem Sessel, setzt sich aber nicht, bittet uns mit einer Handbewegung, Platz zu nehmen. Immer noch stehend greift er zum Telefon. Er telefoniert mit seiner Frau fast eine halbe Stunde lang, über nichts oder Belanglosigkeiten. Dabei kommt er gerade von zu Haus. Ratlosigkeit und Verlegenheit stellen sich bei uns ein. Nach dem Telefongespräch stellt er keine Fragen, macht keine Anmerkungen. Nichts. Als König uns dann verabschiedet, weiß ich nicht, warum König mich bestellt hatte. Das Image von König, immer souverän und locker zu sein, bekommt einen ersten Kratzer. König kennt also den Vorfall. Auch er hatte seinerzeit nichts unternommen. Etwas Ähnliches ist bei Gerhard Weisser nicht geschehen. Seiner Verhaltensweise hat mir nicht den leisesten Hinweis gegeben, ob auch Weisser von dieser Ohrfeige gewußt hat oder ob er meine Frau mit diesem Vorfall in Verbindung gebracht hatte.
Die berechneten Daten unserer Untersuchung sind vom Rechenzentrum der Universität zurück. Aufregende Zeit. Die Rechenblätter enthalten nur Zahlenkolonnen, –Reihen und Symbole. Keine Texte. Die Zahlen übertragen wir auf vorbereitete Tabellenblätter und beschriften sie. Dann geht das Nachdenken und das Schreiben los. Zu meinem Glück und sicherlich zum Unglück meiner Frau kann sie auf Deutsch